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Sozialpolitische Positionierung

Junge Menschen in der Jugendhilfe finanziell entlasten

24. Juni 2022

Stellungnahme von SOS-Kinderdorf e.V. zum Referentenentwurf vom 1.6.2022 des Gesetzes zur Abschaffung der Kostenheranziehung von jungen Menschen in der Kinder- und Jugendhilfe

SOS-Kinderdorf begrüßt ausdrücklich, dass die Bundesregierung das im Koalitionsvertrag formulierte Vorhaben: „Heim- und Pflegekinder sollen eigene Einkünfte komplett behalten können.“ (KoaV, S.78) angeht und das BMFSFJ einen Referentenentwurf dazu vorlegt. Damit könnte eine jahrelange Forderung von SOS-Kinderdorf und der jungen Menschen in unseren Einrichtungen Realität werden.

Die letzte Reform des SGB VIII durch das Kinder- und Jugendstärkungsgesetz (KJSG) im letzten Jahr führte im Rahmen eines Kompromisses lediglich zu einer Absenkung der Kostenheranziehung junger Menschen in der Kinder- und Jugendhilfe von 75% auf 25% ihres aktuellen monatlichen Einkommens – mit Ausnahmen und Freibeträgen für Einkommen aus Praktika, Ferienjobs, Ausbildungsvergütung oder einem freiwilligen Engagement. Die Praxis hat immer wieder gezeigt, dass die Kostenheranziehung höchst unterschiedlich gehandhabt wurde: Jugendliche und junge Erwachsene in Einrichtungen von SOS-Kinderdorf wurden in unterschiedlicher Höhe zu den Kosten der Leistung herangezogen, je nach Ermessen des zuständigen Jugendamtes. Das führte regelmäßig zu einer Ungleichbehandlung von Heranwachsenden, die dem fachlichen Grundsatz einer bestmöglichen Unterstützung von allen jungen Menschen in der Erziehungshilfe zuwiderläuft. Jugendliche in der Betreuung und Care- Leaver aus dem Kinder- und Jugendrat von SOS-Kinderdorf haben deshalb zurecht mehr Transparenz und Gleichbehandlung und damit mehr Gerechtigkeit eingefordert.

Kostenheranziehung belastet nicht nur finanziell, sondern auch psychisch

Über eigenes Geld zu verfügen, bedeutet gerade für junge Menschen in stationären Erziehungshilfen einen großen Schritt in Richtung eines eigenständigen Lebens. Die Aufgabe der Jugendhilfe ist es, die Heranwachsenden auf diesem Weg zu unterstützen. Die Kostenheranziehung ist hier insofern kontraproduktiv, dass junge Menschen diese oft als Bestrafung empfinden: „[W]ir haben uns nicht entschieden, hier in der Einrichtung zu leben. Die meisten von uns hatten Probleme in ihrem Elternhaus und konnten da gar nicht weiter wohnen. […] Klar, [wir bekommen] Taschengeld und [wir haben] eine Wohnung und Essen. Aber ich kenne auch eine Menge Auszubildende die dasselbe haben, aber trotzdem ihr ganzes Geld von ihrer Ausbildung bekommen, weil sie zu Hause wohnen. […] Wir müssen aber dafür zahlen.“, ist ein Zitat eines Mitglieds unseres Kinder- und Jugendrats zu diesem Thema. Dabei ist das Aufwachsen außerhalb der Herkunftsfamilie bereits an sich eine zusätzliche Herausforderung für jungen Menschen.

Auf dem Weg in die Selbstständigkeit ist die Kostenheranziehung nicht nur eine erlebte Bürde und Ungerechtigkeit, sondern sie führt auch dazu, dass z.B. das Ansparen einer Kaution für eine eigene Wohnung oder einen Führerschein erschwert wird – und das bei einer Gruppe von jungen Menschen, die meistens auch in ihrem späteren Leben wenig bis keine Unterstützung aus ihrem Elternhaus erfahren. Jungen Menschen, die sowieso schon unter schwierigen Bedingungen aufwachsen, wird damit durch die Kostenheranziehung der Weg in ein eigenständiges Leben zusätzlich erschwert.

