Viele werdenden Eltern beschäftigen sich während der Schwangerschaft intensiv damit, wie sie das eigene Kind erziehen wollen. Unweigerlich denkt man an die eigene Erziehung und überlegt, was man gut und was vielleicht nicht so gut fand. Hier finden Sie einige Antworten zu Erziehungsfragen.
Wie wird der Begriff Erziehung definiert?
Der amerikanische Schriftsteller Mark Twain hätte geantwortet „Erziehung ist organisierte Verteidigung der Erwachsenen gegen die Jugend.“ Damit bringt er einen wesentlichen Aspekt auf den Punkt: Erziehung meint alle planvollen Versuche – egal ob erfolgreich oder nicht – das Verhalten und Denken von Menschen in eine erwünschte Richtung zu lenken. Das „erwünschte“ Erziehungsergebnis ist dabei von historischen, kulturellen und gesellschaftlichen Einflüssen – und der damit einhergehenden Mischung von Erziehungsmitteln – abhängig: Drill, Bildung, Schliff, Laissez-faire, … Aus diesem Grund ist Erziehung auch nur ein Teilaspekt der Sozialisation. Sozialisationsprozesse finden überall dort statt, wo Menschen zusammenleben: Familie, Schule, Glaubensgemeinschaft, Sportverein, Chor, Arbeitsstelle, … Dieser lebenslange Prozess ist die Persönlichkeitsentwicklung eines jeden Menschen, der verlangt, die jeweiligen sozialen Regeln, Normen und Wertvorstellungen der Gesellschaft zu verinnerlichen und zu hinterfragen. Nur durch diesen Reibungsprozess gelingt es einer Gesellschaft, die Balance zwischen Tradition und Fortschritt zu wahren und die Generation auf künftige Herausforderungen vorzubereiten. Erziehung trägt dazu bei, angesichts neuer Umstände neue Entscheidungen zu treffen.
Was meint man im Alltag mit dem Begriff Erziehung?
… oder anders gefragt: Was sollten wir unter dem Begriff Erziehung im Alltag verstehen? Kurz und knapp: Kinder auf das Leben vorzubereiten. Kinder zu erziehen bedeutet, Ihnen das mitzugeben, was sie brauchen, damit sie sich in den unterschiedlichsten Situationen des Alltags auskennen und wissen, wie sie Herausforderungen meistern können. Erziehung bedeutet aber auch Kinder zu befähigen, dass sie ihre Stärken und Schwächen herausfinden und so ein stabiles Selbstbewusstsein aufbauen können.
Wann beginnt Erziehung?
Um es mit Goethe zu sagen: „Man könnt‘ erzogene Kinder gebären, wenn die Eltern erzogen wären.“ Die Erziehung eines Kindes beginnt mit der Überlegung, ein Kind in die Welt zu setzen. Sie beginnt mit den Überlegungen: „Welche Werte lebe ich?“ – „Was möchte ich meinem Kind mitgeben?“ Erziehung ist nicht gleichzusetzen mit den Erziehungsmitteln wie Loben, Schimpfen, Bestärken, Ermahnen – Erziehung ist zuallererst eine Frage der inneren Haltung und die Art, wie ich Kinder sehe. Außerdem ist sie eng verknüpft mit der eigenen Erziehung und den gemachten Erfahrungen im Leben.
Wo findet Erziehung statt?
Erziehung ist im Gegensatz zur Sozialisation ein individueller Prozess zwischen Menschen, die eine dauerhafte Beziehung zueinander haben. Also zwischen Kindern und Eltern oder anderen nahen Bezugspersonen. Diese Beziehung kann durch einen Erziehungsauftrag auch künstlich erzeugt werden – also Erzieher zu ihnen anvertrauten Kindern. Erziehung setzt Vertrauen, Bindung und Schwingungsfähigkeit voraus, deshalb suchen sich insbesondere Kinder oft selbst Menschen aus, von denen sie Erziehung annehmen.
Wie gelingt Erziehung?
