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Wohngruppe in Hohenroth öffnet die Türen!

02. Juni 2021

Zwei Jahre nach der Grundsteinlegung ist das Haus für Menschen mit erhöhtem Hilfebedarf nach Zeitplan fertiggestellt worden.

Am 17. Mai 2019 sang die Hausgemeinschaft Schade unter Gitarrenbegleitung von Hausmutter Franziska Schade „Komm, bau ein Haus, das uns beschützt“. Mit Nachdruck hatten die Hohenrother auch durch das Lied selbst den Wunsch formuliert, ebenso im Alter in Hohenroth wohnen bleiben zu dürfen. Der Anlass war damals die Grundsteinlegung des neuen Zentrums. Zwei Jahre später ist der Wunsch der Betreuten Wirklichkeit geworden: das neue Zentrum hat gestern, am 1. Juni, seine Türen für die ersten 23 Bewohner mit erhöhtem Hilfebedarf geöffnet. Die Eröffnungsfeier muss leider verschoben werden und soll im darauffolgenden Sommer 2022 ganz groß gefeiert werden. Die Gesamtplatzzahl der Einrichtung bleibt bei 162 stationären Plätzen. Gefördert wird dieses Projekt durch den Bezirk Unterfranken, den Freistaat Bayern und die Aktion Mensch.

Erhöhter Hilfebedarf – besonders im Alter

Zwei Drittel der Bewohner leben seit mehr als 20 Jahren in ihrer Wahlheimat Hohenroth. Dementsprechend steigt die Anzahl an Menschen mit höherem Hilfebedarf, durch nachlassende Arbeitsfähigkeit und dem Bedürfnis nach entschleunigten Tagesabläufen. Das Hauselternmodell ist jedoch nicht auf den erhöhten Hilfebedarf ausgelegt und die derzeitigen Häuser nicht barrierefrei zugänglich sind. Als im Jahr 2011 die „Villa Adelmann“ in Burgsinn eröffnet wurde, war ein großer Schritt in Richtung würdiges Leben im Alter für die Personen mit Assistenzbedarf getan. Über zehn Jahre hinweg wurden die Hohenrother Senioren dort von einem überaus engagierten Team bestens umsorgt. Doch bald wurde klar, dass das Haus für die Hohenrother Bedürfnisse zu klein und die Entfernung nach Hohenroth zu weit ist. Die Bewohner der Dorfgemeinschaft sind stark verwurzelt mit ihrer Wahlheimat. Freunde, Partner und Bezugspersonen leben hier. Mit dem Einzug in das Zentrum können die Hohenrother über das Erreichen des Rentenalters hinaus in der Dorfgemeinschaft bleiben und werden – wenn möglich – bis ans Lebensende versorgt und begleitet.  Dass dieser Neubau möglich wird – fernab von universitär gedachter Pädagogik – zeugt von dem Grundgedanken der SOS-Familie: Familie und Bindung – und dies lebenslang.
„Wenn diese Bewohner Hohenroth verlassen müssten, wäre das wie das Entwurzeln eines Baumes. Sie würden ihre Freunde verlieren, ihre Heimat und vielleicht auch ihre Identität.“ 
Mario Kölbl, Einrichtungsleiter SOS-Dorfgemeinschaft Hohenroth

So selbstbestimmt wie möglich

Das Leistungsangebot umfasst den Wechsel von Assistenz, Körperpflege, Therapie, Förderung und Freizeitaktivitäten. Ein Gefühl des „Gebraucht Werdens“ wird durch sinnhafte Tätigkeiten vermittelt. Die geistigen und körperlichen Fähigkeiten werden gemäß den individuellen Möglichkeiten gefördert bzw. erhalten. Der Alltag ist geprägt von der bewussten Gestaltung der Dinge des täglichen Lebens (z. B. Ankleiden, Körperpflege, Ernährung und Essenszubereitung, Wohnraum in Ordnung halten) und dem Bewusstsein, dass Hohenrother mit höherem Hilfebedarf mehr Zeit brauchen, um ihr Leben weiterhin möglichst eigenständig und selbstbestimmt führen zu können. Hinzu kommen Kontaktpflege und Freizeitaktivitäten innerhalb der Dorfgemeinschaft und der Region sowie das Gestalten und Mitfeiern von jahreszeitlichen Festen und Veranstaltungen. Wählbar sind außerdem Bildungsangebote in verschiedenen Epochen, Spaziergänge, Englischkurse oder Kerzen ziehen in der integrierten Kerzenwerkstatt. Für besonders entspannte Momente sorgt ein Snoezelenwagen: Mit sanftem Licht, schönen Farbeffekten und angenehmen Dufteffekten dürfen die Bewohner Geschichten mit Klangerlebnis anhören, und dadurch seelische Harmonisierung erfahren.

