Marcus Weinberg, Mitglied des Deutschen Bundestages (CDU)

Marcus Weinberg setzt sich als Botschafter von SOS-Kinderdorf dafür ein, dass Kinder und Familien in Notlagen zielgenau unterstützt werden und alle Kinder gute Startchancen haben. In vier Fragen gibt der familienpolitische Sprecher der Unionsfraktion im Deutschen Bundestag Auskunft über seine Tätigkeit und seine Beweggründe.

"Erinnerungen, die das Jetzt prägen"

Hätte Marcus Weinberg nicht so viel mit seinen Großeltern über die Irrungen und Wirrungen der deutschen Geschichte gesprochen, wäre er heute vielleicht kein Politiker. Ein Gespräch, wie seine Kindheit seine Biografie geprägt hat. 

Herr Weinberg, reden wir über Familie. Wie viel Einfluss hatten Ihre Eltern auf Ihren Werdegang?

Meine Eltern und insbesondere meine Großeltern haben einen großen Anteil daran, dass ich mich für Politik und Geschichte früh interessierte und später studiert habe.  Die historischen Ereignisse haben das Schicksal meiner Familie geprägt: Während des Zweiten Weltkriegs war mein Großvater Soldat, meine Großmutter blieb alleine mit den Kindern in einem kleinen Städtchen in der Altmark. 1953 sind sie aus der ehemaligen DDR nach Hamburg geflüchtet. Meine Großeltern, die sehr politisch waren, haben viel mit mir über ihre Geschichte gesprochen - und ich habe rege nachgefragt, wollte viel darüber erfahren. Mein Großvater hat noch 1945 am Reichstag schwerverletzt gekämpft - an dem Ort, an dem ich heute als Abgeordneter eines vereinten Deutschlands arbeite. Die Geschichte trifft sich hier wieder. Die große und die kleine. Das sind Erinnerungen, die den Blick aufs Jetzt prägen.

Was hat noch Ihr Interesse an Zeitgeschichte geweckt?

Bevor ich als Kind ins Bett gegangen bin, durfte ich die Tagesschau sehen. Das, womit man sich vor dem Schlafengehen beschäftigt, bleibt im Kopf. Wenn ich morgens dann in der Grundschule im Stuhlkreis saß, habe ich immer davon erzählt, was aktuell in der Politik los ist. Das hat meine Grundschullehrerin  durchaus beeindruckt. In meinem Grundschulzeugnis stand, dass es erstaunlich sei, welche historischen und politischen Sachkenntnisse ich besäße. Später, auf dem Gymnasium, haben mich meine Lehrer teilweise inspiriert und provoziert: Einige haben sehr radikale Positionen vertreten, mit denen habe ich mich gerne gestritten.

Wollten Sie bereits als Kind Politiker werden?

Zunächst habe ich in Hamburg Geschichte und Politik studiert und bin Lehrer geworden. Politiker ist kein Beruf, sondern eine Berufung. Es kann zu einem Beruf werden, aber zunächst ist es mehr eine Überzeugung. Politiker sollen ja auch authentisch und bodenständig bleiben. Man sollte nicht planen, Berufspolitiker zu werden. Ich war, neben meinem Beruf als Lehrer, immer an der Tagespolitik interessiert und bin später dann in der Kommunal- und Landespolitik aktiv geworden.

Was sind die wichtigsten Tugenden, die Ihnen Ihre Eltern mit auf den Weg gegeben haben?

Ehrlichkeit, Anstand, Benehmen, Freundlichkeit, Hilfsbereitschaft, Nächstenliebe, Solidarität. Das sind Tugenden, die unsere Gesellschaft tragen - und die in der Familie und im sozialen Umfeld vorgelebt werden. Ich gebe Sie auch an meinen Sohn weiter.

Sind diese Tugenden vom Aussterben bedroht? Der gesellschaftliche und politische Ton wird immer rauer.

Vom Aussterben sind diese Tugenden nicht bedroht, aber es ist durchaus eine negative Veränderung in der politischen Kultur festzustellen. Das sieht man nicht nur in den USA mit Herrn Trump, wo Grenzen des Umgangs und der Kultur überschritten werden. Mit Grenzen überschreiten meine ich auch, dass zum Beispiel absichtlich die Unwahrheit gesagt wird - das ist eine gefährliche Entwicklung, die in Deutschland zum Glück so noch nicht feststellbar ist.

Inwiefern gibt Ihnen Ihre Familie heute die nötige Kraft, die Sie für Ihren Beruf als Politiker brauchen?

