"Urvertrauen macht stark"

Die Diplom-Psychologin Stefanie Stahl arbeitet als Psychotherapeutin mit eigener Praxis und als Buchautorin. Außerdem hält sie Seminare zum Thema Selbstwertgefühl und Bindungsangst. Mit ihren Büchern wie „Nestwärme, die Flügel verleiht“ erreicht sie ein Millionenpublikum.
Frau Stahl, warum sind die ersten Lebensjahre so wichtig und wie prägen die frühen Bindungserfahrungen das weitere Leben eines Menschen?
Wenn wir geboren werden, sind nur 25 Prozent unseres Gehirns ausgeprägt – und zwar der Stammhirn-Bereich, der für primitive Funktionen wie Hunger, Durst und Ausscheidung sorgt. Alle höher entwickelten Hirnregionen und die synaptischen Verknüpfungen entstehen in den ersten sechs Lebensjahren – deshalb ist es ganz entscheidend, welche Bindungserfahrungen wir in unserem Elternhaus machen. Die ersten zwei Lebensjahre sind besonders prägend – in dieser Zeit wird das Urvertrauen ausgebildet. Eine gute Bindung ist die Basis dafür und damit das Fundament unserer Psyche.
Wie können Eltern die kindlichen Bedürfnisse nach Bindung stillen?
Es ist wichtig, dass sie ihr Kind wirklich annehmen und lieben. Dabei geht es zunächst ganz banal darum, den Säugling gut zu versorgen, die Windeln zu wechseln, ihn zu füttern. Aber auch darum, mit ihm zu kuscheln und ihn anzustrahlen. Es gibt in der Psychologie eine Redewendung: Im Glanz der Augen seiner Mutter – und des Vaters – erwirbt das Kind seinen Selbstwert. Dadurch entsteht das sogenannte Urvertrauen – das tiefe, innere Gefühl: Ich bin okay. Die Welt da draußen ist nicht bedrohlich, sondern im Großen und Ganzen vertrauenswürdig. Dieses Gefühl bleibt lebenslang bestehen.
Wie zeigt sich später, ob ein Mensch als Kind Urvertrauen entwickelt hat oder nicht?
Aus Kindern mit Urvertrauen in die Welt werden Erwachsene, die einen guten Kontakt zu ihren Gefühlen haben. Die sich trauen, authentisch zu sein, und nicht ständig von Selbstzweifeln, Unsicherheit und Versagensängsten geplagt werden. Wenn ein Mensch wenig Urvertrauen hat, ist er psychisch instabil, rechnet mit Versagen, Ablehnung und macht sich unheimlich viele Sorgen.
Was können Sie Eltern, die mit ihren Kindern überfordert sind, raten?
Je erschöpfter die Eltern sind, desto kürzer ist die Zündschnur: Deshalb ist es sehr wichtig, dass Eltern nicht nur auf ihre Kinder blicken, sondern auch Selbstfürsorge betreiben, das heißt, auf sich selbst achten und dafür sorgen, sich Zeiten der Entspannung zu nehmen, sich bewusst für einen Moment rauszuziehen und Kraft zu tanken. Kinder profitieren mehr von Eltern, die sich selbst reflektieren und dafür sorgen, dass es ihnen gut geht – und weniger von einer vermeintlich perfekten Erziehung.

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