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Die Kita im SOS-Kinderdorf Berlin-Moabit

Ein Ort für Kinder

In Berlins Mitte wächst ein lebendiger Ort der Begegnung. Unser Kinder- und Familienzentrum wird getragen von einem großen Netzwerkgedanken: Wo verschiedene Lebenswelten und Sprachen aufeinandertreffen, entsteht eine wahre Schatzsammlung, die es zu bergen gilt.
Wie alles begann
Das SOS-Kinderdorf Berlin-Moabit wurde 2005 im Berliner Stadtbezirk Mitte eröffnet. Es war von Anfang an nicht als herkömmliches Kinderdorf geplant, sondern vielmehr als Kinder- und Familienzentrum, an das vier Kinderdorffamilien sowie schulbezogene Angebote angegliedert sind. Grundlage des Konzepts war eine Sozialraumstudie, in der die Bedarfe des Kiezes ermittelt wurden. Der Aufbau einer Kindertageseinrichtung war auch eine Bedingung der Stadt Berlin, da auf dem Grundstück zuvor eine Kita betrieben wurde. So entstand eine Einrichtung, bestehend aus drei eng miteinander vernetzten Abteilungen: Stationäre Angebote (vier Kinderdorffamilien), schulbezogene Angebote in Kooperationen mit drei Schulen im Sozialraum und Offene Angebote mit Familientreff/Restaurant, Familienbildung, Erziehungs- und Familienberatung und der Kita. Zusammen bilden wir das Mehrgenerationenhaus.
Lebenswege begleiten

Das schöne an diesem Konzept ist das breite und langfristige Spektrum. Wenn Eltern und Kinder das möchten, können wir sie sogar über die Schule hinaus begleiten. Der Anfang eines gemeinsamen Weges ist schon vor dem Kita-Alter möglich: Im Familientreff gibt es das Angebot der „Frühen Förderung“. In Eltern-Kind-Gruppen oder Kleinkindkursen können Eltern mit ihren Babys Kurse von Pekip über musikalische Früherziehung bis hin zu Psychomotorik nutzen. Nachdem sie so unsere Arbeit kennengelernt haben, melden sie ihre Kinder im Anschluss oft in der Kita an.
Auch nach dem Übergang der Kinder in die Schule bleiben sie den zahlreichen Freizeitangeboten des Zentrums häufig verbunden, dazu gehören z.B. die Kunstwerkstatt, Theatergruppen, Psychomotorikgruppen, musikalische Talentförderung, Ferienprojekte, Straßenspiele und vieles mehr. Die Eltern treffen sich weiterhin im Familiencafé, besonders, wenn weitere Geschwister noch zur Kita gehen, und arbeiten im Caférat mit, besuchen Deutschkurse oder bieten in der Familienbildungsstätte selbst Kurse wie Yoga oder Computereinführung an.
Ein besonderer Standort – ein besonderes Angebot
Als sozialraumorientierte Einrichtung richtet sich unsere Angebotspalette auf die Bedarfe des Sozialraumes aus. Berlin-Moabit ist ein sozialer Brennpunkt, gekennzeichnet von hoher Arbeitslosigkeit, zunehmender Kinder- und Jugendgewalt, Armut und einem sehr großen Anteil von Familien mit Migrationshintergrund. Daraus ergeben sich für unsere Einrichtung die übergeordnete Ziele: Kinderschutz und Verbesserung der Bildungschancen für sozial benachteiligte und belastete Kinder und Jugendliche, Unterstützung der Eltern in ihrer Erziehungskompetenz, Familienbildung allgemein sowie die Integration von Migrationsfamilien und Verhinderung einer weiteren „Ghettoisierung“.
Eine wichtige Maßnahme sind dabei z.B. die Angebote aus der „Frühen Förderung“ – sie helfen mit, Familien aus der Mittelschicht an den Sozialraum zu binden. Wir haben jedoch auch ein Eigeninteresse an der Anbindung von Mittelschichtfamilien: Wir möchten den Kindern eine Vielfalt von Lebensentwürfen, Familienkonstellationen und Sprachen erfahrbar machen, so dass sie voneinander lernen können. Angebote wie die „Frühe Förderung“, aber auch eine attraktive Kita, helfen uns dabei, Eltern aus den unterschiedlichsten sozialen und kulturellen Hintergründen zu gewinnen.
Erziehung jenseits von Klischees
In der Praxis geht es uns darum, den Erfahrungsschatz der Kinder jenseits des Klischees ihrer Kulturbereiche zu erweitern und den Jungen und Mädchen neue und andere Erfahrungsbereiche zu ermöglichen. Dazu gehören auch der selbstverständliche Umgang mit Beeinträchtigungen und Behinderungen von Kindern und das Erleben von unterschiedlichen Voraussetzungen, aber auch von Gemeinsamkeiten. Diese sogenannte vorurteilsbewusste Erziehung fängt schon bei unseren Materialien an: Wir haben z.B. Puppen in unterschiedlichen Hautfarben, kulturell geprägte Haushaltsgegenstände und Verkleidungsutensilien und Spiele wie Bücher in verschiedenen Sprachen und mit einer Vielzahl von kulturellen Hintergründen.
