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Kinderarmut
Interview

Finanzieller Mangel bedeutet oft auch emotionaler Mangel

Interview mit Dietmar Kraft, Bereichsleiter der Jugendwohngruppen und Sonja Cestonaro, Sozialpädagogin im Bereich der ambulanten Hilfen in Augsburg über ihre Arbeit in der Familienhilfe.

Was kann man sich unter ambulanten Hilfen vorstellen?

Kraft: Die ambulanten Hilfen von SOS-Kinderdorf in Augsburg umfassen zwei Arbeitsgebiete. Zum einen bieten wir sogenannte Erziehungsbeistandschaften an, die Unterstützung bei Fragen im Umgang mit den Kindern leisten, also eher im Bereich klassischer erzieherischer Themen. Der andere Bereich ist die sozialpädagogische Familienhilfe, die bei hochbelasteten Familien zum Einsatz kommt, die mit einer Vielzahl an Probleme zu kämpfen haben.

Wie werden Sie auf diese Familien aufmerksam?

Cestonaro: Die Vermittlung findet immer über das Jugendamt statt, oft weil es eine Meldung von außen gab, die das Amt auf den Plan ruft, um den Kinderschutz sicher zu stellen, aber selbstverständlich suchen Familien ihrerseits auch proaktiv Hilfe. Das Jugendamt erarbeitet dann zusammen mit SOS-Kinderdorf und den Familien einen Hilfeplan, in dem Ziele gesteckt werden, die wir dann versuchen Schritt für Schritt zu erreichen.

Was sind die typischen Probleme, mit denen Eltern und Kinder zu kämpfen haben?

Kraft: Wir haben es häufig mit alleinerziehenden Müttern zu tun, die ihre Kinder sehr jung bekamen. Oft haben diese Mütter keinen Schulabschluss und keine Berufsausbildung, damit sind Arbeitslosigkeit oder schlecht bezahlte Jobs verbunden. Es geht aber nicht nur um materielle Armut. Viele dieser Familien kennen keine feste Tagesstruktur mehr. Oft sind sie sozial isoliert, sei es aus Scham, sei es aus Antriebslosigkeit.

Sind die Probleme heute anders als früher?

Cestonaro: Ja, das kann man schon sagen. Früher ging es eher um „einfachere“ Themen, die sich mit Erziehungsfragen beschäftigt haben. Heute sind die Probleme vielschichtiger. Neben finanziellen Problemen, Beziehungskonflikten und Erziehungs- und Schulthemen, haben wir es immer öfter mit psychischen Belastungen oder Erkrankungen zu tun, die zunächst unerkannt sind und sich erst im Laufe der Betreuung als solche zeigen. Vor allem Alleinerziehende, die berufstätig sind, leiden darunter. Sie sind schlichtweg erschöpft und manchmal sogar ausgebrannt, weil sie Geld verdienen müssen, da steht die Erziehung der Kinder nicht an erster Stelle.

Geldmangel als Hauptfaktor?

Cestonaro: Nicht unbedingt. Aber ein finanzieller Mangel zieht meistens auch einen emotionalen Mangel in der Familie mit sich. Viele sind einfach nur damit beschäftigt, zu überleben und das sorgt für Dauerstress und Anspannung. Eine alleinerziehende Mutter, die ich betreue, hat drei Putzjobs und bekommt ergänzend noch Arbeitslosengeld II, damit sie und ihre jugendliche Tochter überhaupt über die Runden kommen. Somit ist sie praktisch nie zu Hause, um auf die Bedürfnisse der Tochter einzugehen, um zu fragen, wie es in der Schule war oder sie zu trösten, wenn es Zoff gab. Auf der Suche, diesen Mangel an Aufmerksamkeit auszugleichen, können Jugendliche dann oft in falsche Bahnen abgleiten.

Sind sich die Kinder bewusst, dass sie arm sind?

Kraft: Oh ja, und teilweiseschämen sie sich dafür, kein Smartphone zu haben, nicht zur Geburtstagsfeier eingeladen werden oder mit ins Ferienlager fahren können. Dies trägt dann dazu bei, dass sich ein negatives Grundgefühl etabliert, aus dem heraus positiven Antrieb zu entwickeln, oft sehr schwierig ist. Es entsteht eine innere Armut, wenn sie so wollen. Eine wichtige Aufgabe ist es daher, mit diesen Familien ihren Selbstwert ihre Selbstwirksamkeit wieder zu entdecken.

Was muss ihrer Meinung nach gemacht werden, damit Kinder aus armen Familien besser am sozialen Leben teilnehmen können?

Kraft: Als aller erstes, wäre es wünschenswert, wenn faire Löhne gezahlt werden, die es den Familien möglich machen, davon zu leben. Neben kostenlosen Betreuungsangeboten, würde ich eine Art Kinderkarte für benachteiligte Familien toll finden, die freie Eintritte für Schwimmbäder, Museen und andere Kultureinrichtungen ermöglicht.

Cestonaro: Ich würde viel Geld in die frühkindliche Förderung investieren. In der Zeit von null bis drei Jahren finden sehr wichtige Prägungen statt, weshalb gut ausgebildete Pädagogen, die auf Bindung spezialisiert sind, eminent wichtig sind.

Gibt eine Geschichte an die sie sich besonders gerne erinnern?

Cestonaro: Eine alleinerziehende Mutter war so gehemmt, dass sie praktisch nicht in der Lage war, sich in der Öffentlichkeit zu äußern, sei es an der Brottheke oder auf dem Amt, so dass diese Aufgabe ihre Tochter übernehmen musste. Verständlicherweise hat das zu erheblichen Konflikten zwischen den beiden geführt. Im Gespräch haben wir nach den Ursachen für ihr geringes Selbstwertgefühl geforscht. Wie sich herausstellte, hatte sie von frühster Kindheit an nur Erniedrigung und Abwertung erfahren. In kleinen Schritten haben wir es geschafft, dass sie immer mehr Selbstvertrauen aufbauen konnte und auch die Mutter-Kind-Beziehung zu verbessern. Mittlerweile kann sie ihre Termine selbstständig vereinbaren und hilft sogar beim Training im Turnverein ihrer Tochter mit.

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