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Tiergestützte Pädagogik im SOS-Kinderdorf Saar
Im Interview: Janina Klauck und Vera Philippe

Meerschweinchen, Pferd und Hund – wenn Tiere helfen, Kinderseelen zu heilen

Seit 2015 ermöglicht das SOS-Kinderdorf Saar den Kindern und Jugendlichen, die stationär betreut werden, die Teilnahme an dem unterstützendem Angebot der “tiergestützten Pädagogik”.

Das Projekt wird zu großen Teilen durch die luxemburgische Martine und Bertram Pohl Stiftung finanziert. Um den Hof instand zu halten, Futter und Pflege der Tiere sicherzustellen, ist das SOS-Kinderdorf jedoch jedes Jahr auf weitere Spenden von außerhalb angewiesen. Da die Arbeit mit den Tieren einen extrem positiven Einfluss auf die Entwicklung der Kinder und Jugendlichen gezeigt hat, wird das Projekt kontinuierlich ausgebaut:

So wird 2022 der lang ersehnte Roundpen zum therapeutischen Reiten gebaut. Wünschenswert wäre noch der Umbau des Stalls zur Reithalle, gerade für regnerische oder besonders kalte Tage. 

Ein artgerechtes Zuhause: Der Hof in Brotdorf

Der Hof in Brotdorf, im Grünen gelegen und fernab des schnelllebigen Alltags bietet den Kindern viel Raum zur persönlichen Entfaltung. Sie können hier einmal all ihre Probleme vergessen und zur Ruhe kommen. Das Ausklinken aus dem Alltag in der Wohngruppen, Natur und Tiere helfen dabei, traumatisierende Ereignisse zu verarbeiten. Aber noch viel mehr steckt hinter der Arbeit mit den Tieren:

Im Interview mit den zwei erfahrenen Fachkräften für tiergestützte Intervention erklären Janina Klauck und Vera Philippe, warum die Arbeit mit den Tieren so wertvoll ist und wie auch ein kleines Meerschweinchen den Kindern in ihrer Entwicklung helfen können.

Frau Philippe, Sie sind am längsten mit dabei, als Mitarbeiterin der tiergestützten Pädagogik. Wie ist die Idee entstanden, im SOS-Kinderdorf pädagogische Arbeit mit Tieren anzubieten?

Vera Philippe: Entstanden ist das Projekt ursprünglich durch den Kontakt zur Bertram-Pohl Stiftung, den unser vorheriger Einrichtungsleiter Herrn Rau hergestellt hatte. Die Stiftung war sehr interessiert an einer Zusammenarbeit mit uns, unterstützt aber hauptsächlich Projekte, die mit Tieren in Zusammenhang stehen. Einige Mitarbeiter*innen aus den Wohngruppen waren mal das SOS-Kinderdorf in Luxemburg besuchen und kannten daher das dortige Konzept der tiergestützen Pädagogik.

Erst wurden viele Gespräche geführt und Pläne konkretisiert. Eine Mitarbeiterin machte dann die Zusatzausbildung für tiergestützte Intervention und so kam das Projekt langsam ins Rollen. Vor 5 Jahren gingen wir dann die Kooperation mit einem Bauernhof im Nachbarort ein. Anfangs arbeiteten wir nur mit zwei Eseln, die uns dann leider krankheitsbedingt verlassen mussten. Nach und nach hat sich das Angebot beachtlich entwickelt und sehr gut etabliert. Es kamen mehr Tiere dazu und auch immer mehr unserer betreuten Kinder konnten das Angebot in Anspruch nehmen.

Nun sind Sie auf einen Bauernhof nach Brotdorf umgezogen. Wie kam es dazu?

Vera Philippe: Aufgrund familiärer Umstände wurde der Hof nach 6 Jahren leider aufgelöst. Das war schrecklich für uns und vor allem für die Kinder. Wir mussten uns von zwei Pferden verabschieden, welche über die Jahre absolute Bezugstiere für die Kinder geworden waren. Die Suche nach einem neuen Standort war gar nicht so leicht. Dieser musste verschiedene Kriterien erfüllen: Einmal durfte er nicht zu weit vom Kinderdorf entfernt sein, denn wir wollen ja die Zeit pädagogisch sinnvoll nutzen und nicht nur mit den Kindern im Auto sitzen. Er musste aber auch groß genug sein, um allen Tieren ein artgerechtes Zuhause zu bieten. Nach einigen Wochen fanden wir den Hof in Brotdorf. Er war perfekt! Eingebettet in ein grünes Tal mit Bachlauf, naturbelassen und fernab von Stadt und Verkehr. Die idyllische Ruhe dort ist eine Wohltat für Tier und Mensch. Mit 12.000 qm² Fläche bietet er ausreichend Platz für artgerechte Tierhaltung und vielfältige natur- und erlebnispädagogische Möglichkeiten.

