Die Schwestern Sham (11) und Nour (9) und ihr siebenjähriger Bruder Muhanad kommen aus Daraja südlich von Damaskus. Wer sich heute in der ehemaligen Rebellenhochburg und vom Krieg verwüsteten Gegend umschaut, kann erahnen, was die drei Kinder durchgemacht haben. Zuerst mussten sie mit ansehen, wie ein Nachbar mit einer Kugel im Bauch starb.
Dass SOS-Kinderdorf auf die Geschwister aufmerksam wurde, hat ihnen das Leben gerettet
Dann kam das Ende der Familie: Die Mutter von Sham, Nour und Muhanad starb ebenfalls durch Schüsse. Der Vater war schon lange schwer krank und konnte sich nicht um die drei kümmern. Auch als man sie auf Familien in der Verwandtschaft verteilte, war der Albtraum nicht vorbei. Es kam zu Misshandlungen, noch heute kann man die Spuren sehen. Dass SOS-Kinderdorf auf die Geschwister aufmerksam wurde, hat ihnen das Leben gerettet. Lange Zeit wohnten Sham, Nour und Muhanad in einem SOS-Übergangsheim in Damaskus. Vom alten Leben sind ihnen nur zwei verblasste Fotos geblieben. Eines zeigt die Familie, als die Mutter noch lebte, ein zweites den Vater, der inzwischen so krank ist, dass er seine Kinder nicht einmal besuchen kann. Geblieben sind Erinnerungen, verbunden mit Schmerz und Trauer, aber auch mit dem Willen, in eines bessere Zukunft zu gehen. Die SOS-Mitarbeiter helfen ihnen dabei.
Im Speisesaal des ICC bekommen die Kinder eine warme Mahlzeit.
© SOS-Archiv / Foto: Wolfgang Kehl
Endlich wieder eine feste Bezugsperson!
Der Arzt Bassam hat immer ein offenes Ohr und ist ein ruhender Pol, der Psychologe Wassim spricht mit den Kindern über ihre inneren Schreckensbilder, ihre Ängste und Hoffnungen. Die Lehrerin Fadwa sorgt dafür, dass gute Schulleistungen ihnen wieder Mut und Selbstvertrauen geben. Und dann ist da noch Tagreed. Sie war bereits die Betreuerin der drei Kin der im Übergangsheim und heute ihre SOS-Kinderdorf-Mutter.
Tagreed nimmt Muhanad in den Arm, wann immer er es braucht.
© SOS-Archiv / Foto: Wolfgang Kehl
Tagreed ist immer da. Zum Festhalten, zum Ausweinen, zum Lachen, zum Lernen und zu allem, was die Nähe eines Menschen nur ausmachen kann. Muhanad lässt sich von ihr die Haare bürsten, dann schmiegt er sich an sie. Das Bedürfnis des Jungen und seiner Schwestern nach Nähe ist groß. Tagreed gibt den Geschwistern auch inmitten der vielen anderen das Gefühl: Ich bin ganz für Euch da.
Auch zur Schule können die drei Geschwister wieder gehen
Im Übergangsheim haben Sham, Nour und Muhanad wieder einen geregelten Tagesablauf, der Halt und Orientierung gibt: Frühstück, Zimmer aufräumen, Unterricht, Bastelstunden und Freizeitaktivitäten wie kleine Ausflüge. Die Kinder besuchten die sechste, fünfte und dritte Klasse – sie kommen gut mit. Dass sie in ihren Klassen neue Freunde gefunden haben, gab ihnen Kraft.
Dann endlich war es soweit: als eine der ersten Kinder durften die drei Geschwister in das neue Kinderdorf in Saboura einziehen. Dort geht es ruhiger zu als im Übergangsheim, wo ein ständiges Kommen und Gehen herrschte. Auf die Frage, warum die Menschen in Syrien seit sechs Jahren aufeinander schießen, haben die Kinder auch in ihrem neuen Zuhause keine vernünftige Antwort gefunden – es gibt sie nicht.