Wachse über dich hinaus und werde Teil des SOS-Kinderdorfs

23. November 2020

Einblicke: Praktikum im Bereich Ambulante flexible Hilfen / Betreutes Wohnen im SOS-Kinderdorf Sauerland

Alina Pagouridis, Studierende der Angewandten Sozialwissenschaften hat ein halbjähriges Praktikum im SOS-Kinderdorf Sauerland im Bereich Ambulante flexible Hilfen und Betreutes Wohnen absolviert. Die Angebote der Ambulanten flexiblen Hilfen sind Hilfsangebote für Familien, Kinder und Jugendliche, die eine Unterstützung in der elterlichen Erziehung oder der individuellen Entwicklung benötigen – stets an den Ressourcen und individuellen Bedarf der Familien orientiert. Die Mitarbeitenden in den Ambulanten flexiblen Hilfen unterstützen Familien dahingehend, dass erzieherische Kompetenzen zur Entfaltung gelangen und förderliche Entwicklungen für die Kinder erreicht werden.
Betreutes Wohnen wird in der Regel im Anschluss an einen Aufenthalt in einer Wohngruppe oder Kinderdorffamilie im Rahmen des Verselbstständigungsprozesses angeboten. Im SOS-Kinderdorf Sauerland bewohnt jeder Jugendliche ein eigenes kleines Appartement und führt selbstständig seinen Haushalt und erfährt stundenweise individuelle Betreuung und Beratung. Durch die Verbindung von pädagogischer Betreuung, eigenständiger Wohnform und selbstständiger Alltagsgestaltung sollen die Jugendlichen ihre Selbstständigkeit entwickeln und festigen sowie eine adäquate Lebensperspektive entfalten.

Warum hast du dich für das SOS-Kinderdorf Sauerland als Einsatzort für dein Praktikum entschieden?

Alina: Weil mich das pädagogische Konzept von SOS-Kinderdorf e.V. überzeugt hat und ich die Aufgabenvielfalt in den Ambulanten flexiblen Hilfen / Betreutes Wohnen herausfordern fand.

Was hat dich am meisten überrascht?

Alina: Wie eng verzahnt das Team zusammenarbeitet, welche Wertschätzung man unter- einander zeigt und wieviel Vertrauen man mir entgegengebracht hat.

Was war die größte Herausforderung?

Alina: Die richtige Balance zu finden zwischen Nähe und Distanz. Die Jugendlichen sind nicht viel älter als ich und deswegen ist es manchmal schwierig die Gratwanderung zwischen „Kumpel“ und Mitarbeiterin zu schaffen.

Wie hast du dich selbst erlebt während des Praktikums?

Ich habe nicht damit gerechnet, dass ich so viel mitnehmen und machen darf. Das fühlt sich gut an, weil mir so viel zugetraut wird. Ich konnte in den kompletten Bereich reinschnuppern und wurde ein Teil des Teams, das war eine tolle Erfahrung. Ich hatte auch einen eigenen Arbeitsplatz mit beruflicher Erreichbarkeit.

Was empfiehlst du anderen?

Alina: Man muss in dem Bereich zeitlich flexibel, spontan und offen für Neues sein. Man sollte sich gerne mit jungen Menschen umgeben, teamfähig sein und das Wichtigste: Fragen stellen!

Gab es etwas, wovor du am Anfang Bedenken hattest?

Alina: Ich dachte, dass es vielleicht problematisch werden kann, weil ich genauso alt bin, wie die Jugendlichen, die ich betreue. Aber ich habe gemerkt, dass ich ihnen eher durch die Themen, die uns verbinden nah bin und habe so schnell einen Zugang zu ihnen bekommen.

Beschreib’ doch mal einen typischen Praktikumstag!

Alina: Als erstes besprechen mein Praxisanleiter und ich alles, was aktuell und wichtig ist. Danach bin ich involviert in die Mitgestaltung der Berichte und Tagesdokumentationen, die die Grundlage für die Hilfeplangespräche bilden. Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Digitalisierung der Biografie-Arbeit: wir erstellen Genogramme (Darstellungsform familiärer Zusammenhänge) für die betroffene Familie, um die Beziehungen und Problematiken, die meist tief verankert sind, zu verstehen. Dadurch erhalten wir Rückschlüsse für die systemische Arbeit. Auch die wöchentlichen Teamsitzungen haben mir viel gebracht, weil ich hier den fachlichen Austausch miterlebt habe.
Hilfeplangespräche: Das sind Treffen, wo alle Personen zusammen kommen, die den Jugendlichen Unterstützung geben wie seine Betreuer, das Jugendamt, der Vormund oder die Eltern, Pädagogen und Psychologen und natürlich der Jugendliche selbst – hier wird geschaut, wie man am besten helfen und unterstützen kann und wohin der Weg zukünftig gehen kann. Diese Gespräche sind gesetzlich vorgeschrieben und verpflichtend nach Paragraph 36 im KJHG und finden mindestens einmal in 6 Monaten statt.

