Dietmar Kraft ist Bereichsleiter im SOS-Kinderdorf Augsburg – Kinder-, Jugend- und Familienhilfe. Er trägt dort Personalverantwortung für 25 Fachkräfte in den stationären und ambulanten Hilfen am Standort Leonhardsberg. Zwei Mitglieder aus seinem Team nehmen derzeit am Einführungsprogramm für Berufseinsteiger teil. Im Interview berichtet Dietmar Kraft, wie er dieses Programm zur Personalentwicklung aus der Perspektive einer Führungskraft wahrnimmt und welchen Nutzen er sich davon für seine Einrichtung verspricht.
Was sind aus Ihrer Sicht die größten Herausforderungen für Berufseinsteiger im stationären Bereich?
Berufseinsteiger haben viele Entwicklungsaufgaben zu meistern. Ein Hauptthema ist die Regulation von Nähe und Distanz – bei Klienten, in der Elternarbeit und auch auf kollegialer Ebene: Wie schaffe ich es, mich empathisch einzubringen, und wie erreiche ich eine angemessene Balance?
Eine große Herausforderung stellen auch die unterschiedlichen Haltungen zu Erziehung und Betreuung dar. Da wir im Team für bestimmte Aufgaben gemeinsam zuständig sind, brauche ich Vertrauen in die Kollegen, dass diese die Arbeit auch in meinem Sinne weiterführen. Dazu muss ich viele Absprachen treffen. Am Anfang ist man ja unsicher: Darf ich das eigentlich als Berufsanfänger? Wieweit muss ich mich den bestehenden Gepflogenheiten anpassen und wie kann ich einen eigenen Stil, ein professionelles Profil entwickeln? Es ist sehr wichtig, diese Phase des Berufslebens gut zu begleiten.
Inwiefern ergänzt das Einführungsprogramm die Einarbeitung innerhalb der Einrichtung?
Sie brauchen in einer Einrichtung ein standardisiertes Vorgehen in der Einarbeitung, zumal die Lernfelder so vielfältig sind. Dafür haben wir Checklisten entwickelt. Außerdem greife ich in regelmäßigen Gesprächen komplexe Themen wie Kinderschutz und Beteiligung auf, um Klarheit zu schaffen, welche juristischen Regelungen es gibt und was wir z.B. als Träger unter Kinderschutz verstehen. Oder auch, wie wir beispielsweise bei SOS-Kinderdorf für Qualitätsentwicklung sorgen. In diesen Einführungsgesprächen höre ich hin, wie die Berufseinsteiger solche Themen sehen und wie sie sich in bestimmten Situationen verhalten würden.
Was die interne Einarbeitung nicht leisten kann, ist die Vernetzung mit Kolleginnen und Kollegen aus anderen Einrichtungen. In dieser Hinsicht halte ich das Berufseinsteigerprogramm für besonders hilfreich. In den Peergruppentreffen kommen die Einsteiger in Kontakt mit Fachkräften aus anderen Jugendwohngemeinschaften, die zum Beispiel anders aufgebaut sind oder sich kulturell von unseren unterscheiden.
Reflexion in der Peergruppe
Sie bekommen dort auch einen geschützten und moderierten Raum für Reflexion. Mit am wichtigsten für die Entwicklung einer pädagogischen Professionalität ist, dass sie lernen, ihre Arbeit von außen zu betrachten, ihre Interventionen vor anderen darzulegen, oder auch Beziehungsthemen von Dritten anschauen zu lassen. All das ermöglicht dieser sehr geschützte Rahmen – zumal die Auseinandersetzung ja nicht in der direkten kollegialen Beziehung stattfindet.
Inwiefern sind die Bausteine des Programms nützlich für die Einarbeitung?
Meiner Meinung nach ist es gut, dass die Supervision in den Peergruppen thematisch offener ist als eine Team- oder Fallsupervision. Die Peers können sich neben fachlichen Themen auch ganz intensiv mit typischen Einsteigerfragen befassen, z.B.: Wie bin ich in meiner Heimateinrichtung angekommen, was für eine Leitungsstruktur haben wir, wie erlebe ich den Einstieg? Und wie gehen Kollegen in anderen SOS-Einrichtungen mit Herausforderungen um; was lässt sich übertragen?
