Wilhelmshaven ist kein einfaches Pflaster: Einrichtungsleiter Olaf Kallweit im Interview


SOS-Kinderdorf hilf vor Ort, Kinder, Jugendliche und Familien zu stärken.
Bei SOS denken viele Menschen ausschließlich an Kinder und Jugendliche, die ohne ihre leiblichen Eltern in Kinderdörfern aufwachsen. SOS-Kinderdorf betreibt in der Wilhelmshavener Südstadt ein „Familienzentrum“, mit einem schönen neuen Café-Restaurant, das jedermann offensteht. Was hat es damit auf sich?
Im SOS Kinderdorfzentrum am Banter Markt befindet sich auch das Jugendhilfeangebot Familienzentrum Süd. Es ist ein Angebot an alle. Kinder, Jugendliche, Eltern und Großeltern sind eingeladen, bei uns ein gutes und preisgünstiges Frühstück, ein Mittagessen oder einfach nur einen Kaffee zu genießen, miteinander ins Gespräch zu kommen und so Nachbarschaften zu stärken. Auch mit Rat und Tat bei Fragen zum Familienleben stehen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zur Verfügung. Das Ambiente unseres Neubaus ist wirklich toll, wir genießen es und betrachten es auch als Ausdruck der Wertschätzung unseren Gästen gegenüber. Sie sollen sich bei uns wohlfühlen und ihre Sorgen für einen Augenblick vergessen.
Welche Sorgen sind das typischerweise?
Wilhelmshaven ist kein einfaches Pflaster. Offiziell liegt die Arbeitslosigkeit bei 12 Prozent. Viele Jugendliche finden nach der Schule keinen Ausbildungsplatz. Es gibt viele alleinerziehende Mütter und Väter ohne Job. Das ist ein Teufelskreis: Benachteiligt schon in der Herkunftsfamilie, gründen viele sehr jung selbst eine Familie, in denen ihnen finanzielle Probleme, Überforderung und Stress über den Kopf wachsen. Viele dieser Verbindungen zerbrechen, wenn die Kinder noch klein sind. Diese Kinder erhalten leider nicht immer die Geborgenheit und Zuwendung, die sie brauchen. Wir möchten diese Familien stärken, damit es den Kindern und Jugendlichen besser geht.
Zum Beispiel durch die offene Krabbelstube, die direkt ans Café-Restaurant anschließt?
Genau. Hier kann jede Mutter und jeder Vater mit Baby oder Kleinkind vorbeikommen. Es braucht keine Anmeldung. Eine SOS-Mitarbeiterin oder ein ehrenamtlich engagierter Wilhelmshavener kümmert sich um die Kleinen, hat aber auch ein offenes Ohr für die Eltern und kann bei Problemen oftmals weiterhelfen, indem auf andere Angebote im Familienzentrum aufmerksam gemacht wird. Die Eltern können sich untereinander austauschen und vernetzen. Das ist etwas ganz Wichtiges. Die Baby- und Kleinkindphase ist für den Elternteil, der mit dem Kind zuhause bleibt, ja oft mit Unsicherheit und auch mit Einsamkeit verbunden.
Eine Stadtteil-Kita gibt es auch unter Ihrem Dach?
Unsere Krippe bietet 24 Plätze für Kinder im Alter von sechs Monaten bis drei Jahren. Wer Eltern in Arbeit bringen möchte, muss für Kinderbetreuung sorgen. Das gilt umso mehr für junge Eltern, die noch in der Ausbildung sind. Schließlich wollen wir den Teufelskreis aus Arbeitslosigkeit der Eltern und Benachteiligung der heranwachsenden Generation durchbrechen.
Also alles eine Frage des Geldes?
Natürlich nicht. Wenn ein Elternteil chronisch krank ist und deshalb nicht arbeiten kann, kommt zu den finanziellen Sorgen oft noch ein massiver Mangel an Selbstbewusstsein dazu, der auch den Kindern zu schaffen macht. Da braucht es manchmal Menschen von außen, die Kinder auf ihre Fähigkeiten und Stärken aufmerksam machen und ihnen vermitteln: Du bist wer, Du kannst etwas erreichen. Das hat viel mit der Haltung zu tun, die man Kindern gegenüber einnimmt. Die spüren schnell, ob man sie mag und schätzt und ihnen zuhört.
Und das tun Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter? 
Ja, das ist unser Anspruch. SOS-Kinderdorf steht dafür, dass Kinder und Jugendliche gehört werden. Kinder haben Bedürfnisse und Rechte, und sie sollen eine Stimme haben. Nicht alle leben in Verhältnissen, in denen sie sich angemessen entfalten können.
Ist das eine Kritik an den Eltern, die ins Familienzentrum kommen?
Ja und nein. Viele Eltern sind selbst oft bereits „Leidtragende“ der Verhältnisse, in die sie hineingeboren wurden, das habe ich ja schon angesprochen. Trotzdem erlaube ich mir Kritik: Ich vermisse manchmal das Engagement, das zum Elternsein dazugehört. Familie ist nicht nur blauer Himmel, sondern auch Verzicht und Stress, manchmal muss man die berühmte Runde um den Block laufen, um nicht an die Decke zu gehen. Eltern müssen ein Minimum an Selbstmanagement und Disziplin aufbringen, sonst läuft es nicht. Das Gute ist: Man kann das alles lernen. Auch dann, wenn die Kinder schon geboren sind. Und mal ganz ehrlich: Der eine schöne Moment, den wir Eltern mit unseren Kindern erleben, entschädigt für so manche Anstrengung.
Sie sind selbst Vater von zwei Teenagern, Ihre Frau arbeitet auch als Pädagogin für SOS-Kinderdorf in Wilhelmshaven. 
Ich weiß, wie anstrengend Familienalltag sein kann. Unsere Angebote im Familienzentrum sollen Eltern unterstützen. Das reicht von gelegentlichen Treffs in der Krabbelstube über Elternkurse und Beratung bei familiären Konflikten und Schwierigkeiten bis hin zur Begleitung von Familien, die Kontakt mit dem Jugendamt haben, weil sie überfordert sind und man in Kindergarten und Schule auf einen Missstand aufmerksam geworden ist. Vor allem im letzten Fall ist es wichtig, vertrauensvoll und stärkend auf die Familien zu wirken. Harte Konfrontationen helfen in der Regel nicht weiter.
Welcher ist Ihr liebster Moment im Job? 
Mit unserem neuen Haus am Banter Markt habe ich das Glück, gleich früh am Morgen auf Mitarbeitende aus verschiedenen Bereichen zu treffen. Meine Guten-Morgen-Runde möchte ich nicht mehr missen. Es ist schön, den Tag mit Leuten zu beginnen, die sich freuen auf einen Tag mit unseren Gästen. Mit Menschen, die uns freundschaftlich verbunden sind. Aber auch mit denen, die Probleme haben und die sich uns und ihre Kinder anvertrauen. Es ist außerdem schön zu wissen, dass noch an anderen Orten in der Stadt und im Landkreis die anderen Kolleginnen, Mitarbeiter und Ehrenamtlichen genauso arbeiten.
Und was ist Ihr Lieblingsplatz in Wilhelmshaven, das ja wunderschön am Meer liegt?
Am liebsten bin ich auf dem Deich, mit Blick über das weite Meer – oder über den Jadebusen. Mit Wind, Ebbe und Flut, Wolken und Sonnenuntergang. Am liebsten – aber leider viel, viel zu selten – mit dem Fahrrad. Und mit meiner Familie.

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