Arme Kinder, reiches Land – ist das gerecht?

Berlin, 20. Februar 2018

Zum heutigen Welttag der sozialen Gerechtigkeit kamen rund 100 Gäste aus Politik, Wissenschaft, Fachwelt und Praxis in der Botschaft für Kinder des SOS-Kinderdorf e.V. in Berlin zusammen, um über das drängende Thema Kinderarmut in Deutschland zu diskutieren: Fast jedes fünfte Kind wächst hierzulande in Armut auf. Diese jungen Menschen haben oft schlechtere Bildungschancen, stehen häufiger im gesellschaftlichen Abseits und sind vielfach in ihrer gesundheitlichen Entwicklung beeinträchtigt. Das schränkt ihre Zukunftschancen von Anfang an ein. Für SOS-Kinderdorf ist das ein unhaltbarer Zustand – und Grund genug, hartnäckig nachzuhaken: Welche Lösungsansätze bietet die Politik, um Kinderarmut zu bekämpfen?  Wie kann der Armutskreislauf durchbrochen werden? Was bietet hierzu der vorliegende Koalitionsvertrag?
 
„Deutschland kann sich keine armen Kinder leisten.“
„Armut grenzt aus, macht klein und verschlechtert die Chancen gut ins Leben zu starten. Der Kampf gegen Kinderarmut muss zu einem Schwerpunkt der Arbeit der kommenden Bundesregierung werden, denn ein reiches Land wie Deutschland kann sich keine armen Kinder leisten. Kinder sind vor allem dann arm, wenn ihre Eltern arm sind. Gegen Kinderarmut helfen deshalb gute Löhne, aber auch eine Politik, die noch mehr die Vereinbarkeit von Familie und Beruf in den Mittelpunkt stellt“, so die geschäftsführende Bundesfamilienministerin Dr. Katarina Barley in ihrer Keynote.  
„Das Ausmaß von Kinderarmut wird unterschätzt.“
„Kinderarmut in Deutschland betrifft besonders Familien mit vielen Kindern, Kinder von Alleinerziehenden und Flüchtlingskinder. Sie alle ‚erben‘ die Armut von ihren Eltern und haben in den seltensten Fällen die Chance, jemals ihre prekäre Situation zu überwinden. Wir haben Hinweise darauf, dass wir das Ausmaß der Kinderarmut deutlich unterschätzen. So wissen wir beispielsweise zu wenig über den Zusammenhang zwischen gefühlter und objektiver, also statistisch gemessener,  Armut bei Kindern. Um diese vielschichtigen Probleme zu lösen, brauchen wir eine Reihe von Maßnahmen. Dazu gehört, dass wir Kinderarmut erkennen und bekämpfen, sobald sie entsteht. Die besten Kitas und Schulen müssen Kindern in Armut offen stehen. Und wir brauchen eine systematische, langfristige Betreuung für diese Kinder von Tag 1 an“, beleuchtete Prof. Dr. h.c.  Jutta Allmendinger, Ph.D., Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB), Kinderarmut aus wissenschaftlicher Perspektive. 
Forderung nach wirkungsvollem Gesamtkonzept zur Bekämpfung von Kinderarmut
Auf dem Podium diskutierten Katja Dörner, MdB  (Bündnis 90/Die Grünen), Marcus Weinberg, MdB (CDU), Anette Stein, Director des Programms „Wirksame Bildungsinvestitionen“ der Bertelsmann Stiftung sowie Sabine Genther, Leiterin des SOS-Mütterzentrums Salzgitter des SOS-Kinderdorf e.V. Die Diskutanten beleuchteten somit das Thema aus den unterschiedlichen Blickwinkeln von Politik, Wissenschaft und Praxis.
Der Vorstandsvorsitzende des deutschen SOS-Kinderdorfvereins, Dr. Kay Vorwerk, appellierte in seiner Begrüßung an die gemeinsame Verantwortung von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft  allen jungen Menschen eine Perspektive auf ein eigenständiges und erfolgreiches Leben zu bieten. Aus Sicht der Kinderhilfsorganisation sind Bildung und verlässliche Beziehungen die wichtigsten Faktoren, um Chancengerechtigkeit herzustellen und so langfristig den Armutskreislauf zu durchbrechen. Doch gerade in diesem Bereich herrscht in Deutschland große Ungleichheit. Noch immer bestimmt vor allem die soziale Herkunft eines Kindes in hohem Maße seine Bildungslaufbahn. SOS-Kinderdorf fordert seit langem, dass alle Kinder die gleichen Chancen auf Bildung und gesellschaftliche Teilhabe erhalten, und zwar unabhängig von den Möglichkeiten der Eltern: „Wir fordern von der Politik ein wirkungsvolles familienpolitisches Gesamtkonzept, das allen jungen Menschen gerechte Zukunftschancen eröffnet. Dazu gehören finanzielle Leistungen, Betreuungsangebote und individuelle Unterstützung“, so Vorwerk.