Mit welchen Tierarten wird in der tiergestützten Pädagogik gearbeitet?

Janina Klauck: Grundsätzlich ist jede Tierart geeignet, um pädagogisch zu arbeiten. Es gibt Kolleg*innen, die arbeiten sogar mit Hühnern oder Nacktschnecken! Bestenfalls sollten die Tiere allerdings auch dem Menschen zugeneigt sein. Das bedeutet, wir achten darauf, dass der Kontakt immer für Tier und Mensch eine Win-win-Situation darstellt.

Anders als in der Reittherapie zum Beispiel wird kein Tier von uns dazu gezwungen, etwas zu tun, das es nicht möchte. Hat das Tier einmal keine Lust und wendet sich ab, ist dies aus pädagogischer Sicht auch eine wertvolle Beobachtung und Erfahrung für die Kinder. Die Tiere wissen, dass wir ihnen nicht mehr zumuten, als sie ertragen können und ihre Grenzen akzeptieren. Genau wie die Kinder dies auch wissen. Dies schafft Vertrauen und stärkt den Bindungsaufbau. Alle Kontakte erfolgen auf Basis freiwilliger Kooperation von beiden Seiten.

Mit welchen Tieren arbeiten Sie und gibt es Tiere, die besonders geeignet sind für spezielle Themen bei Kindern?

Vera Phillippe: Auf unserem neuen Hof sind ein Pony und zwei Pferde im Einsatz. Die drei Meerschweinchen sind mit uns umgezogen und die Hündin Mali kam mit der neuen Kollegin dazu.

Welches Tier sich am besten eignet, kommt auf das Kind und seine Ausgangssituation an. Die scheuen Meerschweinchen sind zum Beispiel gut geeignet für Kinder, die Schwierigkeiten haben, die Grenzen anderer wahrzunehmen. Denn mit forschem Verhalten und lautem Geschrei kommen sie bei den scheuen Nagern nicht zum Ziel. Hier gilt es Ruhe zu bewahren und Geduld zu schulen.

Janina Klauck: Mit Hunden kann unter anderem Selbstwirksamkeit und Empathie trainiert werden. Die meisten Kinder lieben es, mit Mali zu tricksen oder einen Parcours zu durchlaufen. Damit das funktioniert, brauchen sie eine klare Körpersprache, Geduld und Einfühlungsvermögen für den Hund. Pferde helfen den Kindern, ihre eigenen Grenzen besser einzuschätzen und selbstbewusst für sich einzustehen. Kommt ihnen ein großes Pferd zu nahe, müssen die Kinder es auch mal wegschicken. Einige Kinder finden bei den Pferden aber auch einfach nur Zeit, zur Ruhe zu kommen. Beim Putzen der Pferde und allgemein beim Kuscheln mit den Tieren kann man den stressigen Alltag leichter vergessen.

Was können Tiere, was Menschen nicht können?

Vera Philippe: In Tieren steckt großes therapeutisches Potenzial: Sie können bei jungen Menschen oft schneller Vertrauen schaffen als ein Erwachsener.

Studien haben erst kürzlich belegt, dass negative Bindungserfahrungen von Kindern auf andere Menschen übertragen werden, nicht aber auf ein Tier. Die Kinder treten den Tieren also komplett unvoreingenommen entgegen, wohingegen sie nach aufgrund ihrer negativen Vorerfahrungen einem Menschen eher erst einmal Misstrauen entgegen bringen.

Darüber hinaus gibt es das Bindungshormon Oxytocin, welches nachweislich im Kontakt mit Tieren ausgeschüttet wird und zur Entspannung und Bindungsbereitschaft beiträgt. Im Umgang mit den Tieren können Kinder Selbstwirksamkeit erfahren, Selbstbewusstsein aufbauen und positive Bindungserfahrungen sammeln. Die Arbeit mit den Tieren ist deshalb so wertvoll, weil ihre Zuneigung und Aufmerksamkeit nicht an Bedingungen geknüpft ist. Sie reagieren stets authentisch und geben ein ganz klares Feedback durch Körpersprache, das für alle Kinder leicht verständlich ist. Tiere sind vorurteilsfrei, sie bewerten das Kind nicht, egal woher es kommt oder welche kognitiven Fähigkeiten es mit sich bringt.

