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Kinderarmut

Für mehr Chancengerechtigkeit in Deutschland

„Pippi-Langstrumpf-Frühstück“ in der SOS-Kindertagesstätte: Justin* (4) knabbert Apfelspalten mit Butterbrot. Am Tisch sitzen fünf Jungen und Mädchen im gleichen Alter. Die Kinder spielen „Villa Kunterbunt“ und stellen sich vor, wie toll es wäre, wenn sie wie Pippi mit einem Äffchen und einem getupften Schimmel in einem schönen alten Haus leben könnten. „Ich würde immer einen Garten mit Äpfeln drin haben“, sagt Justin fröhlich, „die gebe ich dann meinen Tieren zum Essen“.
Mit der Geschichte von Pippi kennen sich die Kinder bestens aus. Hinter ihnen liegt eine „Langstrumpf-Projektwoche“, mit viel Vorlesen, Basteln und einem Besuch im Stadtpark, wo jeder, der mutig genug war, ein richtiges Pony reiten konnte. Jetzt grüßen „Herr Nielson“ und „Kleiner Onkel“ in leuchtenden Fingerfarben vom Kita-Fenster. Und klar: Die freche Pippi prangt dort auch. Kunterbunt und fröhlich.
Als Justin vor drei Jahren in die Tagespflege von SOS-Kinderdorf kam, war er „ein völlig anderes Kind“, wie sich seine Erzieherin erinnert: „Meist saß er teilnahmslos auf dem Boden. Andere Kinder machten ihm Angst. Es gab Hinweise, dass er in seinem Elternhaus vernachlässigt wurde.“ Auf den starken Tabakgeruch in Justins Kleidung angesprochen, erklärte die Mutter freimütig, dass zuhause in allen Zimmern geraucht werde.
Dazu erzählte Justins Mutter eine Geschichte, die der SOS-Pädagogin klar machte, dass diese Eltern dringend Unterstützung bei der Erziehung ihres Sohnes brauchten: Als Krabbelkind habe sich Justin immer wieder am Tisch hochgezogen und „aus den Aschenbechern genascht.“ Er habe damals halt alles in den Mund nehmen wollen. Auf die Nachfrage der SOS-Pädagogin, ob die Mutter nicht wisse, dass der Verzehr von Tabak für Kleinkinder lebensgefährlich sei, zeigte diese sich überrascht.
Überforderung, Unwissen, auch mangelndes Einfühlungsvermögen auf Seiten der Eltern sind Probleme, mit denen die Mitarbeiter der Kindertagesstätte umzugehen haben. Die Einrichtung liegt in einem sozial benachteiligten Viertel einer deutschen Großstadt. Geldsorgen, Krankheiten und Arbeitslosigkeit prägen in vielen Familien den Alltag. Unter diesem Druck gehen die Schwächsten oft als Erste unter. „Viele unserer Kinder wären in ihrer Entwicklung gefährdet, wenn sie den ganzen Tag zuhause blieben“, schätzt die Pädagogin: „Es gibt dort wenig Struktur und Anregung, dafür leider oft Fernsehen und Computer satt.“
Zum Glück waren Justins Eltern offen für Gespräche, denn trotz allem lieben sie ihren Sohn und wollen es in Zukunft besser machen. Immer wieder konnten im Austausch mit SOS-Kinderdorf Lösungen erarbeitet werden, die ein ungefährdetes Aufwachsen des Jungen ermöglichen. „Dass er als Einjähriger einmal drei große rohe Möhren zum Frühstück mitbrachte, obwohl er nur vier Zähne hatte, darüber lachen wir heute“, erinnert sich die SOS-Mitarbeiterin. „Seine Eltern wollten ihm ein besonders gesundes Essen mitgeben und sind übers Ziel hinausgeschossen.“
Achtsamkeit und Respekt für die Bedürfnisse und Rechte der Kinder: Das ist es, was die Mitarbeiterinnen von SOS-Kinderdorf mit ihrer Elternarbeit erreichen wollen. Im Kita-Alltag mit den Kindern wird zudem aufgeholt, was zuhause oft zu kurz kommt: Aktives Spielen drinnen und draußen. Bilderbücher und Baukästen, Knete und Buntpapier. Dass Justin heute wie andere Kinder auf der ganzen Welt weiß, wer Pippi Langstrumpf ist und erklären kann, wie es sich mit „Herrn Nielson“ und „kleiner Onkel“ verhält? Für einen Außenstehenden ist das vielleicht nichts Besonderes. Für Justin bedeutet es sehr viel.
*Namen, Abbildungen und biographische Details zum Schutz der realen Personen geändert.
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Pinar Atalay, Moderatorin: "Der eigene Weg sollte nicht vorgezeichnet sein."


Pinar Atalay ist SOS-Botschafterin für das Kinderdorf Hamburg.
"Chancengerechtigkeit ist heute ein großes Thema in unserer Gesellschaft. Es gibt viele Kinder, die nicht das Glück haben, in einer Familie aufzuwachsen, die die finanziellen Möglichkeiten hat, sie bestmöglich zu fördern. Wie kann man die Chancengerechtigkeit für Kinder stärken? Der eigene Weg sollte nicht vorgezeichnet sein, es sollte nicht überraschen, dass eine Journalistin aus einer Arbeiterfamilie kommt. Oder, dass ein Kind, dessen Eltern nicht in Deutschland geboren wurden, jetzt mit deutscher Sprache arbeitet. Warum nicht? Bildung selbst ist immer förderungswürdig, ein sehr wichtiger Faktor für unser Land, in dem es noch mehr Chancengerechtigkeit geben kann. Es darf nicht zählen, wo ich herkomme, sondern was ich daraus machen kann."

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