Familienberatung im schulischen Bereich

21. November 2018

Eine Fallbeschreibung von Uwe Lange, Psychologe bei Beratung und Treffpunkt in Blomberg

Mein Name ist Uwe Lange, ich bin Psychologe bei Beratung und Treffpunkt in Blomberg, einer Einrichtung vom SOS-Kinderdorf Lippe. An einem erfundenen, aber typischen Beispiel möchte ich Ihnen einen Teil unserer Arbeit vorstellen: die Beratung im schulischen Bereich. Im Mittelpunkt der Fallbeschreibung steht ein achtjähriger Junge, nennen wir ihn Markus. Auf Empfehlung der Schule melden sich bei „Beratung und Treffpunkt“ die Eltern von Markus zu Beginn des zweiten Halbjahres der zweiten Klasse der Grundschule. Markus hat drei Geschwister im Alter von vier, zehn und zwölf Jahren.
Die Eltern möchten zum ersten Gespräch zunächst lieber ohne Markus kommen. Sie machen sich Sorgen, weil Markus´ Leistung abgesackt ist und er nicht mehr gerne in die Schule geht. Das war im ersten Schuljahr noch anders; die Veränderung ist deutlich. Außerdem zieht sich Markus auch in der Freizeit zurück und seine Neurodermitis hat sich verstärkt. Spielkontakte hat er vor allem mit jüngeren Kindern.
Die Eltern haben die Vermutung, dass Markus im zweiten Schuljahr überfordert ist und wünschen sich - in Absprache mit der Schule - eine Testung. Die Eltern nehmen nach dem ersten Gespräch einen ausführlichen Fragebogen unserer Beratungsstelle über die Entwicklung des Kindes mit. Diesen bringen sie nach wenigen Tagen ausgefüllt zu uns zurück. Die gemeinsame Auswertung des Elternfragebogens ergibt keine ungewöhnlichen Entwicklungseinschränkungen, bis auf die Neurodermitis, die Markus schon seit dem zweiten Lebensjahr begleitet. Die Streitigkeiten unter den Geschwistern halten sich auch im üblichen Rahmen. So beschließen wir gemeinsam, den angefragten Intelligenztest mit Markus zu machen, um zu klären, ob er überfordert ist. Die Eltern meinen, dass ein Termin zum Kennenlernen vorab zwischen Markus und mir nicht nötig ist. Der Vater, der Markus zu uns bringt, wird aber zur Sicherheit im Wartezimmer bleiben.
Ich mache dann mit Markus einen Intelligenztest. Markus ist dabei aufmerksam und hat Spaß an seinen Erfolgen. Seine Aufmerksamkeit lässt aber zur Hälfte des Tests so deutlich nach, dass wir lieber einen zweiten Termin vereinbaren. Bei diesem Termin ist Markus gelöster als beim ersten und fragt zum Schluss, wann er denn wiederkommen darf. Bei der Auswertung des Tests kommt Markus auf einen IQ-Wert von 87. Das kann seine Schwierigkeiten in der zweiten Klasse durchaus erklären.
Die Ergebnisse bespreche ich mit den Eltern: Stärken, Schwächen, Gesamtergebnis und meine Beobachtungen, die sich nicht in Zahlen ausdrücken lassen. Dann berate ich die Eltern bei der Planung der weiteren Schritte. Sie wollen für Markus in der Schule eine Rückversetzung einleiten und gemeinsam mit der Schule überlegen, in welche der Parallelklassen des ersten Schuljahres er gut passen würde. Um Markus´ Selbstwertgefühl wieder aufzubauen, schlage ich darüber hinaus vor, seine außerschulischen Aktivitäten wieder mehr zu fördern. Hier interessiert sich Markus besonders für Karate und Fußball. Markus würde sich auch gerne bei der Jugendfeuerwehr engagieren, doch dafür ist er leider noch zu jung. Aber das ist ein guter Plan für die Zukunft!
Mit diesem Gespräch endet die Betreuung vorläufig. Bei neuen Schwierigkeiten wollen sich die Eltern wieder bei mir melden.
Diese Beratung umfasste insgesamt fünf Termine. Wichtig aus Sicht der Beratungsstelle ist, dass die Eltern zu Recht das Gefühl haben, dass der Fortgang der Beratung transparent ist und sie die Richtung bestimmen. Kontakte zu anderen Einrichtungen, wie etwa zur Schule oder zum Kinderarzt, werden nur mit ausdrücklicher Erlaubnis der Eltern aufgenommen. In diesem Fall wollten die Eltern das nicht, sondern den Kontakt zur Schule selbst in der Hand behalten. Aber natürlich würde ich die Eltern zu einem Gespräch in der Schule begleiten, falls sie dies wünschen.
Dieser kurz skizzierte Ablauf ist nur ein Beispiel dafür, wie unsere Arbeit bei „Beratung und Treffpunkt“ im SOS-Kinderdorf Lippe aussehen kann. Ein festes Muster gibt es hierfür nicht, denn jedes Kind ist ganz eigen in seiner Persönlichkeit, hat individuelle Bedürfnisse und besondere Fähigkeiten. Auch der Zugang zum Kind und zu seinen Eltern in unserer gemeinsamen Arbeit ist jedes Mal anders, so wie die Herausforderungen mit denen das Kind und seine Familie konfrontiert sind. Dadurch ist meine Arbeit als Psychologe bei Beratung und Treffpunkt sehr abwechslungsreich und manchmal auch sehr anspruchsvoll - aber in jedem Fall besonders.
Text: Uwe Lange, SOS-Kinderdorf Lippe, Beratung und Treffpunkt Blomberg