Dazu trägt auch bei, dass die Kostenheranziehung demotivierend wirkt. Das betrifft nicht nur die Motivation sich in ehrenamtlichen Kontexten oder in Freiwilligendiensten einzubringen und dabei wertvolle Erfahrungen für die eigene Persönlichkeitsentwicklung zu machen, sondern gerade im Kontext von Ausbildungen ist das fatal, denn eine verringerte Motivation kann sich auch auf die Leistungen dort auswirken bzw. verhindern, dass eine Beschäftigung oder Ausbildung begonnen wird. Das schränkt nicht nur die Chancen der jungen Menschen am Arbeitsmarkt ein, den jungen Menschen fehlen letztlich auch Mittel, um finanziell unabhängig zu werden.

Wir fordern: Kostenheranziehung auch für junge Menschen mit Behinderung abschaffen

Wir teilen deshalb vor dem Hintergrund unserer Praxisexpertise und der Beteiligung des Kinder- und Jugendrates von SOS-Kinderdorf uneingeschränkt die Problembeschreibung des Referentenentwurfs. Allerdings vermissen wir, dass die Kostenheranziehung auch für Heranwachsende, die Ausbildungsgeld nach § 122 SGB III erhalten, abgeschafft wird.

Das Ausbildungsgeld wird jungen Menschen mit einer Behinderung während der Teilnahme an berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahmen (einschließlich einer Grundausbildung) und einer individuellen betrieblichen Qualifizierung im Rahmen der unterstützten Beschäftigung nach § 55 SGB IX gezahlt. Auch wenn sie in einer Maßnahme im Eingangsverfahren oder im Berufsbildungsbereich einer anerkannten Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) oder in einer beruflichen Erstausbildung zur Sicherstellung des Lebensunterhalts sind, bekommen sie Ausbildungsgeld, wenn kein Anspruch auf Übergangsgeld existiert. Dieses wird vollständig vom Jugendamt einbehalten. Dass junge Menschen mit Beeinträchtigung hier schlechter gestellt werden als andere, ist nicht nachzuvollziehen – insb. nicht vor dem Hintergrund des in der letzten Legislaturperiode beschlossenen KJSG, mit dem Heranwachsende ausdrücklich gestärkt wurden und der Weg in eine inklusive Jugendhilfe beschritten wurde. Entsprechend fordern Jugendliche aus dem Kinder- und Jugendrat die Abschaffung der Kostenheranziehung: „[I]ch mache eine Ausbildung als Tischler und die wird finanziert über das Arbeitsamt. Und jetzt muss ich meinen ganzen Lohn zu 100 % ans Jugendamt abgeben. Und meine Frage ist: Warum? Weil, ich mache nichts anderes als ein anderer Tischler. Ich finde, die Regel muss abgeschafft […] werden.“

Das Ausbildungsgeld nach § 122 SGB III wird komplett einbehalten, da zwischen der Jugendhilfeleistung und dem Ausbildungsgeld Zweckgleichheit i. S. d. § 93 Abs. 1 S. 3 SGB VIII besteht (VG Magdeburg NZS 2012, 276). Obwohl keine genaueren statistischen Zahlen dazu vorliegen, gehen grobe Schätzungen davon aus, dass ungefähr ein Drittel der jungen Menschen, die in der stationären Jugendhilfe aufwachsen (§§ 13, 33, 34 und 35a SGB VIII), eine überbetriebliche und geförderte Ausbildung brauchen.

Nach dem vorliegenden Gesetzentwurf würde die Kostenheranziehung für diese Gruppe junger Menschen nicht abgeschafft, sondern bliebe bestehen: Das Ausbildungsgeld müsste weiterhin zu 100% im Rahmen der Kostenheranziehung abgegeben werden. Wir fordern daher an dieser Stelle im Sinne der betreffenden jungen Menschen nachzubessern. So könnte im § 93 Abs. 1 SGB VIII formuliert werden, dass für junge Menschen in einer Ausbildung das Ausbildungsgeld nach § 122 SGB III von der Heranziehung freigestellt wird, hilfsweise könnte ein Freibetrag vorgesehen werden.

Sie wünschen weitere Informationen?

Wir sind gerne für Sie da.

Sven Stumpf SOS-Kinderdorf e.V.