Gaming und positive Aspekte eines oft schwierigen Themas
© SOS-Kinderdorf e.V.
Wie ein neues Projekt im Kinder- und Jugendzentrum Spinnwebe Kindern und Eltern helfen kann
Das Thema Gaming spaltet. Kinder, Jugendliche, Eltern, Pädagogen, Wissenschaftler. Dabei ist es unbestritten, dass Gaming an sich bereits seit Jahren in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist. Bereits Grundschüler zocken, egal ob am PC, via Smartphone oder mit der Nintendo Switch. Erwachsene spielen zum „runterkommen“ oder aus Langeweile und pensionierte Gamer*innen erfreuen sich nicht nur an Candy Crush und Online-Sudoku.
Laut einer DAK-Studie aus dem Jahr 2019, bei der 1000 Kinder und Jugendliche im Alter von 12 bis 17 Jahren befragt wurden, spielen 75% regelmäßig Computer oder Videospiele aus diversen Gründen. 80 Prozent sind Jungen. Starke Vorbehalte, insbesondere in Verbindung mit Kindern und Jugendlichen, gibt es zahlreiche. Es könne süchtig machen, die Affinität zu Waffen und deren Gebrauch könne gefördert werden, das Sozialverhalten leide unter dem Mangel an „realen“ Kontakten. Die Liste ist lang.
Doch wie geht man sinnvoll, verantwortungsbewusst und verhältnismäßig mit Gaming um? Oder mit der Tatsache, dass das eigene Kind oft nichts anderes mehr im Kopf hat? Das offene Kinder und Jugendzentrum Zwickau hat dazu das Projekt „E-Sport und Gaming Club Spinnwebe“ ins Leben gerufen. Im Interview mit dem Erzieher Jonny Meinel erfahren wir, worum es in dem Projekt konkret geht und was Eltern tun können, um sicher im Thema zu stehen bzw. die Beziehung zum Kind zu stärken, ohne immer strenge Verbote auszusprechen.
Kannst du euer neues Projekt zum Thema Gaming kurz erklären? Was ist das genau und was sind die Ziele?
Das Projekt „E-Sport und Gaming Club Spinnwebe“ möchte das Interesse spielaffiner Kinder und Jugendlicher aufgreifen und ihnen eine Plattform bieten, wo sie ihrer Leidenschaft nachkommen können. Das Thema ist die letzten 20 Jahre sehr stiefmütterlich behandelt worden und wir sehen hier großen Nachholbedarf. Zu uns kommen viele Kinder aus sozial schwachen Familien oder aus Heimeinrichtungen wie dem SOS-Kinderdorf. Meistens ist dort die benötigte Technik in Form von Hard- und Software nicht vorhanden. Mit dem Projekt schaffen wir für Gamer*innen die Möglichkeit, ihrem Hobby nachzugehen, mit anderen spielen und bei Gleichaltrigen auch mitreden zu können. Darüber hinaus tragen wir das Thema mehr in die Öffentlichkeit, und das ist unserer Meinung nach auch notwendig.
Welche Maßnahmen habt ihr dazu bisher ergriffen und was kommt noch?
Aktuell haben wir eine begrenzte Anzahl an Spieleplätzen im Kinder- und Jugendzentrum mit der entsprechenden Technik eingerichtet. Kinder und Jugendliche können diese am Nachmittag frei nutzen. Eine weitere Maßnahme ist unser „Zockerabend“. Jeden Freitag treffen sich hier die Kids und trainieren gemeinsam. Mittlerweile hat sich ein League of Legends-Team gebildet und in Kürze gibt es den ersten Wettkampf mit einem Jugendclub aus Düsseldorf. Später soll der regelmäßig stattfinden.
Zusätzlich gibt es verschiedene Minecraft-Projekte, wo Gamer*innen richtig kreativ werden können oder den Among Us-Nachmittag. Teil des Projektes ist auch die gemeinsame Entwicklung von interessenorientierten Angeboten. Sie verschmelzen Inhalte mit unseren pädagogischen Themen, wie Medienbildung und Förderung von Kompetenzen mit den Interessen der Kids. Damit es eben nicht nur Unterhaltung ist, sondern die Kinder nachhaltig davon profitieren.
