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Die Laube - Anlaufstelle für Care-Leaver

Erfahrungen aus dem Betreuten Wohnen

Acht bis zehn junge Erwachsene begleitet Carsten Misamer gemeinsam mit seinem Team zeitgleich im Betreuten Wohnen. Zentrale Anlaufstelle dafür ist die sogenannte LauBE in Kaiserslautern, das „Lauterer Betreute Einzelwohnen“. Der Name ist nicht nur Abkürzung, das Bild von der Laube ist vielmehr bewusst gewählt: „Wir bieten ja auch im übertragenen Sinne etwas, das ein bisschen vor Wind, vor dem ersten Regen schützt, das nach außen geöffnet ist und trotzdem noch etwas Beheimatendes hat,“ erläutert Misamer. In diesem Sinne unterstützt er als pädagogischer Mitarbeiter seit 25 Jahren junge Menschen dabei, in der Eigenständigkeit Fuß zu fassen.

Kern der pädagogischen Arbeit ist die emotionale und lebenspraktische Begleitung der jungen Erwachsenen. Die meisten von ihnen wechseln aus einer stationären Jugendeinrichtung in das Betreute Wohnen. Erstmals allein zu leben, nach mehreren Jahren in einer Wohngruppe, wird von vielen als große Herausforderung empfunden, die auch mit Unsicherheiten einhergeht. Oft fühlen sie sich zwar in mancher Hinsicht vorbereitet, zugleich aber auch ins kalte Wasser geworfen.

Erstmals eigenständig leben

Viele ihrer Fragen drehen sich zunächst um Details der Alltagsorganisation, etwa: „Wie finde ich eine geeignete und bezahlbare Wohnung?“, „Wie führe ich Gespräche mit Vermietern, mit Ämtern und Behörden?“ oder „Was gilt es bei Abschlagszahlungen für Strom zu beachten?“ Sebastian Ezelius war gerade volljährig, als er aus der SOS-Jugendwohngruppe in Kaiserslautern in das Betreute Wohnen gekommen ist. Rückblickend betont der heute 30-Jährige: „Die Unterstützung von Carsten Misamer war wirklich sehr, sehr prägend, auch was finanzielle Fragen anbelangt.“ Auch heute noch wendet er sich mit bestimmten Fragen, etwa zu Arbeitsverträgen, an den Pädagogen.

Die Care-Leaver finden bei Misamer und seinem Team auch viel Rückhalt und Orientierungshilfe, wenn es um ganz persönliche Dinge geht. Gemeinsam wird darauf geschaut, wo sie gerade in ihrem Leben stehen, wo es hingehen kann, welche Ziele sie für sich sehen bzw. wie sie eine berufliche Perspektive entwickeln können. Es geht darum, sie aufzufangen, wenn es Rückschläge zu verkraften gibt, mit ihnen neue Optionen zu entwickeln und sie bei den entsprechenden Schritten zu begleiten, ohne ihnen die Verantwortung abzunehmen.

Carsten Misamer, seit 25 J. pädagogischer Mitarbeiter in der LauBE

Im Gegenteil, schon beim ersten Kennenlernen wird den jungen Erwachsenen vermittelt, dass sie in der LauBE etwas angeboten bekommen, das sie für sich nutzen können. Ob sie das wollen, darüber entscheiden sie selbst. „Im ersten Gespräch vermitteln wir den jungen Menschen, wie wir arbeiten, und schauen, ob jemand schon bereit ist, dieses sehr stark auf Selbstständigkeit basierende Angebot wahrzunehmen. Anschließend geben wir die Regie dieses Prozesses dann symbolisch direkt an den Care-Leaver weiter. Er entscheidet dann, ob er die nächsten Schritte mit uns gehen will.“ Erst wenn die junge Frau bzw. der junge Mann von sich aus Kontakt aufnimmt, beginnt die eigentliche Kennenlernphase mit intensiver Biografiearbeit und einer Auseinandersetzung mit dem Herkunftssystem. Am Ende dieser Phase wird ein Betreuungsvertrag geschlossen, der gemeinsam und auf Augenhöhe gestaltet wird. Er beinhaltet einige Eckpunkte, etwa dass sich jede und jeder Betreute verpflichtet, regelmäßig einer Schul- oder Berufsausbildung nachzugehen.  

Pädagogische Begleitung im Betreuten Wohnen

Betreuerin Simone Jung-Sander © SOS-Kinderdorf e.V.

Neben Fragen zur Wohnsituation, Alltagsorganisation und Haushaltsführung geht es im Betreuten Wohnen auch intensiv um die emotionale Begleitung. „Junge Menschen im Jugendhilfekontext haben meist nicht das Netz und den doppelten Boden, auf den junge Erwachsene in der Regel in ihrem Elternhaus zurückgreifen können. Entsprechend übernehmen wir die Rolle und Funktion, die Care-Leaver in bestimmten Situationen aufzufangen.“ So erhalten die jungen Menschen in der LauBE Unterstützung, wenn sie mit irgendetwas gescheitert sind. Hier bekommen sie eine zweite Chance und werden von den Fachkräften ermutigt, nochmal etwas Neues zu beginnen, etwa wenn sich herausstellt, dass der eingeschlagene Ausbildungsweg nicht der richtige für sie war.