Die Grundlage für gelingende Erziehung ist in erster Linie die bedingungslose Liebe – Liebe, die unabhängig von „Wohlverhalten“ ist. Diese Liebe ist getragen von Achtung und Vertrauen in ein Kind – auch wenn die Eltern am Rande ihrer Kräfte sind. Diese Unumstößlichkeit der Bindung ermöglicht Kindern, sich mutig in der Welt auszuprobieren und Wege auch wieder korrigieren zu können, wenn sie sich als Sackgasse im Leben erweisen. Die Grundlage für einen gelingenden Erziehungsalltag sind verlässliche Strukturen und Regeln sowie die Offenheit einander zuzuhören. Eltern, die es schaffen, sich in eine geduldige Verfassung (zurück) zu bringen und überlegen „warum verhält sich mein Kind wie es sich verhält – und was habe ich vielleicht damit zu tun“ fordern besonnene Konsequenzen ein, an denen Kinder wachsen. Zum Beispiel: Das Milchglas des 5-Jährigen kippt um. Eltern können gestresst schimpfen „So eine Sauerei“ und loslaufen, das Unglück zu beheben. Sie hätten aber auch die Wahl den Sachverhalt neutral zu beschreiben und das Kind anzuleiten, wie es die Pfütze selbst aufwischt: „Das ist Milch, die ist klebrig – hol einen Lappen, sauge die Milch damit auf und wasche den Lappen danach am Waschbecken aus.“
Wann endet die Erziehung?
„Meine Erziehung ist zwar defizitär – aber abgeschlossen“ ist ein beliebter Spruch in Partnerschaften, um zu signalisieren, dass man gewisse Verhaltensweisen nicht verändern. Dieser Satz rekrutiert auf die Annahme, dass für die Erziehung allein die Eltern zuständig sind und diese mangels Zugriff auf den Zögling aus dem Spiel sind. In der Tat kann die eigene Erziehung als abgeschlossen betrachtet werden, wenn man selbst zum Erzieher der nächsten Generation wird. Der Philosoph und Erziehungswissenschaftler Friedrich Schleiermacher formuliert diese Frage so: „Wie soll die Einwirkung der älteren Generation auf die Jüngere beschaffen sein?“ Er beantwortet die Frage mit: „Der Mensch ist ein Wesen, welches den hinreichenden Grund seiner Entwicklung vom Anfange des Lebens an bis zum Punkt der Vollendung in sich trägt.“ Das bedeutet: Ab einem gewissen Zeitpunkt ist jeder selbst verantwortlich für seine Entwicklung und damit auch verantwortlich für die Konsequenzen seines Verhaltens.
Warum ist Erziehung wichtig?
Einem Kind keine Erziehung zuteilwerden zu lassen, ist so etwas wie „unterlassene Hilfeleistung“. Ohne Erziehung haben Kinder nicht das Handwerkszeug, sich im Leben zurechtzufinden. Das beginnt bereits mit der Fähigkeit, adäquat Kontakt mit Gleichaltrigen aufzunehmen, Freunde zu finden, die Sprache zu erlernen – seine Persönlichkeit zu entwickeln. Erziehung ist Bindung. Ohne Bindung ist ein Kind schutzlos und kann sich nicht zu einer stabilen Persönlichkeit entwickeln.
Welche Faktoren beeinflussen den Erziehungsstil?
Der Erziehungsstil in einer Familie ist von allem geprägt, was äußerlich den Alltag beeinflusst und in der Vergangenheit die Persönlichkeit der Eltern prägte. Innerlich prägend sind die erworbenen Wertvorstellungen und die eigenen Erziehungserfahrungen. Äußerlich gehören maßgeblich die soziale Herkunft, erworbene Bildung, finanzielle Ausstattung, sowie Arbeits- und Wohnbedingungen dazu.
Wie finde ich für mich heraus, wie ich meine Kinder erziehen möchte?
Der persönliche Erziehungsstil entwickelt sich nicht wie er „im Buche“ steht. Er entwickelt sich in Wechselwirkung mit der aktuellen Lebenssituation, dem Charakter des Kindes und der persönlichen Werte. Ein Buch aufzuschlagen und sich zum Beispiel entscheiden „mein Kind erziehe ich Laissez-Faire“ wird mit Sicherheit nicht funktionieren, auch wenn sie alles was sie lesen, für plausibel halten. Ihr Erziehungsstil geht mit Ihren Grundwerten und Ihrem Bild von Kindheit einher. Deshalb hilfreich in Gesprächen mit Partner, Familie und Freunden darüber zu reflektieren, was ihr eigenes Leben prägte und welche Werte sie in der Gesellschaft für erhaltenswert befinden. Sobald sie sich über das im Klaren sind, ergibt sich der Rest von selbst. Mit allen Höhen, Tiefen und Unwägbarkeiten.