Deutliche psychische Belastungen
Deutlich stärker als die körperliche Gesundheit wird das emotionale Wohlbefinden beeinflusst. Jeweils 20 bis 30% der Befragten geben an, dass ihnen die Pandemie-Situation Angst macht, dass ihnen Entscheidungen des täglichen Lebens schwerfallen und dass sie nicht wissen, wie sie sich in sozialen Situationen verhalten sollen. Für weitere 20% trifft dies zumindest teilweise zu. Bei der Frage nach den Auswirkungen der Pandemie auf das seelische und emotionale Wohlbefinden wird dies noch deutlicher: 35% beschreiben überwiegend negative Auswirkungen, nur 11% überwiegend positive. 30% benennen positive und negative Auswirkungen zugleich. In offenen Antworten kommen vor allem Angst, Depressionen und Einsamkeit zur Sprache. Für Care-Leaver können diese neuen Erfahrungen in der Pandemie bedeuten, dass biographische Belastungen aktualisiert werden und die bei einigen labile psychische Gesundheit nachhaltig gefährdet ist. Deshalb ist hier der Zugang zu Beratung und therapeutischer Unterstützung besonders bedeutsam.
Beruf und Bildung stark verändert
Im Bereich Beruf und Bildung werden, neben der Freizeit, die stärksten Veränderungen beschrieben. 29% der jungen Menschen sehen überwiegend negative Veränderungen, 13% überwiegend positive. 38% erleben zugleich positive und negative Veränderungen.
An einer mangelnden technischen Ausrüstung liegen die negativen Auswirkungen zwar überwiegend nicht. Dennoch geben immerhin 14% an, dass diese nicht für die Anforderungen für Beruf und Bildung ausreicht, für weitere 10% trifft dies teilweise zu. Als belastend benannt werden Kurzarbeit oder Praktika und Ausbildungen, die nicht begonnen werden können, aber auch hohe Belastungen gerade in Pflegeberufen.
Existenzielle Sorgen eher selten, Unterstützung stabil
Relativ selten werden Auswirkungen auf die finanzielle Situation beschrieben – erstaunlicherweise. Etwa jeweils 20% beschreiben negative und ambivalente Auswirkungen, 15% sogar positive. Ähnliches gilt für die Wohnsituation: 25% erleben sogar Verbesserungen, 16% positive und negative Auswirkungen und 6% überwiegend negative.
Erfreulich ist, dass sich die Unterstützung durch SOS-Kinderdorf und auch durch andere Träger oder Institutionen nur wenig zu verändern scheint. Lediglich 35% bzw. 45% beschreiben Auswirkungen, jeweils zu etwa einem Drittel positiv, negativ und ambivalent.
Fazit
- Dieser erste Einblick in die Ergebnisse zeigt, dass sich das Leben der Care-Leaver − wie auch das der Gesamtbevölkerung − in vielen Bereichen stark verändert hat.
- Die negativen Auswirkungen der Pandemie überwiegen am deutlichsten in den Bereichen Freizeit, Bildung und Beruf sowie im emotionalen Wohlbefinden.
- Care-Leaver nehmen aber auch positive Aspekte wahr, die sich am meisten auf die Partnerschaft und die Wohnsituation beziehen. Positive und negative Auswirkungen werden oft auch zugleich wahrgenommen − am häufigsten im Alltag und in der Lebenssituation insgesamt.
- Als besonders bedenklich erscheinen uns die Auswirkungen auf das seelische und emotionale Wohlbefinden und die psychische Belastung. Hier können die biografischen bzw. bereits bestehende Belastungen der Care-Leaver die Bewältigung der aktuellen Einschränkungen erschweren. Deshalb sollten ausreichend Zugänge zu Beratung und Therapie ermöglicht werden.
- Viele Care-Leaver akzeptieren die Situation und tragen diese mit. Allerdings haben doch relativ viele von ihnen den Eindruck, dass ihre Sorgen nicht oder nur teilweise gehört werden.
- Existenzielle Sorgen sind relativ selten, und die Unterstützungsstrukturen scheinen einigermaßen stabil zu bleiben.
- Wir erwarten, dass die unterschiedliche Wahrnehmung der Situation auch mit der jeweils individuellen Vorgeschichte der Care-Leaver und ihren Widerstandsressourcen zusammenhängt. Dies werden wir anhand von Daten im weiteren Verlauf der SOS-Längsschnittstudie untersuchen.
Wir bedanken uns bei allen Teilnehmenden an der
SOS-Längsschnittstudie, dass sie sich Zeit für unsere Befragung genommen haben − und für ihre Offenheit! Wir wünschen allen Gesundheit und einen guten weiteren Weg in und nach der Corona-Pandemie.