Sebastian Ezelius erinnert sich an eine schwierige Zeit während des Betreuten Wohnens: „Da ging für mich vieles in die Brüche – meine damalige Beziehung, das Fachabi; hinzu kamen die Auseinandersetzung mit dem Verlust eines Elternteils und die nicht immer einfache Beziehung zu meinen Geschwistern. Da war der Carsten für mich eine große Stütze. In der Zeit war ich ziemlich oft in der LauBE und wir haben beraten, wie es weitergeht und was ich in Angriff nehmen könnte, damit zum Beispiel auch meine berufliche Zukunft gesichert ist.“

Anbindung Ehemaliger

© katdoubleve / photocase.de

Viele Ehemalige greifen auf das Sicherheitsnetz zurück, das ihnen in der LauBE auch Jahre nach ihrer Betreuungszeit noch zur Verfügung steht. Manche kommen regelmäßig zum wöchentlichen offenen Treff in der Anlaufstelle der LauBE. Andere nehmen nach Jahren wieder Kontakt auf und schauen auf einen Kaffee vorbei. Die Bandbreite der Themen, die sie mitbringen, ist groß. Es geht um den Umgang mit Schulden, Trennungen und anderen Lebenskrisen bis hin zu Fragen der Kindererziehung – alles, was sonst oft im familiären Kontext aufgefangen wird. Manche melden sich auch, wenn sich bei ihnen beruflich viel getan hat oder laden Carsten Misamer – manchmal anstelle der Eltern – zu ihrer Hochzeit ein.

Sebastian Ezelius blickt heute auf einen erfolgreichen Weg zurück und ist stolz auf das, was er bisher erreicht hat: „Jetzt hab ich bei uns einen der Jobs, die wirklich top sind, also relativ gut bezahlt, für meinen Abschluss und Bildungsstand.“ Ezelius hat sich in seiner Firma Schritt für Schritt weiterentwickelt und bewährt. Gerade wechselt er die Abteilung und bekommt nochmal anspruchsvollere Aufgaben übertragen. Gefördert haben ihn auf diesem Weg u.a. seine Vorgesetzten, die von seiner Arbeitsleistung überzeugt sind.

Austausch im offenen Treff

Sehr geholfen habe ihm auch der offene Treff in der LauBE, wo er immer wieder von jemandem gestupst wurde, den richtigen Weg einzuschlagen. Einmal in der Woche treffen sich die jungen Menschen aus dem Betreuten Wohnen mit Ehemaligen und den pädagogischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in der gemeinsamen Anlaufstelle. Ort und Telefonnummer haben sich seit 25 Jahren nicht geändert. Dieser verlässliche Rahmen bietet zusammen mit einer großen personellen Kontinuität eine Stabilität, die langfristig trägt. Entsprechend leicht fällt es dann auch denjenigen, die fünf Jahre oder länger nicht teilgenommen haben, schnell wieder anzuknüpfen.

Grundlage des Angebots ist es, eine Verwöhnatmosphäre zu bieten; ein gemeinsames Essen gehört mit dazu. Meist entwickeln sich angeregte Tischgespräche, auch zu gesellschaftspolitischen Themen. Misamers Anliegen ist es beispielsweise auch, mit den jungen Volljährigen und damit auch Erstwählern ins Gespräch zu kommen – über ihre Möglichkeiten, sich am Gemeinwesen zu beteiligen und für ihre Belange einzusetzen. Gerade die Gruppe der Care-Leaver, die strukturell benachteiligt ist und tendenziell weniger Rückhalt und (politisches) Engagement in ihrem Elternhaus erlebt hat, sei durchaus in Gefahr, allzu einfache politische Sichtweisen zu übernehmen. Entsprechend wichtig sei es, sie von der Wirksamkeit des eigenen Handelns zu überzeugen, sie an Mitgestaltungsmöglichkeiten heranzuführen, die sich ihnen im Erwachsenenleben bieten.

Ein weiterer Pluspunkt dieser offenen Treffen ist die Chance, dass ein Netzwerk entstehen kann: Die Care-Leaver verschiedener „Generationen“, die in unterschiedlichen Feldern beruflich tätig sind, kommen dort in Kontakt. Von diesem Erfahrungsaustausch profitieren gerade die jungen Menschen, die noch im Betreuten Wohnen sind und viele Entscheidungen vor sich haben. Aber auch die älteren Teilnehmenden können immer wieder auf den „doppelten Boden“ zurückgreifen, der ihnen schon als jungen Erwachsenen in der LauBE Sicherheit gegeben hat, und suchen oft am Rande der Treffen Rat in wichtigen Lebenssituationen.

Wunsch nach Stabilität

Die meisten Care-Leaver hoffen, eine gute wirtschaftliche Basis zu erreichen, um ein zufriedenes und einigermaßen abgesichertes Leben führen zu können. „Oft schildern sie klassische Zukunftsvorstellungen von einem guten Beruf, einem Haus beziehungsweise einer Wohnung, von Partnerschaft und Familie. Stabilität ist – kurz gefasst – der zentrale Wunsch der jungen Menschen,“ so Misamer. „Und auf diesem Weg, der manchmal auch Umwege beinhaltet, begleiten wir sie.“

Die Pädagoginnen und Pädagogen wollen den jungen Erwachsenen keine Vorgaben machen und keine Kontrollfunktion einnehmen, sondern ihnen auf Augenhöhe begegnen und sie dabei unterstützen, ihre eigenen Ziele zu entwickeln und zu erreichen. Vertrauen und Zutrauen spielen eine große Rolle, wenn man Care-Leaver ermutigen will, Eigenverantwortung für ihr Leben zu übernehmen. „Am besten lernt man durch Erfahrung. Und wir bieten die Möglichkeit, in einem gewissen Schonraum bei uns Erfahrungen zu machen“, resümiert Misamer. „Am wichtigsten ist uns, dass die jungen Menschen ihren Lebensweg bewusst gehen und sich dabei auf unsere Rückendeckung verlassen können. Wir sehen uns als die Hand, die stützt und nur ganz sanft schiebt.“


(Oktober 2020)