"Wir müssen auf die jungen Menschen schauen und nicht allein auf ihre Herkunft"

München, 12. April 2017

Junge unbegleitete Flüchtlinge brauchen Unterstützung und keine Diskriminierung“, sagt Dr. Birgit Lambertz, stellvertretende Vorstandsvorsitzende von SOS-Kinderdorf e.V. „Aber genau diese Gefahr birgt der heute vom Bundeskabinett beschlossene Gesetzesentwurf zur Reform des Kinderund Jugendhilferechts.“ Damit würden die Bundesländer die Möglichkeit erhalten, die Kostenerstattung von Hilfen für minderjährige unbegleitete Flüchtlinge davon abhängig zu machen, ob entsprechende Rahmenverträge mit kommunalen Spitzenverbänden und freien Trägern der Jugendhilfe geschlossen wurden. Aus Sicht von SOS-Kinderdorf führt das dazu, dass die Kinderund Jugendhilfe für junge Flüchtlinge anders angewendet würde als für Kinder und Jugendliche, die keine Flüchtlinge sind – ein Verstoß gegen die UN-Kinderrechtskonvention.
SOS-Kinderdorf e.V. betreut seit Jahren unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Die Kinderhilfsorganisation befürchtet, dass die geplante Regelung sich nicht mehr am Bedarf der jungen Menschen orientieren werde: „Anstatt individuell die Unterstützung am Bedarf des jungen Menschen auszurichten, wird es für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge dann nur noch eine einzige Form der Hilfe geben. Und diese wird vermutlich gering finanziert sein. Das ist diskriminierend“, erläutert Lambertz „Wir müssen jungen Flüchtlingen die notwendige Hilfe zukommen lassen, die sie für ihre Entwicklung zu einer gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit brauchen.“
Die Kinderhilfsorganisation fordert, dass es keine Sonderregelungen oder spezielle Leistungsformen für diese Gruppe geben darf, sondern auch für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge am Prinzip der bedarfsgerechten Hilfen festgehalten wird.
Die geplanten Regelungen sehen vor, dass Landesjugendbehörden mit kommunalen Spitzenverbänden und Trägern der freien Jugendhilfe Rahmenverträge schließen können, in denen die Kostenerstattung der Aufwände zur Betreuung von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen geregelt wäre. Aus Sicht der Organisation ergeben sich dadurch gesamtgesellschaftlich negative Effekte, volkswirtschaftlich wäre es kurzsichtig und gerade mit Blick auf eine gute Integration hinderlich. „Wenn junge Menschen unzureichend betreut und unterstützt werden, geraten sie in das gesellschaftliche Abseits anstelle positiv etwas zur Gesellschaft beitragen zu können“, erläutert Lambertz.
SOS-Kinderdorf begleitet seit vielen Jahren Kinder und Jugendliche, die als sogenannte unbegleitete minderjährige Flüchtlinge in den Statistiken geführt werden. „Dahinter verbergen sich fast immer junge Menschen, die nach einer schweren Zeit versuchen ihr Bestes zu geben“, sagt Lambertz. „Es ist sowohl für die jungen Menschen als auch für die Gesellschaft das Beste, wenn sie die Unterstützung erhalten, die ihrem individuellen Bedarf entspricht.“
Vielfältige Angebote für junge Flüchtlinge
SOS-Kinderdorf engagiert sich sowohl im Ausland, in den Herkunftsländern der Flüchtlinge sowie schon seit vielen Jahren an verschiedenen Standorten in Deutschland für junge Flüchtlinge und ihre Familien. Auf den vermehrten Zuzug unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge hat der Verein reagiert, indem Angebote neu aufgebaut oder erweitert wurden. Das praktische Engagement des Kinderhilfswerks reicht von der Betreuung von Jugendwohngruppen für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge über spezifische berufsorientierte Angebote und Bildungsangebote bis hin zur Aufnahme ganzer Flüchtlingsfamilien. Die Arbeit mit jungen Flüchtlingen zeigt immer wieder die große Bedeutung von Bildung für diese oftmals benachteiligte Gruppe. SOS-Kinderdorf agiert daher nach dem Grundsatz, Flüchtlingskinder nicht nur mit dem Nötigsten zu versorgen, sondern ihnen auch Chancen auf gesellschaftliche Teilhabe und Bildung zu eröffnen.