Die Tiere helfen in der pädagogischen Maßnahme besonders dabei, das eigene Verhalten zu reflektieren. Oft fühlt man sich persönlich kritisiert, wenn des Feedback von einem Menschen kommt. Da Tiere aber im Hier und Jetzt leben und wertfrei reagieren, fällt es vielen Kindern leichter, dieses Verhalten zu lesen.

Wie läuft so eine klassische tierpädagogische Stunde ab?

Janina Klauck: Wichtig ist klarzustellen, dass die tiergestütze Arbeit kein Freizeitangebot, sondern eine pädagogische Maßnahme ist: Eltern, Jugendamt und Erzieher formulieren Ziele und unser Job ist es pädagogisch begleitend diese Ziele in der Arbeit mit Hilfe der Tiere zu erreichen. Die Ziele sind für die Kinder immer transparent. Mit Blick auf die pädagogische Zielsetzung werden so alle Einzelstunden gemeinsam mit dem Kind geplant und durchgeführt. Die Kinder erhalten die Möglichkeit, eigene Ideen und Bedürfnisse einzubringen und aktiv an der Gestaltung der Stunde mitzuwirken. Die dadurch geförderte intrinsische Motivation stärkt die Bereitschaft zur vollumfänglichen Teilhabe und Mitarbeit.

Dabei wird stets geschaut, ob die Ziele und Bedürfnis der Kinder im Einklang stehen mit denen der Tiere. So muss das Kind verstehen, dass ein Pferd nicht direkt gesattelt und losgaloppiert werden kann, sondern dass das Tier auch Bedürfnisse hat und ersteinmal versorgt werden muss. Dann bereiten wir zusammen Futter zu, kümmern uns um Fell- und Körperpflege des Tieres oder das Ausmisten.

Vera Philippe: Spielerisch, aber zielgerichtet erfahren Kinder und Jugendliche in den Stunden mit den Tieren neue Formen der Interaktion. So ist das Reiten des Pferdes nicht zwangsläufig immer das Ziel unserer Arbeit. Sogenannte “tieranlehnende Angebote” können auch sehr wertvoll sein: Wir vermitteln Sachwissen über verschiedene Tierarten und schulen die Kinder darin, die Mimik und Gestik eines Tieres zu lesen. Woran erkenne ich, dass das Tier gerade gestresst ist und nicht mit mir spielen möchte? Warum versteht es mich nicht und ist vielleicht verwirrt?

Außerdem versuchen wird stets ganzheitlich, naturpädagogisch zu arbeiten und den Kindern bestimmte Werte zu vermitteln. Wir gehen viel in den Wald und beobachten zum Beispiel den Zusammenhalt einer Ameisenkolonie oder sammeln Müll und erklären, warum dies für Umwelt und Tiere so wichtig ist. Kürzlich haben wir auch einen kleinen Garten angelegt, in dem wir gemeinsam mit den Kindern Kräuter und Gemüse anpflanzen. So kann jedes Kind lernen, wo seine Lebensmittel herkommen und den Prozess vom Pflanzen eines Kernes bis zur Ernte des fertigen Produktes beobachten. Dabei werden die eigenen Ideen des Kindes immer wieder in die tiergestützten Einheiten integriert.

Was sind typische Ziele, die durch die pädagogische Arbeit erreicht werden sollen?

Janina Klauck: Viele unserer Kinder sind schwer traumatisiert und entwickelten in ihren Bedrohungssituationen sinnvolle Überlebensstrategien, die aber in anderen Umgebungen zu großem Unverständnis der Umwelt und sozialer Isolation der Betroffenen führen können. Es gilt, ihre Beziehungs- und Bindungsfähigkeit wieder zu stärken und verloren gegangenes Vertrauen wieder herzustellen. Aber auch Ziele wie Förderung der Konzentration, Erkennen eigener Bedürfnisse, Körperwahrnehmung, Empathie und Abgrenzung sind häufige Themen.

