Nach ihrer Flucht nach Deutschland landen viele ukrainische Flüchtlinge zuerst einmal in Berlin. Rund 60.000 Menschen sind laut der Stadt bereits registriert. Das SOS-Kinderdorf Berlin in Moabit hat bereits zwei Familien aufgenommen, kurz-, mittel- oder langfristig sollen um die 30 Menschen eine Unterkunft finden. Ergänzende Hilfsangebote wie Deutschkurse oder offene Treffs baut das SOS-Kinderdorf aus. Rainer Kurzeder, Koordinator für die Ukrainehilfe, spricht im Interview über die ersten Schritte.
Welche Rolle haben Sie bei SOS-Kinderdorf in Berlin?
Wir brauchen Strukturen, wie wir die Ukrainehilfe bündeln können. In meiner Position habe ich beispielsweise den Kontakt zu den Familien, den Organisationen in der Ukrainehilfe und den Sprachmittlern. Ich bekomme alle wichtigen Informationen und versuche, diese zu koordinieren. Welche Unterstützung wird wo gebraucht? Wo können sich Ehrenamtliche engagieren? All das gebe ich entsprechend weiter.
Für wie viele ukrainische Geflüchtete hat SOS-Kinderdorf Berlin derzeit Platz?
Wir haben derzeit Platz für etwa 30 Menschen. Im Hotel Rossi in der Botschaft für Kinder können wir zur Zeit vier Zimmer für zwei bis drei Personen anbieten. Das heißt, dass zwischen zehn und zwölf Leute im Hotel unterkommen können. Zusätzlich haben wir noch zwei eigene Wohnungen in Berlin. Eine liegt in der Waldstraße im SOS-Kinderdorf und die andere in der Stephanstraße. In beiden Wohnungen sind bereits Familien untergebracht. Und dann gibt es noch eine sehr große Wohnung mit acht Zimmern, die uns Hertha BSC hoffentlich demnächst zur Verfügung stellen wird. Dort können wir mindestens zehn weitere Menschen unterbringen. Eine weitere Wohnung am schönen Wannsee haben wir ebenfalls in Aussicht.
Was sind die nächsten Schritte, wenn die Familien ankommen?
Die Wünsche der Familien sind sehr individuell. Manche brauchen wirklich nur eine Nacht zum Ankommen, Ausschlafen, eine warme Dusche und Essen. Am nächsten Tag ziehen sie weiter, weil sie Verwandte in Deutschland oder anderswo haben. Vor allem das Hotel Rossi bietet sich hierfür an. Es liegt nur wenige hundert Meter vom Hauptbahnhof entfernt. Es ist ein schönes, gemütliches Hotel und das Essen ist gut. Andere wissen nicht, wohin sie sollen. Sie können natürlich länger bleiben. Da schauen wir dann, ob wir sie in unsere Wohnungen oder anderswohin vermitteln können.
„Ganz am Anfang drehte sich alles um die Bedürfnisse des täglichen Lebens. Wie kommen wir an Geld oder Sozialhilfe? Wie und wo können wir einkaufen?“, so Rainer Kurzeder.
© SOS-Kinderdorf e.V. / Sebastian Pfütze
Mit was wenden sich die Familien, die bleiben, an dich?
Ganz am Anfang drehte sich alles um die Bedürfnisse des täglichen Lebens. Wie kommen wir an Geld oder Sozialhilfe? Wie und wo können wir einkaufen? Die Familien brauchten beispielsweise auch medizinische Hilfe. Diese Anfragen sind inzwischen ein bisschen abgeebbt. Jetzt ist es in der Tat so, dass die rechtliche Situation, also die Registrierung geklärt werden muss. Berlin platzt aus allen Nähten. Deshalb hat der Senat eine Verordnung beschlossen. Damit man in Berlin bleiben darf, muss man für mindestens ein halbes Jahr einen Mietvertrag oder zumindest eine Bescheinigung von einem Träger, wie wir es sind, vorlegen. Damit kann man sich beim Landesamt für Einwanderung in Berlin registrieren lassen und die Geflüchteten haben dann ein Recht auf Sozialleistungen. Das sind eigentlich momentan die Hauptfragen der Familien. Wo können sie bleiben? Wollen sie überhaupt in Berlin bleiben? Wie soll die langfristige Perspektive aussehen? Wo können die Kinder in die Schule gehen?
Wie unterstützt SOS-Kinderdorf die Geflüchteten bei der Jobsuche?
Ganz viele der ukrainischen Menschen, die bei uns ankommen, sprechen kein Deutsch und auch fast kein Englisch. Aber es gibt trotzdem jede Menge Arbeitsplätze. Die Charité in Berlin beispielsweise sucht händeringend Menschen, die bei ihnen arbeiten, gerade im Servicebereich oder in der Pflege. Das sind auch Arbeitsstellen, bei denen man nicht zwingend die Sprache sprechen musst oder zumindest nicht sofort. Da bekommen wir jetzt schon einige Anfragen, zum Beispiel auch von anderen Organisationen. Und das leiten wir dementsprechend weiter an die Geflüchteten. Wir haben mit allen Familien eine gemeinsame Chat-Gruppe, worüber wir solche Dinge teilen. Die ukrainischen Familien wollen sofort arbeiten. Sie wollen sich integrieren und einen Beitrag leisten. Die Familien fragen uns auch: „Ihr gebt uns so viel, was können wir zurückgeben?“ Deshalb versuchen wir, sie auch anderweitig einzubinden. In einer der bei uns lebenden Familien wohnt eine ukrainische Künstlerin. Sie wird demnächst im Rahmen von unserem Offenen Treff im Familienzentrum den Kindern und Jugendlichen das Malen näher bringen.
Wie erleben Sie die Arbeit mit den Geflüchteten?
Die Menschen sind wahnsinnig dankbar. Man kann extrem viel geben und lernt jeden Tag etwas dazu. Und auch die Kooperation mit den Kollegen klappt sehr gut. Hier in Berlin hat sich ein fantastisches Team gebildet, das sich um alles kümmert. Jeder ist motiviert und alle möchten helfen. Wir überlegen uns täglich: Was können wir noch machen? Wie geht es weiter? Hier bei SOS-Kinderdorf können wir nicht die ganze Welt retten, aber wir können zumindest im Kleinen etwas tun. Und ich finde, das ist schon ein großer Beitrag.