Ein häufiges Thema im Alltag ist der Geschlechteraspekt. Dieser ist nicht zu trennen von dem multikulturellen Kontext, der bei uns sicherlich im Vordergrund steht. Häufig sind es exakt die Genderfragen, an denen sich Spannungsfelder auftun, da unterschiedliche Werte, Rollenverständnisse, Lebensentwürfe und Menschenbilder aufeinander treffen. Wir gehen mit Offenheit und Neugierde auf die Menschen aller Kulturen zu und bemühen uns, uns unserer Vorurteile bewusst zu sein. Gleichzeitig wollen wir in der Diskussion über die Erziehung der Kinder auch unsere eigenen Werte fachlich begründen und vertreten können.
Die Auseinandersetzung mit den Eltern fordert von den Mitarbeiter/-innen eine hohe soziale, interkulturelle und fachliche Kompetenz – gerade bei Themen wie Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau, traditionelle Rollenvorschriften für Mädchen und Jungen, Körperlichkeit sowie Sexualität und Homosexualität. Hier geht es auch darum, genau hinzuhören, zu differenzieren, die Eltern mit ihren Sorgen ernst zunehmen und Dinge inhaltlich und fachlich richtig zu stellen. Denn manchmal basieren Vorurteile auch einfach auf Unwissenheit – so konnten wir z.B. einen besorgten Vater davon überzeugen, dass das Tragen von Mädchenkleidung im Rollenspiel seinen Sohn nicht per se homosexuell macht.
Die interkulturelle Öffnung unseres Familienzentrums sichern wir strukturell auch, indem wir möglichst männliche und weibliche Mitarbeiter aus unterschiedlichen Kulturen einstellen. Da das gar nicht so einfach ist, setzen wir auch Kulturvermittler in arabischer, türkischer oder polnischer Sprache als kulturelle Brückenbauer und Dolmetscher ein und bieten darüber hinaus alle Broschüren und Faltblätter in Deutsch, Arabisch und Türkisch an.
Ganzheitliche Bildung
Wir arbeiten nach dem Berliner Bildungsprogramm und gehen davon aus, dass frühkindliche Bildungsprozesse ganzheitlich und komplex sind. Unsere Kinder sollen die Möglichkeit haben, sich ihre Umwelt aktiv anzueignen, mit allen Sinnen zu lernen und sich emotional und sozial zu erleben. In unseren Kita-Räumen laden die verschiedenen Bildungsbereiche die Kinder ein, ihren Interessen nachzugehen. Die Erzieher/-innen stellen sich den Fragen der Kinder und gehen in kleineren und größeren Projekten auf Entdeckungsreisen. Hierbei sind die verschiedenen Lebenswelten und Sprachen der Kinder eine wahre Schatzsammlung, die es zu bergen gilt. Die Erzieherinnen und Erzieher stellen Dinge in Zusammenhänge, erweitern und fokussieren die Themen der Kinder, geben Hilfestellung und Anregung und fördern die Selbsttätigkeit der Kinder. Wir wollen weg von starren Angebotsformen und die Kinder in der „Offenen Arbeit“ individuell in ihren Spiel- und Lerninteressen fördern.
Von wesentlicher Bedeutung für das Gelingen dieser pädagogischen Arbeit sind ein demokratisches Grundverständnis im Umgang mit den Kindern und eine lebendige Kultur der Partizipation (Abbau von Erwachsenendominanz). Konsequente Reflexion der pädagogischen Praxis hilft den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, diese Haltung auch im Alltag, mit all seinen Herausforderungen, beizubehalten.
Erziehungs- und Bildungspartnerschaft mit den Eltern
In der Elternarbeit werden die Kita-Erzieher/-innen durch die enge Zusammenarbeit der offenen Bereiche sehr unterstützt. Dadurch wird eine sehr umfängliche Bildungspartnerschaft mit den Eltern ermöglicht. Auch für die Erziehungspartnerschaft mit den Eltern brauchen die Erzieher/-innen eine hohe interkulturelle Kompetenz. Ein Problem stellt immer wieder die Verständigung dar, da die Deutschkenntnisse vieler Eltern nicht ausreichen. Bei Entwicklungsgesprächen können die Erzieher/-innen nie ganz sicher sein, ob ihr Gegenüber sie wirklich verstanden hat. Da selbst der Einsatz von Kulturvermittlern und Verwandten häufig keine wirklich befriedigende Lösung ist, stellen die Erzieher/-innen den Kontakt mit den Eltern oft lieber direkt mit kreativen Möglichkeiten der Verständigung und Humor her. Einfacher gestalten sich Elternabende, Elternbriefe und andere Infoveranstaltungen, die in verschiedene Sprachen übersetzt werden
Für die Zukunft hoffen wir auf eine durchschlagende Wirkung der Deutschkurse, die von der Familienbildung angeboten werden.
