Bei allen notwendigen und gebotenen Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie braucht es grundsätzlich ein hohes Maß an Sensibilität dafür, wie Kinder und ihre Rechte davon betroffen sind. Und welche Möglichkeiten es dennoch für die Umsetzung von Kinderrechten gibt – trotz bestehender Einschränkungen. Luise Pfütze, Referentin für Advocacy bei SOS-Kinderdorf, nimmt im Folgenden drei Kinderrechte in den Blick.
Das Recht auf Bildung besteht weiter – trotz geschlossener Schulen
Luise Pfütze
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Auch wenn die Schließung von Schulen eine wichtige Maßnahme zur Eindämmung der Corona-Pandemie ist, darf das Kinderrecht auf Bildung nicht ins Hintertreffen geraten. Digitales Lernen ist in der „home school“ gerade das Gebot der Stunde. Manche Schulen, Lehrer/-innen und Schüler/-innen sind darauf gut vorbereitet und verfügen über die technischen Möglichkeiten sowie das entsprechende Know-how, die diese Lernform voraussetzt. Bei anderen jungen Menschen ist das nicht der Fall. Gerade sozial benachteiligte Kinder und Jugendliche verfügen nicht immer über die notwendige Ausstattung wie ihre bessergestellten Altersgenossen/-innen. Auch sind die Möglichkeiten von Eltern, ihre Kinder beim (Fern-)Lernen zu unterstützen, sehr unterschiedlich verteilt: Während einige mit Zeit und dem entsprechenden Wissen ihre Kinder unterstützen, müssen sich andere akut um andere Dinge kümmern und sind vielleicht selbst mit der Situation überfordert.
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Es besteht die Gefahr, dass sich durch die aktuelle Ausnahmesituation das bereits bestehende Problem der ungleich verteilten Bildungschancen weiter verschärft. Um dem entgegenzuwirken und das Kinderrecht auf Bildung (für alle Kinder) bestmöglich umzusetzen, ist es unabdingbar, dass Fachkräfte der Kinder- und Jugendhilfe wie Lehrer/-innen auf die individuelle Situation der Schüler/-innen achten. Dass sie besonders sensibel sind für benachteiligte Kinder und Jugendliche mit ihrem Bedarf und versuchen, deren Eltern zu unterstützen, damit diese ihren Kindern bestmöglich selbst helfen können.
Das Recht auf Spiel, Freizeit und Erholung umsetzen – trotz Kontaktverbots, geschlossener Spielplätze und Freizeiteinrichtungen
Spiel, Freizeit und Erholung finden für viele Kinder als regelmäßige Aktivitäten außerhalb der eigenen vier Wände statt. In der aktuellen Corona-Krise sind diese jetzt sehr stark eingeschränkt bzw. kaum mehr möglich. Aber gerade in dieser schwierigen Zeit, die auch für Kinder mit Unsicherheit, Angst und Stress verbunden sein kann, sollte neben Zeit zum Lernen auch genügend Freiraum für Spiel, Spaß und Erholung im Tagesablauf reserviert sein. Kontakt zu Freunden und Verwandten lässt sich gut über Telefon oder Social Media halten. Dabei kann es auch für jüngere Kinder, die bis vor kurzem ihre Freunde/-innen noch jeden Tag in der Kita oder auf dem Spielplatz gesehen haben, eine Möglichkeit sein, diese nun über Skype oder Videotelefonie virtuell zu treffen. Natürlich begleitet durch die Eltern oder andere Erwachsene.
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Zahlreiche Sport- und Kultureinrichtungen öffnen derzeit virtuell ihre Türen und bieten ein breites Online-Angebot an Kursen und Veranstaltungen an: von Kultur über Sport bis zum Basteln – auch speziell für Kinder. Auch hier gilt es jedoch im Blick zu behalten, welche Möglichkeiten Kindern und Jugendlichen zur Verfügung stehen, um diese Angebote zu nutzen. Diejenigen, die technisch keinen oder nur einen eingeschränkten Zugriff haben, brauchen alternative Zugangsmöglichkeiten. Angesichts der teilweise überfordernden Auswahl sind insbesondere jüngere Kinder auf die Unterstützung von Erwachsenen angewiesen, um die für ihre Interessen und ihr Alter angemessenen Angebote zu finden. Was sich allerdings weder mit Büchern noch mit Online-Kursen ersetzen lässt, ist die Bewegung an der frischen Luft. Für Kinder ganz besonders wichtig. Familien sollten deshalb die Möglichkeiten nutzen, allein oder auf Abstand mit einzelnen Freunden im Freien spazieren zu gehen oder Sport zu treiben.
Das Recht auf Schutz in einer angespannten Lage
Kinder haben ein Recht auf körperliche Unversehrtheit und Schutz vor Gewalt. Nicht für jedes Kind bietet das eigene Zuhause jedoch ein geborgenes und sicheres Umfeld. Gerade für bereits belastete Familien stellt die momentane Situation eine besondere Herausforderung dar.
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Die aktuellen Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie – Schließungen von Schulen, Kitas und Freizeiteinrichtungen, Kontaktsperren und Regelungen zur Heim- und Kurzarbeit – führen dazu, dass Familien derzeit weitestgehend isoliert sind und viel Zeit miteinander in ihren Wohnungen verbringen (müssen). Hinzu kommen oftmals beengte Wohnverhältnisse sowie Existenzängste. Diese angespannte Lage kann zu erheblichen familiären Belastungen führen, die für viele Kinder auch mit einer Gefährdung für ihr Wohl verbunden sein können. Kinder und Jugendliche sind physischen und psychischen Übergriffen teilweise schutzlos ausgeliefert, wenn Probleme in Familien eskalieren.
Mehr denn je ist es die Aufgabe von Fachkräften, diese Dynamiken zu erkennen und bei Bedarf einzugreifen. Gerade in dieser Ausnahmesituation ist es unerlässlich, dass alle Unterstützungsmaßnahmen für Familien vor Ort erreichbar bleiben. Dies gilt allem voran im Kinderschutz, aber auch im Bereich von Familienzentren. Familien durch diese Krisenzeit zu begleiten und damit Kinder in dieser unvorhergesehenen Lebenssituation zu schützen und zu stärken, muss jetzt höchste Priorität haben.
Luise Pfütze, Referentin für Advocacy bei SOS-Kinderdorf und Vorstandsmitglied der National Coalition zur Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention
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