An ihre Heimat hat Valentina viele schöne Erinnerungen: an das Meer ganz in der Nähe, an den Stadtpark und wie er jedes Jahr im Frühling aufblühte und an den Wind, der an heißen Sommertagen frische Luft von der Küste brachte. „Es war so schön dort“, sagt Valentina und kann die Tränen nur mühsam zurückhalten. Denn wenn die zierliche blonde Frau heute über diese schönen Erinnerungen spricht, sind auch die schrecklichen sofort wieder präsent: Die Tage im Keller, der Lärm der Explosionen und die ständige Angst, die sie nachts nicht schlafen ließ. „Ich kann immer noch nicht ganz glauben, dass ich so etwas von meiner Stadt erzählen muss“, sagt sie mit zittriger Stimme.
Zerstörung und Explosionen
Valentinas Heimat ist Melitopol, eine Kleinstadt im Süden der Ukraine. Als die russische Armee am 24. Februar 2022 in das Land einfällt, ist Melitopol eines ihrer ersten Angriffsziele. Bereits am 25. Februar sind die ersten Soldaten in der Stadt. Sie plündern, zerstören und verbreiten Angst und Schrecken in der Bevölkerung – auch bei Valentina und ihrer Familie.
Die erste Woche der russischen Invasion verbringen Valentina, ihr Mann und ihre Söhne Bogdan (8) und Marian (5) in einem Luftschutzkeller. Dann verbarrikadieren sie sich in ihrer Wohnung. „In dieser Zeit ist nur mein Mann rausgegangen, um Lebensmittel für uns zu besorgen. Aber alles war knapp, auch Strom, Wasser und Telefonverbindungen fielen immer wieder aus“, erinnert sich Valentina. Nachts schläft die Familie in ihrer Kleidung, damit sie im Notfall schneller fliehen können. Valentinas Söhne haben ständig Angst vor Explosionen, sind oft gar nicht mehr zu beruhigen.
Flucht Richtung Westen
Als ein Ende der russischen Aggression auch nach einigen Wochen nicht absehbar ist, beschließen Valentina und ihr Mann, dass Mutter und Kinder die Ukraine verlassen müssen. Valentinas Mann fährt sie und die Söhne in die nächste sichere Stadt, wo sie in einen Bus Richtung Westen steigen. Er selbst muss wegen des Ausreiseverbotes für wehrfähige Männer in der Ukraine bleiben. „Wir saßen im Bus, und meine Kinder mussten ihrem Papa zum Abschied winken“, erinnert sich Valentina.
Unterstützung vom SOS-Mütterzentrum
Ihre Flucht führt Mutter und Kinder über Polen nach Salzgitter, wo sie Bekannte haben. Bei denen kann die Familie wohnen und über sie erfährt Valentina bald auch von den
Angeboten für ukrainische Geflohene des SOS-Mütterzentrums. Frauen wie Valentina können dort zum Beispiel an Deutschkursen teilnehmen, ihre Kinder stundenweise betreuen lassen und sich im Second-Hand-Laden mit Alltagsgegenständen versorgen.
Für viele Frauen, die oft nicht nur ihre Heimat, sondern auch Familie und andere geliebte Menschen zurücklassen mussten, aber noch viele wichtiger: Das Mütterzentrum ist eine Anlaufstelle, an der sie sich mit anderen Ukrainerinnen vernetzen können. „SOS-Kinderdorf hat uns geholfen, zumindest einen kleinen Teil der Normalität, die wir früher hatten, wieder herzustellen“, sagt auch Valentina, die mit ihren Söhnen regelmäßig ins Mütterzentrum kommt.
Tagelange Ungewissheit um den Ehemann
Den Krieg vergessen kann sie trotzdem nicht. Besonders die Sorge um ihren Mann lässt Valentina nicht los. „Er ist immer noch in Melitopol. Ich habe furchtbare Angst um ihn, denn er hilft dabei, Menschen aus der Stadt zu bringen und ich weiß, dass die Russen immer wieder Flüchtende angreifen“, erzählt sie. Wenn es möglich ist, telefonieren Valentina und ihr Mann, doch Internet- und Telefonleitungen fallen in der inzwischen vollständig besetzten Stadt immer wieder aus. So muss Valentina oft tagelang in Ungewissheit um ihren Mann ausharren. Im Mütterzentrum findet sie dann Ablenkung und Trost.
Wenn Valentina an ihre Heimat denkt – an das Meer, an den Park, an den Wind – dann vermisst sie Melitopol und ihr altes Leben. Doch sie weiß auch, dass die Stadt aus ihren Erinnerungen nicht mehr existiert und dass sie und ihre Söhne in Deutschland am sichersten sind. Auf absehbare Zeit möchte sie deshalb, auch wenn es ihr schwerfällt, in Salzgitter bleiben. „Ich will einfach nur, dass meine Familie wieder zusammen sein kann. Aber solange meine Stadt von den Russen kontrolliert wird, kann ich mir eine Rückkehr nicht vorstellen“, sagt sie und hält wieder ein paar Tränen zurück.