Integration in gewohnte Alltags- und Arbeitsabläufe

Am Nachmittag können Menschen, die nicht im Neubau leben, die Angebote der Tagesstruktur mit nutzen, wenn sie den Abläufen in den Werkstätten nicht mehr im vollen Umfang gewachsen sind. Im Neubau entstehen auch neue Arbeitsfelder wie die Versorgerküche für jüngere Hohenrother aus den regulären Hausgemeinschaften. All diese Möglichkeiten tragen dazu bei, dass die Bewohner der Wohngruppen trotz eines erhöhten Hilfebedarfes weiterhin ein aktiver Teil der Gemeinschaft und Gesellschaft sind, der Kontakt zu ihren Freunden, Partnern und Bezugspersonen bestehen bleibt und sie weiterhin in ihrer Heimat Hohenroth leben können. Auch können die Bewohner der Wohngruppen nach Wunsch und Fähigkeit weiterhin zeitweise in ihrem bisherigen Arbeitsbereich mitarbeiten und die Werkstätten selbständig aufsuchen. Darüber hinaus bietet die räumliche Nähe ausdifferenzierter Angebote innerhalb der Dorfgemeinschaft vielfältige Möglichkeiten zum Austausch unter den Personen mit Assistenzbedarf und Mitarbeitenden und ermöglicht flexible, bedarfsorientierte Übergänge zwischen den Angebotsbereichen. Bei der Planung des Neubaus wurden die Hohenrother immer wieder miteinbezogen. 
„Auf Wunsch der Hohenrother wurde so ein Gemeinschaftsbalkon statt einzelner Zimmerbalkone angebaut. Besonders auf ein eigenes Bad und das schöne neue Haus freuen sich die Bewohner.“
Birgit Grimm, Teamleiterin des Zentrums
Die Wochenenden und Feiertage verbringen die Menschen im Wohnbereich und haben die Möglichkeit, besondere Freizeitangebote wahrzunehmen. Für Tagesausflüge in der Region, für Einkäufe im nahen Gemünden und für Besuche von kulturellen Veranstaltungen steht ein rollstuhlgerechter Kleinbus zur Verfügung. Die medizinische Versorgung erfolgt ortsnah durch die niedergelassenen Haus- und Fachärzte. Ebenso kommen externe Therapeuten aller Fachrichtungen (z. B. Ergotherapie, Logopädie, Physiotherapie) zu Hausbesuchen in die Dorfgemeinschaft und nutzen die Räumlichkeiten im Neubau. Der Neubau ist ein integrierter Bestandteil des dörflichen Lebens und die Personen mit höherem Hilfebedarf sind sowohl mit den anderen Dorfbewohner*innen als auch den Menschen ohne Behinderung aus dem Sozialraum vernetzt. Durch die vorhandene Infrastruktur (Bahn, Bus und Fahrdienste) ist die Anbindung in den Sozialraum sichergestellt.

In der „Mitte“ der SOS-Dorfgemeinschaft

Der Neubau ist auf Wunsch der Hohenrother in der Mitte der Dorfgemeinschaft Hohenroth angesiedelt. Durch die zentrale Lage ist gewährleistet, dass die Bewohner der Wohnstätte am öffentlichen Leben in der Dorfgemeinschaft teilhaben und sich aktiv einbringen können. Alle Bildungs-, Förder- und Freizeitangebote (z. B. Internetgruppe, therapeutisches Reiten, Theater, Chorsingen) der Gesamteinrichtung sind so nutzbar. Auch die Teilnahme an Exkursionen und Ausflügen oder die Möglichkeit, im Bewohnerrat mitzuwirken, ist dadurch erleichtert. Café, Naturkostladen, Werkstätten und der Festsaal können selbstständig besucht werden.
Trotz der Einhaltung aller vorgegebenen Richtlinien soll dennoch kein „Heim-Charakter“ entstehen. Die Personen mit Assistenzbedarf können ihr Umfeld entsprechend ihrer persönlichen Vorstellungen gestalten, dadurch kann die für Hohenroth typische familiäre Atmosphäre aufrechterhalten werden. Das Zentrum ist kein Pflegeheim, da Intensivpflege durch die Angestellten der Dorfgemeinschaft nicht leistbar wäre. Multiprofessionelle Teams aus Heilerziehungspflegern und pädagogischen Kräften aus dem bisherigen Personal werden sich um die Betreuten kümmern, nur wenige Neueinstellungen sind geplant. Die Planung des Neubaus erfolgte durch das Architekturbüro Stahl & Lehrmann aus Würzburg. Als besonders sticht das Farbkonzept hervor, jede Wohngruppe verfügt über einen eigenen Farbbereich zur Orientierung. Die hellen Farben strahlen eine heimelige Wohlfühlatmosphäre aus. 

Eckdaten: 

  • zweistöckigen Gebäude mit 2550 Quadratmeter Fläche 
  • zwei Wohnbereiche mit je zwölf Einzelzimmern und mehrere Räume zur Tagesstruktur Platz
  • barrierefreie Einzelzimmer mit eigenem Sanitärraum 
  • Zimmer verfügen über Grundausstattung und können individuell mit eigenen Möbeln eingerichtet und gestaltet werden
  • Vier der zwölf Zimmer je Wohngruppe sind rollstuhlgerecht
  • In jeder Wohngruppe besteht die Möglichkeit des Paarwohnens in zwei verbundenen Einzelzimmern 
  • Telefon- und TV-Anschluss, Internetzugang sowie eine Rufanlage in allen Bewohnerzimmern

Im Interview: Einrichtungsleiter Mario Kölbl