Langfristiges Ziel ist es natürlich, dass die Kinder ihre erlernten Erfahrungen in der tiergestützten Pädagogik auf die zwischenmenschliche Ebene übertragen können.

Anders als in der Wohngruppe ist das Kind hier eins zu eins mit der Fachkraft. Oft öffnen sich die Kinder in der entspannten Atmosphäre ohne Konkurrenzdruck, weil hier endlich einmal Raum und Zeit nur für sie ist.

Wo und wie messen Sie den Erfolg Ihrer Arbeit?

Vera Philippe: Größtenteils natürlich durch das positive Feedback aus den Wohngruppen und dem sozialen Umfeld des Kindes. In regelmäßigen Feedbackesprächen wird genau dokumentiert, welche positiven Entwicklungen das Kind gemacht hat. Einige Kinder können sich auch schon recht gut selbst einschätzen und erzählen, was ihnen im Alltag im Vergleich zu vor der tiergestützten Pädagogik gut gelungen ist und sind dann sehr stolz auf sich.

Aber natürlich sind es auch unsere eigenen Beobachtungen: Sehr schön ist es, wenn die Kinder ganz selbstlos etwas Gutes für die Tiere tun möchten, ohne etwas zurückzuerwarten. Anfangs haben sie hauptsächlich die eigenen Bedürfnisse im Blick. Nach ein paar Wochen identifizieren sie sich immer mehr mit dem Hof und den Tieren. Plötzlich steht für sie nicht mehr nur das Spielen zum eigenen Vergnügen im Vordergrund, sondern dass es den Tieren gut geht. Sie kommen dann zum Hof und stellen erst einmal sicher, dass für Pflege der Tiere ausreichend gesorgt wurde. Hier spüren Sie, dass sie nicht nur hilflos sind und selbst versorgt werden, sondern dass auch sie gebraucht werden und aktiv etwas für andere tun können. Sie lernen feinfühlig wahrzunehmen, wie es den Tieren geht und übertragen diese Erfahrungen auf zwischenmenschliche Ebene. Konflikte werden plötzlich anderes gelöst, die Empathiefähigkeit steigt und positive Bindungserfahrungen werden langfristig auf zwischenmenschliche Ebene übertragen.

Was würden Sie sich für Ihre Zukunft wünschen?

Janina Klauck: Ich wünsche mir sehr, dass die tiergestützten Pädagogik so ausgebaut wird, dass noch viel mehr Kinder, Jugendliche und Familien von diesem wertvollen Angebot profitieren können. Leider fehlt es oft an öffentlicher Anerkennung für diese Therapieform und ihre nachhaltig positive Wirkung.

Obwohl bereits einige Studien die Wirksamkeit der Arbeit mit den Tieren wissenschaftlich belegen, gibt es immer noch nicht die Möglichkeit, diese Therapieform, wie beispielsweise die Reittherapie über die Krankenkasse abzurechnen.

Außerdem wünsche ich mir, dass für die Arbeit mit den Tieren verbindliche Qualitätsstandards festgelegt werden mit einheitlichen Regelungen und professionellen Strukturen. Da draußen gibt es leider immer noch viel zu viele “schwarze Schafe”. Da der Begriff “tiergestützte Pädagogik “ nicht geschützt ist, kann fast jeder Tiere zur Arbeit einsetzen, ohne jegliches Know-How über das Wohl und die Bedürfnisse von Tier und Kind.

Wie hat die Corona Pandemie ihre Arbeit verändert?

Vera Philippe: Besonders in den Lockdown-Phasen war die tiergestützte Pädagogik so wertvoll wie nie zuvor. In der pädagogischen Arbeit ging es in dieser Zeit deshalb mehr um Unterstützung in der aktuellen Situation als um nach vorne gerichtete Entwicklungsprozesse. Als Schule, Vereine und Freunde wegfielen, war die Belastung in den Wohngruppen groß. Elternkontakte waren eingestellt, aber die stabile Bindungungsbeziehung zu den Tieren war standhaft. Unter Einhaltung eines klaren Hygienekonzeptes konnten wir unsere Arbeit glücklicherweise weiterführen. Wir versuchten den Kindern hier auf dem Hof ein Mindestmaß an Normalität zu bieten, weil alles andere Kopf stand. Viele Kinder kamen in der Zeit einfach nur zum Reden oder Kuscheln und haben bei den Tieren Trost und Halt gesucht.

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