Von der Vernetzung zum Vertrauen
Das SOS-Kinderdorf Berlin-Moabit hat die optimalen Voraussetzungen, auch die Eltern anzubinden und in Kontakt zu bringen, sie für Projekte zu gewinnen und mit Bildungsangeboten zu erreichen. Der tägliche Frühstücks- und Mittagstisch und das Familiencafé sowie Feste oder Kunstausstellungen bieten Anlässe zur zwanglosen Begegnung. Eltern kommen ins Gespräch, lernen sich kennen und fangen an, sich auch gegenseitig zu unterstützen. Diese Selbstorganisation der Eltern, z.B. in Form des Kita-Ausschusses oder des Caférats, erleichtert die Elternarbeit in der Kita. Aktive Eltern werden zu Multiplikatoren in der Elternschaft, übernehmen Verantwortung und entwickeln tolle Ideen wie z.B. den Elternstammtisch, Vorlesepaten, den Trödelmarkt und einen Reparaturdienst.
Um diese Eigeninitiative zu unterstützen, bieten Kita, Familientreff, Familienberatung und -bildung in enger Kooperation eine Vielzahl von Veranstaltungen, Kurse und Projekte für die Eltern an. Wir laden sie ein, sich zu beteiligen, sich auszutauschen und voneinander zu lernen. Da gibt es beispielweise das „Rucksackprojekt“ – ein Projekt zur Förderung der Muttersprache, „FuN“ – ein Familienprojekt zur Stärkung der Kommunikation und Interaktion in der Familie, Triple P-Gruppen und moderierte Dialoggruppen zu Fragen der Erziehung und vieles mehr.
Nicht nur die Eltern profitieren von diesem Netzwerkgedanken. Diese Angebote bieten den Erzieher/-innen der Kita die Chance, sich über die Kinderarbeit hinaus auch im Bereich der Familienarbeit weiterzuentwickeln. Sie fördern den kollegialen Zusammenhalt in multiprofessionellen Teams und ermöglichen kollegiale und bereichsübergreifende Beratung.
Die Erfahrungen, die die Eltern miteinander und mit unseren Mitarbeitern machen, lassen gegenseitiges Vertrauen wachsen. So wird es möglich, auch in schwierigen Elterngesprächen eine Psychologin aus der Familienberatung dazu zu holen oder dass Eltern eine Erziehungsberatung in der Familienberatung beginnen. Vertrauensbrücken helfen, auch in belasteten Situationen ins Gespräch zu kommen und verbessern so die Interventionsmöglichkeiten im Kinderschutzfall.
Das neue fachliche Profil im Berliner Kita-Alltag – auf dem Weg zu neuen Erfahrungen
Im Grunde orientiert sich unsere Arbeitsweise bereits weitgehend an dem neu entwickelten fachlichen Profil. Besonders bei der internen Vernetzung der Kita mit der Gesamteinrichtung setzen wir eine erfolgreiche Praxis um. Die Öffnung in den Sozialraum lässt sich, neben den bereits bestehenden Kooperationen mit anderen Kitas und Grundschulen, sicher noch erweitern. Beispielsweise hat sich aus dem Familientreff ein tolles Angebot entwickelt: In den Sommermonaten initiieren wir nachmittags offene Straßenspiele für Kinder des Kiezes, die ansonsten gelangweilt vor unserem Zentrum „abhängen“. Studenten, Freiwillige, Eltern oder Praktikanten bieten unter der Regie des Familientreffs Materialien an wie Wasserbaustellen, Einräder, Rollbretter, Reifen, Balancierseile oder Diabolos und organisieren mit den Kindern Zirkusspiele.
Ein weiteres, sehr wichtiges Thema, dem wir uns als Schwerpunktkita für „Sprache & Integration“ in den nächsten Jahren verstärkt widmen werden, ist die Sprachförderung der Kinder.
Die Weiterentwicklung der „Offenen Arbeit“ in unserer Kita liegt uns am Herzen. Um ihre Potentiale optimal auszuschöpfen, werden wir dieses Jahr intensiv mit externer Fachberatung arbeiten. Unser Ziel ist es, die Spiel- und Handlungsmöglichkeiten der Kinder zu erweitern und ihnen Erfahrungsräume zu eröffnen, die sie motivieren, ihren Interessen und Fragestellungen nachzugehen – individuell, in kleinen Projektgruppen selbsttätig oder mit Unterstützung der Erzieher/-innen. Das wichtigste dabei ist ein pädagogisches Rollenverständnis der Erzieher/-innen, das davon geprägt ist, aus der Perspektive der Kinder zu denken, sensibel wahrzunehmen, was sie erforschen, erzählen oder zeigen wollen und von dem Mut und der Lust, sich mit den Kindern auf den Weg zu neuen Erfahrungen zu machen.
Unsere Kita soll ein Ort für Kinder sein. Sie sollen dort mit Spaß und Freude spielen, lernen und selbstwirksam sein können. Wir wollen sie in ihrem Streben nach Selbstbestimmung, Unabhängigkeit und Eigenverantwortung unterstützen.