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Interview mit Sozialarbeiterin Alina Bobko

„Es geht mir hier seelisch schlechter als in der Ukraine“

Alina Bobko hat als Sozialarbeiterin mit jungen Menschen von SOS-Kinderdorf Ukraine in der Region Kiew gearbeitet. Der Krieg zwang sie, aus ihrem Land zu fliehen. Obwohl Alina in Sicherheit ist, kämpft sie mit der Überlebensschuld. Im Gespräch erzählt sie, wie der Krieg sich auf die psychische Gesundheit auswirkt. 

Alina, können Sie erzählen, wie alles begann? 

Am 24. Februar sind wir um 5 Uhr morgens durch Explosionen aufgewacht. Mein Mann sagte, es sei nur ein Traum und man müsse keine Angst haben. Dann kam die zweite Explosion, Sirenen ertönten. Wir rannten zu den Fenstern. Uns war klar, dass etwas Schlimmes vor sich ging, aber wir konnten es immer noch nicht glauben. Wir hofften, dass es sich nur um Feuerwerkskörper irgendwo in der Nähe handelte. Vova, ein Jugendlicher aus dem SOS-Kinderdorf, der in der letzten Zeit bei uns wohnte, war in dieser Nacht in seiner Wohnung. Ich rief ihn sofort an. Er meinte, er habe nichts gehört. Ich sagte ihm, er solle sofort zu uns kommen.

Wie und wo hat Ihre Familie die ersten Tage des Krieges verbracht?

Wir blieben zwei Tage lang zu Hause in Browary. Die Situation war wirklich beängstigend. Wir waren zu fünft – mein Mann, unser zwölfjähriger Sohn, Vova, mein kleiner Neffe und ich. Wir klebten die Fenster ab und richteten ein Versteck ein. Bald war klar, dass dies nicht sehr sicher war. Am 26. Februar beschlossen wir zu Verwandten außerhalb der Stadt zu fahren und in deren Keller zu übernachten. Auch dort stellte sich kein Gefühl der Sicherheit ein. Ihr Haus liegt nicht weit vom Flughafen Boryspil entfernt. Wenn es am Flughafen Explosionen gab, konnten wir das hören.

Warum haben Sie beschlossen zu gehen?

Wir hatten nicht vor zu gehen. Aber wegen der Explosionen und der ständigen Gefahr beschlossen wir, unseren Sohn und meinen Neffen in Sicherheit zu bringen. Sie hatten Albträume. Sie schrien und bewegten sich im Schlaf, als ob sie irgendwohin rennen wollten. Mein Neffe entwickelte einen nervösen Tick. Es war ein solches Chaos. Wir erfuhren dann, dass ein Zug von Kiew in die Westukraine fährt. Für uns war es nicht wichtig, wohin wir gehen. Wir wollten nur weit weg vom Geschehen. Es war schwierig, den Ort zu verlassen, da es bereits militärische Kontrollpunkte gab. Nach drei Tagen fuhren mein Sohn, mein Neffe, die Schwester meiner Mutter und ich mit dem Zug nach Uschhorod im Westen der Ukraine. 

Wie schwierig war es, die Ukraine zu verlassen?

Sehr schwierig. Auf der Fahrt nach Uschhorod haben wir 17 Stunden im Zug gestanden. Unser Plan war es, in der Westukraine zu bleiben und zu warten. Aber dann hörten wir Informationen aus Kiew, dass wir mit den Kindern nach Europa ausreisen sollten, falls es dort Verwandte gäbe. Wir beschlossen, weiterzufahren. Es dauerte weitere 24 Stunden bis zum Haus meiner Schwester in Mitteleuropa. 

Wie fühlen Sie sich jetzt? 

Um ehrlich zu sein, fühle ich mich emotional viel schlechter als zu Hause. Hier bin ich ohne den Mann, der mich beruhigen könnte – meinen Mann. Ich glaube, ich könnte mich ein wenig entspannen, wenn er hier wäre. Vova und er sind jetzt in einer anderen Region, aber sie schlafen immer noch in Kellern. Der Gedanke daran lässt mich zusammenbrechen. Ich spürte hier schon am zweiten Tag eine starke emotionale Belastung. Ich fühle mich schuldig. Ich weiß, dass ich hier sicher bin. Ich weiß, dass hier niemand schießt, ich nicht weglaufen muss und man sich um uns kümmert. Aber seelisch geht es mir hier viel schlechter als in der Ukraine.*

Brauchen Sie psychologische Hilfe?

Ja, ich brauche psychologische Hilfe. Denn ich stehe in ständigem Kontakt mit den Jugendlichen aus den SOS-Kinderdörfern. Fünf von ihnen sind in einem Dorf in der Region Kiew, wo eine Kirche bombardiert wurde. Es geht ihnen allen gut. Aber manchmal rufen sie mich nachts an. Ich höre die Angst und Besorgnis in ihren Stimmen. Ich habe das Gefühl, dass ich nach solchen Anrufen professionelle Betreuung brauche. Ich bin ausgebildete Psychologin und weiß, dass ich jungen Menschen nicht helfen kann, wenn ich mich nicht auch um meine eigenen Gefühle kümmern kann. Früher habe ich Wohltätigkeitsarbeit geleistet. Ich habe den Bedürftigen Dinge gebracht und mit Ratschlägen geholfen. Jetzt helfen die Menschen in einem fremden Land meiner Familie. Es ist ein sehr seltsames Gefühl, auf der Empfängerseite zu stehen. Aber ich glaube, wie Millionen von Ukrainern, dass ich nach Hause zurückkehren, unser Leben wieder aufbauen und wieder mit meiner Familie vereint sein werde.

*Überlebensschuld ist eine Art psychischer Zustand, der sich bei Menschen entwickelt, die ein traumatisches, lebensbedrohliches Ereignis erlebt haben, das andere nicht überlebt haben. Die Überlebensschuld äußert sich unterschiedlich. Manche Menschen erfahren sie körperlich durch Übelkeit, Verdauungsprobleme, Appetitlosigkeit oder Schlaflosigkeit, andere psychisch u.a. durch Besessenheit, Apathie und Panikattacken

Menschen in Schutzräumen in Brovary

Menschen in Brovary suchen Schutz in Kellerräumen oder Bunkern.


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