© © SOS-Kinderdorf e.V. / Foto: Torsten Kollmer
Die Seminare innerhalb des Programms thematisieren zum Beispiel Grundlagen systemischen Arbeitens, Bindung, Beteiligung und den Umgang mit Traumata. So lernen die Berufseinsteigerinnen und -einsteiger auch mehrere Perspektiven kennen, aus denen man auf große pädagogische Themen schauen kann. Ich finde es hervorragend, dass die Kolleginnen und Kollegen mit verschiedenen Erklärungen für ein und dasselbe Phänomen in Berührung kommen. Das hilft ihnen, sich zu orientieren und sich selbst zu verorten.
Was versprechen Sie sich von dem Einführungsprogramm?
Ich erhoffe mir, dass sich die Berufseinsteigerinnen und -einsteiger mit einem Träger identifizieren, der seine Fürsorgepflicht erfüllt; dass sie wahrnehmen: Dem SOS-Kinderdorfverein ist sehr daran gelegen, dass seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gute Arbeit für seine Klienten erbringen, und daran, sie dabei zu unterstützen und zu stärken.
In welcher Hinsicht hat sich das Programm bewährt – und wo sehen Sie Grenzen?
Ich finde, mit diesem Einführungsprogramm hat der SOS-Kinderdorfverein eine wichtige Maßnahme zur Personalentwicklung erarbeitet. Der Fokus des Konzeptes ist gezielt auf die Mitarbeitergruppe der Berufseinsteigerinnen und -einsteiger gerichtet. Das ist richtig gut, weil das Programm genau an den Fragen und Herausforderungen ansetzt, die neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu bewältigen haben.
© SOS-Kinderdorf e.V. / Foto: Mathis Leicht
Schwierig wird es für uns, wenn wir drei oder vier neue Fachkräfte in einem Team haben, die dann für die Teilnahme an den Peergruppentreffen gleichzeitig freizustellen sind. Für uns als Einrichtung ist die Personalplanung in solchen Fällen eine Herausforderung, da wir gerade im Schichtdienst nicht viel Spielraum haben. Wenn mehrere Teammitglieder gleichzeitig auf einer Fortbildung sind, ist es natürlich nicht leicht, die Vertretung zu regeln.
Inhaltlich muss man wahrscheinlich mit ein paar Kernthemen aus dem großen Feld der Pädagogik anfangen und diese gut portionieren, um das Programm nicht zu überfrachten. Ich finde, die Balance ist gelungen, das Programm hat ein gutes Maß. Mir gefällt auch, dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer die Peergruppentreffen selbständig organisieren, denn darum geht es ja im Arbeitsalltag: sich selbst zu organisieren und auch für sich zu sorgen.
Welchen Nutzen hat diese Maßnahme zur Einarbeitung für die Einrichtungen des SOS-Kinderdorf e.V.?
Beide Mitarbeiter, die derzeit aus meinem Bereich teilnehmen, geben mir Feedback, dass sie das Einführungsprogramm als tolle, hilfreiche Sache empfinden. Hier können sie verschiedene Themen außerhalb ihrer Teams besprechen. Sie schätzen die Möglichkeit sehr, einrichtungsübergreifend zu arbeiten. Ich erlebe die beiden auch als selbstbewusster, sie wissen um ihre Qualitäten und wissen ihre Einrichtung zu schätzen. Das würde ich als einen mittelbaren Nutzen bezeichnen.
Einen unmittelbaren Nutzen hat das Programm, wenn die Teilnehmenden im geschützten Rahmen der Peergruppe auch Konflikte reflektieren können, die in Teams immer wieder einmal auftreten. Sie erfahren, wie man diese konstruktiv bearbeiten kann und müssen nicht besorgt sein, solchen Anforderungen nicht gerecht zu werden.
Wie beurteilen Sie, dass der SOS-Kinderdorfverein ein solches Einsteigerprogramm anbietet?
Ich finde, dies ist ein wichtiger Baustein, der den Gesamtverein profiliert. Der Träger zeigt damit, dass er Verständnis für die Situation von Berufseinsteigern vor Ort hat. Man kann durchaus sagen, dass der SOS-Kinderdorfverein damit so etwas wie ein Trainee-Programm entwickelt hat, mit dem man in Vorstellungsgesprächen punkten kann. Für viele, die direkt aus dem Studium oder der Erzieherausbildung in den Job einsteigen – was ja ein richtiger Kraftakt ist – ist es sicher sehr attraktiv, eine Begleitung in dieser Form zu bekommen.