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Interview mit Christian Walch

Ein Gespräch über das Erfolgsmodell OGS

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Christian Walch arbeitet seit 2012 als einer der Hauptamtlichen des SOS-Kinderdorfs Weilheim in der OGS und der Schulsozialarbeit am Gymnasium Weilheim.

Bildungschancen stabilisieren mit Offener Ganztagesschule

Zum Schuljahr 2008/09 hat das Kinderdorf Weilheim die Trägerschaft der Offenen Ganztagsschule (OGS), sowie der Schulsozialarbeit am Gymnasium Weilheim übernommen. Seither hat sich die OGS als Erfolgsmodell für die Stabilisierung von Bildungschancen mit gelebter Beteiligung entwickelt. Christian „Chrischan“ Walch arbeitet seit 2012 als einer von zwei Hauptamtlichen des SOS-Kinderdorfs Weilheim in der OGS und der Schulsozialarbeit. Er erklärt, warum dieses Angebot gerade am Gymnasium so wichtig für die Stabilisierung ist, wie das Gruppenleiter*innenmodell funktioniert – in dem Schülerinnen und Schüler der Oberstufe jährlich mehr als 5.000 Stunden ehrenamtliches Engagement leisten – und wie echte Beteiligung in der OGS gelebt wird.

Warum braucht es ein Angebot wie die OGS für Kinder am Gymnasium? Hätten Kinder anderer Schularten derartige Unterstützung nicht viel nötiger?

Walch: Das Schlüsselthema der OGS ist Bildungschancen stabilisieren. Häufig fehlt Kindern, auch wenn sie eine Übertrittsempfehlung erhalten haben, aus ganz unterschiedlichen Gründen die notwendige Unterstützung um sich in der neuen Lebenswelt Gymnasium zurechtzufinden. Sie sind schlichtweg überfordert. Kinder, die nicht mit Deutsch als Muttersprache aufwachsen und deren Eltern sie aus sprachlichen Gründen nicht unterstützen können, oder deren Eltern nicht den Bildungshintergrund für ausreichende Unterstützung haben. Aber auch Kinder von Alleinerziehenden oder Doppelverdienern, deren Eltern Nachmittags schlichtweg nicht Daheim sind und so keine Hilfe bei den Hausaufgaben leisten können. Die OGS hilft diesen Kinder in der Lebenswelt Gymnasium anzukommen und kann so entscheidend zu ihrem Bildungserfolg beitragen.

Was beinhaltet das Angebot der OGS?

Walch: Die OGS bietet an vier Tagen pro Woche (Mo – Do) Nachmittagsbetreuung je von 12.45 – 15.45 Uhr für Schülerinnen und Schüler der Unterstufen an. In diesem Schuljahr betreuen wir im Schnitt täglich 58 Kinder. Eltern können das Angebot tageweise buchen. Für jedes Kind werden einmal pro Jahr pro Buchungstag 50,- Euro gezahlt. Beispiel: OGS-Beitrag für zwei Nachmittage betragen einmalig 100,- Euro pro Schuljahr. Die drei Stunden Betreuungszeit gliedern sich in eine gemeinsame Mittagspause, Besprechung von Fragen und anstehenden Themen, einer geführten Studierzeit in Kleingruppen und begleitete Freispielzeit.

In der OGS profitieren wir von der hohen Fachlichkeit aus dem Spektrum SOS-Kinderdorf und vielen helfende Händen. Wir leben einen wohlwollenden, Kind-zentrierten Handlungsansatz. Dies ermöglicht uns, bedarfsgerecht auch Situationen für Kinder mit besonderen Bildungsbiographien zu schaffen, die spezielle Unterstützung benötigen. Beispielsweise haben wir in der OGS für ein Kind mit Autismus-Spektrum-Störung ein Setting geschaffen, in dem sich das Kind stabilisieren konnte. Innerhalb von drei Jahren ist uns auch Stabilisierung in der Gruppe gelungen, indem  gemeinsam mit Lehrern, Eltern und Fachkräften eine besondere Lernsituation geschaffen wurde.

Welche Rolle haben die ehrenamtlichen Gruppenleiter*innen?

Walch: Die OGS wird von zwei Hauptamtlichen Mitarbeitern des SOS-Kinderdorfs Weilheim, meinem Kollegen Philipp Arendt und mir, verantwortlich getragen. Bei der Betreuung der Kinder unterstützen uns pro Jahr mehr als 40 ehrenamtliche Gruppenleiter*innen. Die Gruppenleiter*innen sind Schülerinnen und Schüler der Oberstufe, die in der OGS ehrenamtlich die Jüngeren betreuen. Jede Gruppenleiter*in leistet genau drei Stunden Betreuung pro Woche an einem festen Tag und bekommt als Motivationsanreiz eine Aufwandsentschädigung. Die meisten möchten Erfahrungen sammeln, oder etwas zurückgeben. Denn viele Gruppenleiter*innen wurden in der Unterstufe selbst in der OGS betreut. Sie erhalten eine fundierte zweitägige Schulung und wir führen regelmäßige Gespräche in denen Fragen gestellt werden können und wir gemeinsam Lösungen für den Umgang mit schwierigen Situationen besprechen. Ganz wichtig ist dabei, dass die Verantwortung für die Kinder bei uns Hauptamtlichen liegt. Die Gruppenleiter*innen haben neben der Arbeits- auch eine Vertrauensbeziehung zu den Kindern.