Meine Familie fragt mich manchmal: Warum tust Du Dir den Job an? Sowohl, was den Stress angeht, als auch vermehrt die Beschimpfungen, denen man zum Teil ausgesetzt ist. Manchmal stelle ich mir selbst diese Frage. Wenn ich meinen Sohn anschaue, dann weiß ich wieder die Antwort. Weil ich als Politiker einen Aufgabe habe: Die Welt im Kleinen ein bisschen besser und schöner gestalten, damit er davon profitieren kann. Ich arbeite als Politiker für unsere Kinder und nachfolgenden Generationen. Ganz konkret hilft mir meine Familie im Alltag, meine Batterien wieder aufzuladen. Mein Sohn Emil ist mit acht Jahren ja noch kleiner und freut sich immer sehr, wenn ich nach ein paar Tagen Abwesenheit wieder nach Hause komme. Mit ihm zum Fußball zu gehen und Würstchen essen - das ist wie eine Akku-Ladestation.

Was für einen Einfluss hat aus Ihrer Sicht der familiäre Halt als Kind auf die spätere Biografie?

Die Kindheit prägt das gesamte Leben, positiv oder negativ.  Und sie hat Einfluss darauf, ob man später selbstsicher und stabil, oder das genaue Gegenteil, ist. Nicht nur als Politiker muss man heute relativ selbstbewusst und sicher sein. Sonst ist der Job schwer durchzuhalten.

Was ist das Wichtigste, was Sie Ihrem Sohn mit auf den Weg geben wollen?

Dass er ein positives Lebensgefühl entwickeln kann, dass er für sich glücklich und zufrieden ist.

Was gehört aus Ihrer Sicht, im persönlichen Rückblick, zu einer glücklichen Kindheit dazu? Was sind beispielsweise Erinnerungen, von denen Sie heute, als Erwachsener, noch Kraft schöpfen?

Für mich gehört die Erinnerung an die Leichtigkeit des Seins eines Kindes, die Leichtigkeit der Kindheit, dazu. Ich bin in der Stadt groß geworden. Meine Eltern hatten ein kleines Wochenendhaus im Grünen. Den ganzen Tag draußen toben und Fußball spielen, das war herrlich. Genauso wie die Zusammenkünfte der Familie im größeren Rahmen. Es wurde Eierlikör getrunken und beim Schein von Petroleumlampen aus der alten Zeit erzählt. Das war sehr idyllisch. Das gibt es heute weniger, weil sich die Familienmodelle und -strukturen verändert haben. Früher, zu meiner Zeit, gab es noch ein intensives Zusammensein.

Sie sind als Botschafter von SOS-Kinderdorf sozusagen Lobbyist für Kinder: Was sind Ihre zentralen Anliegen?

Kinder sollen in allen Bereichen gewaltfrei und glücklich aufwachsen können - im familiären und sozialen Umfeld, in Schulen und Kindertagesstätten. Wichtig ist mir deshalb besonders, Kinder besser vor Missbrauch und sexualisierter Gewalt zu schützen und dafür zu sorgen, dass deren Rechte gestärkt werden. Das ist meine Hauptmotivation. Zusammen mit SOS-Kinderdorf bringe ich mich dafür ein.

Wie ist es aus Ihrer Sicht um die Chancengerechtigkeit für Kinder in Deutschland bestellt?

Chancengerechtigkeit ist für uns ein sehr wichtiges Anliegen. Leider gibt es Kinder, die aufgrund ihrer finanziellen Situation von Kultur und Bildung und von Freizeitangeboten, ausgeschlossen sind. Das darf nicht sein. Deshalb wollen wir beispielsweise das Bildungs- und Teilhabepaket noch einmal aufstocken. Neben dem Thema Kinderschutz werden wir Familienpolitiker das Thema Kinderarmut in den nächsten drei Jahren noch mehr in den Fokus rücken und weiter konsequent angehen.

Ist es heute, obwohl es Deutschland so gut geht wie noch nie, aus Ihrer Sicht schwieriger, Kind zu sein? Waren die Kinder früher glücklicher?

Glück ist eine emotionale Wahrnehmung. Es hat nicht unbedingt etwas mit Wohlstand zu tun. Aber man kann durch fehlenden Wohlstand auch schnell unglücklich werden, gerade dann, wenn man Hunger und Verzicht leidet. Voraussetzung für eine glückliche Kindheit ist, dass es Deutschland gut geht. Aber was nicht stimmt, ist die Aussage: Je reicher, desto glücklicher. Das empfinden zwar einige Erwachsene so - für Kinder gelten andere Faktoren. Dass eine teilweise materialistische Gesellschaft auch teilweise materialistische Kinder erzieht, ist keine Frage. Das Glücksempfinden von Kindern hängt jedoch davon ab, ob sie eine stabile Bindung haben, eine gewisse Form von Freiheit spüren und sich in ihrer Familie wohl fühlen.

Zur Person

Marcus Weinberg wurde 1967 in Hamburg geboren. Seit 2005 ist er Mitglied des Deutschen Bundestags und seit 2014 familienpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.
Im August 2018 wurde Weinberg zum Botschafter des SOS-Kinderdorf e.V. ernannt.
Seine Aufgabe als Botschafter besteht darin, eine Öffentlichkeit für die Belange der Kinder und Jugendlichen in schwierigen Lebenslagen deutschlandweit zu schaffen.