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Corona und Wohnungslosigkeit

Corona-Krise und junge Wohnungslose

Die Freiburger StraßenSchule in Trägerschaft von SOS-Kinderdorf e.V. begleitet, unterstützt und fördert seit 1997 junge Menschen ohne festen Wohnsitz und in akuter Wohnungsnot. Gerade sie trifft die Corona-Krise besonders unvermittelt und existentiell. Weil Zugänge zu beratenden Anlaufstellen fehlen oder versorgende Einrichtungen Hilfen nur in beschränkter Form anbieten, weil Rückzugs- und Schutzräume geschlossen sind ‒ und der Lebensmittelpunkt Straße ordnungsrechtlichen Beschränkungen unterliegt.
Ann Lorenz, Bereichsleiterin der Freiburger StraßenSchule, und Christoph Syri, Sozialarbeiter und zuständig für das Wohnprojekt, berichten darüber, wie prekäre Lebenssituationen sich weiter verschärfen und wie die Freiburger StraßenSchule versucht, Hilfeangebote trotz aller Beschränkungen flexibel aufrecht zu erhalten.
Immer eine offene Tür

An der Eingangstüre unserer Tagesanlaufstelle hängt ein großes Plakat mit der Überschrift „Wir sind weiter für Euch da!“ Die Tagesanlaufstelle unterliegt aktuell den coronabedingten Beschränkungen, was beispielsweise bedeutet, dass unsere Sozialarbeiter/-innen Mund- und Nasenschutz tragen. Für einige unserer Besucher/-innen war dieser Umstand anfangs befremdlich, er stieß jedoch schnell auf Verständnis. Wir bekommen auch immer wieder Dankbarkeit darüber signalisiert, dass zumindest ein Hilfeangebot in beschränkter Form aufrecht erhalten bleibt. Denn unsere Tagesanlaufstelle ist für die jungen Menschen einfach ein fester Tagesstrukturpunkt, ein sicherer Rückzugsraum unter Gleichgesinnten mit verlässlichen erwachsenen Ansprechpartner/-innen.
Information und Aufklärung
Gleich zu Beginn der Krise haben wir Hilfekonzepte entwickelt, um dem gesonderten Bedarf dieser Situation gerecht zu werden. Wir haben die Taktung der Straßengänge erhöht, um in einer Phase großer Verunsicherung persönliche Begegnungen zu ermöglichen. So konnten wir Hilfestellung u.a. bei geänderten behördlichen Belangen wie beispielsweise bei Anträgen zum ALG II leisten sowie Informationen zu geöffneten Anlaufstellen und Versorgungseinrichtungen und zu den aktuell geltenden politischen Beschränkungen geben. Parallel dazu haben wir ein Corona-Infoblatt zum bestehenden Hilfe- und Versorgungsnetz in Freiburg entwickelt, das regelmäßig aktualisiert und an die bestehenden Bestimmungen angepasst wird.
Corona-Krise: fehlende Infrastruktur
Für junge Menschen, die ihren Lebensmittelpunkt auf der Straße haben, stellt insbesondere der mangelnde Zugang zu Hygieneeinrichtungen ein großes Problem dar. Weil öffentliche Toiletten gänzlich geschlossen waren und der Zugang zu den Anlaufstellen größtenteils nicht mehr möglich war, fehlte es während des Lockdowns schlichtweg an der nötigen Infrastruktur, um sich regelmäßig die Hände zu waschen oder duschen zu können. Neben der Information zu den hierfür weiter bestehenden Anlaufstellen verteilten unsere Mitarbeiter/-innen daher auch kleine Desinfektionsfläschchen sowie sterile Mund- und Nasenschutzmasken, die über verschiedene Spendeninitiativen finanziert wurden.
Flexible Hilfen in Corona-Zeiten
Während ein Teil der jungen Menschen ihre Existenz über den Bezug von Sozialleistungen oder über Aushilfsjobs sicherstellt, ist ein nicht unerheblicher Teil der Heranwachsenden gänzlich auf das „Schnorren“ oder auf die Einnahmequelle „Straßenkünste“ angewiesen. Die Corona-Pandemie verschärfte daher bei vielen ganz schnell die existentielle Not. Weil Aushilfsjobs abrupt wegbrachen, die Einnahmequellen auf der Straße fast gänzlich versiegten und auch weil Behörden bisweilen nur noch online erreichbar waren. Neben dem Angebot, behördliche Angelegenheiten über PCs in unserer Einrichtung zu regeln, unterstützten wir auch akut Hilfebedürftige mit Einkaufsgutscheinen für den Supermarkt, mit Essengutscheinen für eine Bäckerei oder auch mit einmaligen finanziellen Zuwendungen. Zudem stellen wir noch immer Powerbanks zur Verfügung, die nach Gebrauch gegen aufgeladene Geräte eingetauscht werden können. So sind die jungen Menschen beispielsweise für Behörden weiter erreichbar.
Beziehungsarbeit gerade jetzt
Im gesellschaftlichen Kontext ist die Corona-Krise auch eine soziale Krise. Junge Menschen auf der Straße sind neben der Gemeinschaft in Peer-Groups in besonderem Maße auf tragfähige Beziehungen mit zuverlässigen und vertrauensvollen Ansprechpartner/-innen angewiesen. Denn meist besteht kein oder nur wenig Kontakt zur Herkunftsfamilie ‒ und Erfahrungen mit erwachsenen Bezugspersonen sind häufig negativ geprägt. Wir von der Freiburger StraßenSchule möchten die jungen Menschen über den Aufbau vertrauensvoller Beziehungen darin bestärken, an sich selbst und die eigenen Fähigkeiten zu glauben, und gemeinsam mit ihnen neue Lebensperspektiven entwickeln.
„Wir sind weiter für Euch da!“ ‒ gerade jetzt in der aktuellen Corona-Krise ist es wichtiger denn je, genau das zu signalisieren! Wir haben neben erhöhten Präsenzzeiten auf der Straße und in unseren ambulanten Wohnangeboten, in denen wir junge Menschen in einer Art „Übergangswohnen“ begleiten, zwischenzeitlich auch eine telefonische Anlaufstelle eingerichtet. Zu festen Zeiten standen Mitarbeitende drei Stunden am Tag für Fragen und zum Austausch zur Verfügung. Über die Straßensozialarbeit ist es uns gelungen, die Kontakte zu unseren jungen Leuten während der Corona-Pandemie aufrecht zu erhalten ‒ und ihnen in dieser schwierigen Zeit verlässliche Ansprechpartner/-innen zu sein. Dass wir jetzt Stück für Stück unsere Angebote wieder ausweiten können und so den Bedarf unserer jungen Leute wieder besser begegnen können, freut uns sehr! Und: Wir können es kaum erwarten, in unserer Tagesanlaufstelle bald wieder zusammen an einem Tisch zu sitzen, zu reden und zu spielen – ohne Abstand, ohne Maske und ohne Scheibe!
Ann Lorenz, Bereichsleiterin der Freiburger StraßenSchule, und Christoph Syri, Sozialarbeiter und zuständig für das Wohnprojekt der Freiburger StraßenSchule, SOS-Kinderdorf Schwarzwald (Juni 2020)
Titelfoto: pixelfit / istockphoto.com
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ilona.fuchs@sos-kinderdorf.de
Dr. Kristin Teuber
Leiterin Sozialpädagogisches Institut (SPI)

kristin.teuber@sos-kinderdorf.de