Man könnte die OGS auch mit Aktivsenioren gestalten. Dann würde aber eine ganz andere Lebenswelt entstehen als mit älteren Schüler*innen, die auch eine wichtige Vorbildfunktion haben. Die Kinder in Weilheim stammen meist aus dem ländlichen Milieu, oft aus einer kleinen Grundschule im Dorf. Beim Wechsel auf das Gymnasium kommen sie in ein riesiges Haus und haben auf einmal ständig wechselnde Lehrer und Unterrichtsräume und neue Lernanforderungen. Mit Hilfe der älteren Schüler*innen können sie schneller und gründlicher in der neuen Lebenswelt Gymnasium ankommen. In der OGS haben sie darüber hinaus die Möglichkeit Kinder aus den verschiedenen Klassen und Jahrgängen kennenzulernen, Kontakte zu knüpfen und Freunde auch außerhalb der eigenen Klasse zu finden.

Seit sieben Jahren gibt es in der OGS ein Beteiligungsmodell. Was beinhaltet das Modell und wie wird Beteiligung konkret ermöglicht?

Walch: Beteiligung ist ein zentrales Element der OGS. Am Anfang jeden Tages steht eine Ansage, über die Besonderheiten des jeweiligen Tages mit anschließenden Wortmeldungen und gemeinsamer Diskussion. Die Kinder und Gruppenleiter*innen erfahren in der OGS Selbstwirksamkeit, indem ihre Bedürfnisse gehört und ernst genommen werden.

Darüber hinaus gibt es einen Beitrat aus Kindern, Gruppenleiter*innen, Eltern, Vertreter*innen der Schule und uns beiden Hauptamtlichen. Der Beitrat trifft regulär 3x jährlich zusammen und entwickelt die OGS kontinuierlich weiter. Jeder kann Änderungswünsche einbringen und wir probieren auch Dinge aus. Vor einigen Jahren gab es beispielsweise im Beirat die Idee, den Rhythmus des Ablaufs, also Freispielzeit / Studierzeit zu ändern. Wir haben dann verschiedene Abläufe ausprobiert. Letztendlich sind wir wieder beim ursprünglichen Modell gelandet, aber jetzt können wir begründen warum. Übrigens ist die Studierzeit für die verschiedenen Jahrgänge unterschiedlich. Für die Jüngeren ist sie etwas kürzer, da hier die Freispielzeit als soziale Komponente eine größere Rolle spielt. Eine weitere Idee des Beirats war ein bilingualer Tag, den wir in diesem Schuljahr zum ersten Mal ausprobieren. Wir haben den „BiLi-Tag“ mit Beratung durch die Fachschaft Englisch aufgesetzt und jetzt ist an einem Tag pro Woche die Verkehrssprache in der OGS Englisch.

Im Schuljahr 2021/22 haben wir auch eine AG Kinderschutz in der OGS, an der sich betreute Kinder, Gruppenleiter*innen und eine Vertreterin der Schulleitung beteiligen. In verschiedenen Workshops erarbeiten sie wie Kinder und Jugendliche die Lebenswelt Schule erleben, wo sie sich in der Schule geschützt fühlen und wo nicht – und zwar sowohl räumlich auch als emotional. Aus den Ergebnissen sollen dann in Zusammenarbeit mit der Schule Handlungsempfehlungen erarbeitet und umgesetzt werden.  

Welche Auswirkungen der Corona Pandemie habt ihr in der OGS bemerkt?

Walch: Erstmal hatten wir das große Glück, dass die OGS in der Pandemie stattfinden konnte, sobald die Schulen offen waren. Gerade in Pandemiezeiten ist die OGS wichtig, da die Kinder, die zu uns kommen häufig besonderen schulischen, aber auch emotionalen Unterstützungsbedarf haben.

Die benötigten Räumlichkeiten wurden von der Schulleitung problemlos zur Verfügung gestellt, so dass wir in Kleingruppen mit je fünf Kindern und eine*r Gruppenleiter*in arbeiten konnten. Hier profitieren wir von der langjährig etablierten Zusammenarbeit mit der Schulleitung. Die OGS unterstützt auch mal beim Aufräumen des Pausenhofs, wenn der zuständige Dienst ausfällt. Die kooperative Zusammenarbeit mit der Schule ist also für beide Seiten eine Win-win-Situation.

Natürlich sehen wir die durch Corona-bedingten Veränderungen, die Lehrer feststellen, auch in der OGS. Viele Kinder in der 5. Jahrgangsstufe sind durch die fehlenden Kontakte vor allem sozial und emotional noch auf dem Stand von Grundschüler*innen. In der OGS können wir darauf sehr sensibel reagieren, indem wir die Studierzeit anpassen, Gruppenleiter*innen speziell briefen wie sie auf die Bedürfnisse der Kinder eingehen können und nicht zuletzt auch bei den Eltern ein Bewusstsein für diese Herausforderung ihrer Kinder schaffen.

Grundschulen haben bedingt durch die langen Schließzeiten im vergangenen Jahr im Zweifel eher zu Empfehlungen für das Gymnasium tendiert. Nicht bei allen Kindern ist die gymnasiale Eignung wirklich geben – und diese Kinder sind grundsätzlich überfordert. Hier können wir als OGS Hilfestellung bieten, indem wir mit großer Hartnäckigkeit die Studierzeit nutzen, um Lücken zu schließen. In ausführlichen Gesprächen mit den Eltern suchen wir individuell nach geeigneten Lösungen. In manchen Fällen empfehlen wir auch freiwilliges Wiederholen – und in Einzelfällen ist sogar ein rascher Schulwechsel die beste Lösung für das Kind.

Im Hinblick auf die Gruppenleiter*innen haben wir eine große Zurückhaltung der höheren Jahrgänge feststellen müssen, sich in der OGS zu engagieren. Corona-bedingt gehen sie lieber auf Nummer sicher und fokussieren sich auf ihre eigenen schulischen Leistungen. Das ist natürlich verständlich, aber hier wünsche ich mir für die Zukunft wieder eine größere Mischung aus den verschiedenen Jahrgängen der Oberstufe.

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