„Du bist ja nur am Zocken!“
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Welche Unterstützung für das Gaming-Projekt habt ihr bisher erhalten?
Die Telekom Stiftung fördert dieses Projekt und der Allianz Kinderhilfsfonds Berlin/Leipzig e. V. hat kürzlich zwei neue Gaming-PC gefördert. Damit sind wir wirklich gut für das Projekt und die Zukunft aufgestellt.
Welches sind die gängigsten Vorurteile beim Thema Gaming?
Eltern haben oft große Angst, dass Gaming süchtig macht oder dass sich ihr Kind nicht unter Kontrolle hat. Auch der virtuelle Gebrauch von Waffen und die eventuell aufkommende „Lust am Schießen“ spielen eine Rolle. Für Eltern ist das Thema Gaming oft sehr diffus und sie entwickeln Ängste, weil sie nicht genau wissen, was ihr Kind macht. Für viele steckt kein Sinn dahinter, für sie ist es „nur“ Unterhaltung.
Gibt es denn positive Effekte beim „Zocken“?
Vielen sind lediglich die negativen Auswirkungen, die beim Gaming auftreten können, bekannt. Und aktuell gibt es keine Langzeitstudien diesbezüglich, aber Kurzzeitstudien zeigen, dass sich Gamer*innen sowohl kognitiv, also im Kopf, als auch motorisch weiterentwickeln. Die Entwicklung von Strategien oder besser gesagt, die Förderung von lösungsorientiertem Denken und Handeln bei Aufgaben, Herausforderungen oder Problemen im Spiel, ist ein weiterer Aspekt. Das Erlernte kann Gamer*innen auch im „realen“ Leben weiterbringen. Ein anderer positiver Effekt ist das Trainieren von Fingerfertigkeiten im Hinblick auf motorische Vorteile. Ich selbst spiele auch und kann durchaus sagen, dass ich beim Gaming Sachen gelernt habe, die ich im wirklichen Leben, und auch im Beruf, anwenden kann. Insbesondere im sozialen Bereich.
Das Gaming kein „junges“ Thema ist zeigt sich an der Spielerstatistik aus dem Jahr 2021. Da waren rund 10% der Befragten Gamer*innen zwischen 60 und 69 Jahren alt.
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Im sozialen Bereich? Kannst du das näher beschreiben?
Ich spiele hier auf die Kommunikation an. Denn die ist sehr wichtig, gerade zwischen den Spieler*innen. Außerdem agieren Gamer*innen in Rollenspielen oft mit verschiedenen Charakteren. Rollenbilder haben zumeist eine Vorbildfunktion und viele Spielcharaktere werden als etwas Heldenhaftes und Positives dargestellt. Daran orientieren sich auch Kinder und Jugendliche beim Gaming.
Kann Gaming Kindern und Jugendlichen mit Konzentrationsschwäche helfen?
Das kann durchaus möglich sein. Wir haben schon Kinder mit Konzentrationsschwäche erlebt, die beim Spielen ohne Probleme in der Lage sind, sich über einen Zeitraum von einer halben Stunde oder mehr auf eine Sache zu konzentrieren. Durch diesen Fokus ist es für sie keine Hürde, bspw. in Minecraft Schiffe oder ganze Häuser im Kopf zu konzipieren und zu bauen.
Was macht ihr mit dieser Erkenntnis?
Wünschenswert wäre es in diesem Fall, die positive Erfahrung beim Spielen auf Sachen zu übertragen, wo das Kind oder der Jugendliche keinen Spaß empfindet, wie zum Beispiel Hausaufgaben. Durch das Gaming weiß das Kind jedoch, dass es das trotzdem schaffen kann und wir entwickeln gemeinsam Strategien und Lösungsansätze dafür.
Im offenen Kinder- und Jugendzentrum Spinnwebe lernen Kids neben dem Spielspaß auch Verantwortung und respektvollen Umgang miteinander.
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Oft kommt von Eltern der Vorwurf „Du bist ja nur noch am Zocken!“. Wie heikel ist das Thema Spielzeit und können Kinder auch mehr Selbstverantwortung erlernen?