Was steht noch auf deinem Plan?

Alina: Im Bereich Betreutes Wohnen haben wir eine Kochgruppe, hier treffen sich die Jugendlichen einmal in der Woche um alltagspraktische Fähigkeiten zu erlernen. Einer hat den Hut auf und bestimmt, was gekocht wird und muss dafür auch einkaufen und alles organisieren. Man erreicht eine andere Ebene mit den Jugendlichen – jeder bringt ein, was er gerne kocht und man unterhält sich in einem entspannten Rahmen über alles, was einen gerade bewegt.

Greift ihr auch mal zu ungewöhnlichen Maßnahmen in eurer Arbeit?

Alina: Wir hatten mal einen komplizierten Fall und wussten nicht so recht, wie wir weiterkommen. Dann haben wir ganz spontan in einem Rollenspiel den Fall nachgestellt – das hat uns allen geholfen die verschiedenen Perspektiven aller Beteiligten zu beleuchten und danach hatten wir einen Ansatz.

Ihr habt auch eine Reise nach Berlin gemacht, oder?

Alina: Genau, wir sind zur Botschaft für Kinder in Berlin gefahren – das Motto der Veranstaltung war „Mach dein Ding!“ – genau mein Motto! Ich habe schöne Begegnungen beobachtet: da war z.B. ein IT-Manager aus Guinea, der perfekt Deutsch gesprochen hat – wir hatten einen Landsmann unter den Jugendlichen und der war natürlich ähnlich wie die anderen sehr beeindruckt. Ein Vorbild für die Jugendlichen. Er hat etwas geschafft, was sie sich noch erträumen. Diese Entwicklungen und Denkanstöße zu sehen, das ist total schön. Es gibt bei SOS e.V. immer wieder die Möglichkeiten an solchen Freizeitaktionen teilzunehmen – ich war aber auch Teil des Dorflebens und war z.B. auch auf der Mitarbeiter-Weihnachtsfeier, wo sich alle nach einem witzigen Motto verkleidet haben. Hier hat konnte man auch mal mit Mitarbeiter*innen aus anderen Bereichen entspannt quatschen.

Was fällt dir an kleinen Dingen ein, die du bei deiner Arbeit bewegt hast?

Alina: Einfach die alltägliche Hilfe – zusammen mit einem Jugendlichen eine SIM-Karte einrichten oder ihn /ihr bei der Suche nach passenden Hilfsangeboten, bei Anträgen und Behördengängen, Arztbesuchen oder beim Einkaufen zu unterstützen - es sind die kleinen Schritte, die das große Ganze ausmachen.

Wie wurdest du denn unterstützt in deiner Arbeit? Insbesondere in der Praxisanleitung?

Alina: Es gibt regelmäßige Praktikantenrunden, die von einem Fachdienst-Mitarbeiter – er ist auch zuständig für die Praxisberatung - einberufen werden. Hier hat jeder die Möglichkeit in einem geschützten Rahmen über seine Erfahrungen und vielleicht auch Probleme zu sprechen und man kann sich mit anderen Praktikantinnen austauschen. Im SOS-Kinderdorf Sauerland gibt es in jedem Bereich diese Anleitung und Beratung, so dass man noch einen neutralen Ansprechpartner außerhalb des Teams hat. Hier gibt es Hilfestellungen für die Aufgaben der Berufsschulen und man erhält auch Praxisanleitung. Man hat hier erkannt, wie wichtig ein wertschätzender Umgang mit Praktikantinnen ist: man nimmt sich viel Zeit, um eventuelle Ängste zu besprechen und schaut genau hin, wie sich die jeweiligen Praktikanten entwickeln.

Wie sehen denn deine zukünftigen Pläne aus?

Alina: Ich würde gerne nach dem Studium eine Fortbildung in Sachen „Tiergestützte Pädagogik“ machen, weil mich dieser Ansatz sehr interessiert. Hier im SOS-Kinderdorf Sauerland gibt es ja die Möglichkeit für Kinder die ergänzende Arbeit mit den Tieren wahrzunehmen. Ich kann mir vorstellen als Teamkoordinatorin in einer Wohngruppe zu arbeiten. Wenn ich später im Bereich von TiP arbeiten könnte, dann möchte ich auch wissen, wie die Kinder, die zu TiP kommen leben und aufgestellt sind. Ich habe jetzt ganz frisch einen Vertrag als Honorarkraft im Bereich Umgangsbegleitungen unterschrieben und freue mich sehr darüber – mehr Wertschätzung für meine Arbeit geht ja nicht!

Das klingt nach einer spannenden Perspektive – was würdest du gerne noch im SOS-Kinderdorf Sauerland installieren?

Alina: Ich würde gern ein theaterpädagogisches Konzept anbieten – weil man sich im Spiel ausprobieren kann, man muss sich trauen und wenn man diesen Moment überwunden hat, dann kann man über sich hinaus wachsen…
…und das ist ansteckend... Vielen Dank Alina für die ehrlichen Worte und das Teilen deiner Erfahrung!