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Ich fühle mich hier wohl!

Julia* ist 17 Jahre alt und wohnt seit fast acht Jahren mit ihren drei Geschwistern im SOS-Kinderdorf Saar. Derzeit macht die Schülerin ein Praktikum in einer Großküche. Doch eigentlich schlägt ihr Herz für einen ganz anderen Beruf. Und das hat sie vor allem einem zu verdanken: Dem zwölf Jahre alten Wallach Datscho. Hier erzählt Julia von ihrem Alltag mit ihrer Kinderdorfmutter und ihren 13 und 14 Jahre alten Kinderdorfgeschwistern. Und der ist alles, nur nicht langweilig.
Was ist das Schönste für dich hier im SOS-Kinderdorf Saar? 
Besonders schön ist immer, wenn wir zusammen rausgehen und etwas unternehmen. Zum Beispiel einen Ausflug zur Schwester meiner Kinderdorfmutter in Rheinland-Pfalz, in die Eifel oder wenn wir zusammen in den Urlaub fahren. Früher sind wir in den Sommerferien öfter nach Holland ans Meer gefahren oder auch mal nach Hamburg. Auch gefällt mir, wenn wir alle zusammen am Esstisch sitzen. 
Wie ist das Leben in deiner Kinderdorf-Familie insgesamt? 
Nicht leise! Die beiden Jungs machen schon Theater. (lacht) Aber es ist gut, dass jeder sein eigenes Zimmer hat. Und meine Kinderdorfmutter kocht sehr gut, wie im 4-Sterne-Hotel. Ich fühle mich hier wohl. 
Wie ist das so, mit einer neuen "Familie" zusammenzuleben? 
Am Anfang waren die Menschen hier schon fremd für mich. Ich habe immer wieder meine Kinderdorfmutter danach gefragt, warum ich hier bin und sie hat es mir dann erklärt. Irgendwann habe ich verstanden, dass das wegen der Familienprobleme zu Hause so sein muss. Nach und nach ist mir meine Kinderdorfmutter ans Herz gewachsen. Ich habe in dieser Familie viel gelernt und auch viel erreicht.
Wie ist es für dich, dass du sozusagen zwei Familien hast: Eine im Kinderdorf und eine woanders? 
Schon nervig. Ich habe noch drei leibliche Geschwister, die auch im Kinderdorf leben. Die Älteste von uns ist 18 Jahre, die beiden anderen 12 und 13. Ab und zu treffen wir uns, gehen auch mal zu viert in die Stadt oder unternehmen was zusammen. Meine richtige Mutter besuche ich einmal im Monat gemeinsam mit meiner ältesten Schwester. Wir teilen das immer so auf: Mal dürfen meine beiden jüngeren Geschwister zu ihr, mal wir beide.
Im Kinderdorf gibt es einen Fachdienst, der die Kinder mit Hilfe der Biografiearbeit unterstützt. Was hat dir dieses Angebot bei der Aufarbeitung deiner eigenen Familiengeschichte gebracht? 
Als mein Vater 2015 gestorben ist, bin ich zum Fachdienst gegangen, weil mich das schon mitgenommen hat. Durch die Gespräche hat mir die Mitarbeiterin dann geholfen. Ich konnte dort auch meine Gedanken aufschreiben, malen und spielen.
Sprichst du mit deiner leiblichen Mutter über deine Geschichte? 
Am Anfang nicht, aber man wird ja älter und möchte noch mehr verstehen, warum wir ausziehen mussten. Irgendwann mal hat mir meine leibliche Mutter erzählt, warum das alles so gekommen ist. Es war gut, dass ich es auch von ihr gehört habe.
Was hat dir noch geholfen, mit deiner Geschichte klarzukommen? 
Wenn ich traurig war, bin ich immer in mein Zimmer gegangen und habe dort geweint oder getrauert. Meine Kinderdorfmutter hat irgendwann gemerkt, dass ich kaum noch draußen war und nicht mehr viel gelacht habe. Sie kam zu mir und hat mich gefragt, was los sei. Dann habe ich ihr erzählt, was auf meinem Herzen war. Seither erzähle ich ihr eigentlich alles.
Wie lange nimmst du schon das Angebot 'tiergestützte Pädagogik' wahr und welche Erfahrungen hast du damit gemacht?
Vor fünf Jahren ist mit mir eine Erzieherin meiner Kinderdorf-Familie am Wochenende zu diesem Hof gegangen und dort hat es mir gleich gut gefallen. Seither gehe ich dort hin. Die Tiere machen mich glücklich, wenn ich
da bin. Die machen oft Quatsch.
Hast du ein Lieblingstier? Wenn ja, wie heißt es?
Das ist ein Pferd, ein Wallach, zwölf Jahre alt und grau-weiß, der heißt Datscho. Wenn ich meine Stunde tiergestützte Pädagogik habe, mache ich eigentlich nur Bodenarbeit, z. B. Klickertraining, Kunststücke beibringen, Kommunikation mit dem Pferd üben oder mit ihm eine Runde spazieren gehen. Reiten steht nicht so im Vordergrund. Aber der Datscho merkt zum Beispiel, wenn ich traurig bin. Dann schmusen wir erstmal.
Weißt du schon, was du mit deinem Leben einmal machen willst? 
So ganz genau weiß ich das noch nicht. Mein Traumberuf ist irgendwas mit Tieren, z. B. Tierpflegerin. Im Zoo oder im Tierheim schauen, dass es den Tieren gut geht. Die tiergestützte Pädagogik hat mir dabei geholfen, herauszufinden, was ich einmal werden will. Ich liebe Tiere! Ich kann mir nichts anderes vorstellen. Früher habe ich gedacht, dass ich vielleicht Altenpflegerin werden will und in diesem Bereich ein Praktikum gemacht. Dabei habe ich gemerkt: Das ist es nicht. 
Wie geht es für dich weiter? 
Mit 17 Jahren gibt es im SOS-Kinderdorf das Angebot des betreuten Wohnens, wo junge Erwachsene auf ein selbständiges Leben vorbereitet werden. Meine leibliche Schwester ist 18 Jahre alt und schon aus unserer Kinderdorf-Familie ausgezogen. Sie lebt jetzt im betreuten Wohnen. Ich weiß noch nicht, ob ich in der Familie bleiben oder zu meiner Schwester ziehen will.
Was hat es dir gebracht, dass du hier eine Heimat gefunden hast? 
Es war schon gut für mich im Kinderdorf, weil es kleine Familien sind. Man kann reden, ohne dass einem jemand ins Wort fällt. Die Kinderdorfmutter ist immer für uns da. Ich konnte hier neu anfangen und mein Leben leben. Hier habe ich gelernt, dass es Regeln und Strukturen gibt. Ich habe Grenzen kennengelernt und ein positives Vorbild vorgelebt bekommen. Vielleicht will ich später auch eine Familie gründen. Vielleicht möchte ich aber auch nur mit Tieren leben. (lacht)
Liebe Julia, vielen Dank für dieses Gespräch und alles Gute weiterhin.