Auf jeden Fall! Oft werden Kinder einfach vor den PC oder Fernseher gesetzt und gut. Nach einer halben Stunde heißt es aber „Du spielst ja schon ewig, schalte es ab.“ Wer etwas tut, was ihm Freude bereitet, weiß, wie schwer es ist, aufzuhören. Aber auch Zeitgefühl und Selbstverantwortung können trainiert werden. In der Spinnwebe gibt es immer 30-minütige Zeitslots, danach müssen die Kinder und Jugendlich pausieren.
Kürzlich haben wir dazu ein kleines Experiment gemacht und die Uhr einfach mal weggelassen. Wir verfügen nur begrenzt über Spielplätze, also teilen sich alle Gamer*innen rein. Die Spieler*innen mussten selbstständig die Zeit im Blick behalten und aufhören, damit ein anderer spielen kann. Damit schulen wir nicht allein die Themen Zeit und Selbstverantwortung. Zusätzlich lernen die Kids, dass es auch wichtig ist, die Bedürfnisse anderer im Blick zu haben.
Und wie lief das Experiment?
Es lief super, die Kinder haben sich überwiegend auch ohne Uhr an ihre Spielzeit gehalten.
Was berichten Kinder und Jugendliche denn im Allgemeinen beim Thema Spielzeit?
Das ist meistens sehr individuell. Es gibt Kinder, die bekommen zeitlich überhaupt keine Grenzen gesetzt, auch nicht beim USK, also der Unterhaltung zur Selbstkontrolle, die in Deutschland die Prüfung zur Altersbegrenzung vornimmt. Andere Eltern setzen die Grenzen diesbezüglich sehr bzw. zu eng. Meine Erfahrung ist, dass sich nur ein geringer Teil der Erziehungsberechtigten mit dem Thema wirklich beschäftigt. Viele scheuen schlichtweg die Auseinandersetzung.
Was glaubst du, warum das so ist?
Viele Eltern sind unsicher, wie sie mit Gaming umgehen sollen. Sie wollen Stress und Streit vermeiden, machen sich Sorgen und haben selbst wenig oder gar keine Erfahrungen, was elektronisches Spielen angeht. Zudem ist es zeitaufwändiger, als die Kinder zum Spielen nach Draußen zu schicken und man muss nicht nur sein Kind im Blick behalten, sondern auch sich selbst.
Welche Lösungsansätze kannst du an dieser Stelle empfehlen?
Wichtig ist, sich weiterzubilden. Am besten mit dem Kind gemeinsam. Sei es, sich Spiele einfach mal anzuschauen oder selbst auszuprobieren. Darüber hinaus finden sich im Netz zahlreiche Seiten, wo Eltern sehr gute Tipps für den Umgang mit dem Hobby ihrer Kinder finden, wie zum Beispiel der Spielratgeber NRW.
Auch wenn der Aufwand dafür anfangs größer ist, diese Herangehensweise kann zu einer besseren Eltern-Kind-Beziehung führen. Eltern sollten bedenken, dass Kinder in der elektronischen Welt noch mit anderen Dingen konfrontiert werden. Mir fallen da sofort Mobbing, Fake News oder die Nutzung unbekannter Links und Apps ein. Manchmal reicht schon das Öffnen einer unbekannten Nachricht. Das kann mit viel Ärger und auch Kosten versehen sein. Daher ist es für Kinder und Jugendliche wichtig zu wissen, dass ihre Eltern die erste Anlaufstelle sind, wenn sie unsicher sind oder nicht weiter wissen. Wir im offenen Kinder- und Jugendzentrum Spinnwebe unterstützen gern zusätzlich.
Kann ich mir als Erwachsener auch im Kinder- und Jugendzentrum Spinnwebe Beratung und Unterstützung holen?
© SOS-Kinderdorf e.V.
In erster Linie sind wir als Team für die Kinder und Jugendlichen da. Aber natürlich bieten wir auch Gespräche für Eltern an, klären ein Stück weit auf und sind offen dafür, zu unterstützen. Letztendlich kommen Erwachsene aber nicht drum herum, sich das Thema Gaming genauer anzuschauen und mit ihren Kindern ins Gespräch zu gehen. Das hilft zum Schluss wirklich allen.
Vielen Dank für das Interview.