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Aktuelles

Raus aus der Jugendhilfe ­– startklar für das Leben danach?

26. November 2019

SOS-Kinderdorf Saar

Im Mittelpunkt der Regionaltagung Süd-West, die am 23. und 24. Oktober im SOS-Kinderdorf Saar stattfand, standen dieses Jahr junge Menschen an der Schwelle zum Erwachsenenleben. Rund 50 Mitarbeiter/innen aus den Einrichtungen der Region und der Geschäftsstelle beschäftigten sich mit der Frage, was Careleaver/innen auf dem Weg in eine eigenverantwortliche Lebensführung unterstützt. Auch drei Kolleg/innen aus dem benachbarten SOS Kännerduerf in Luxemburg waren angereist, um ihre Erfahrungen mit den deutschen Praktiker/innen auszutauschen.

Übergänge stellen insbesondere jene jungen Erwachsenen vor Herausforderungen, deren Biografie durch Brüche gekennzeichnet ist und die sich auf ihrem Weg in die Selbstständigkeit nicht auf die finanzielle und emotionale Unterstützung durch ihre Familien verlassen können. Diese Ressource ist für Careleaver/innen, die oft auf eine mehrjährige Jugendhilfeerfahrung zurückblicken, selten bis gar nicht verfügbar. Hinzu kommt, dass sie aufgrund der engen Finanzsituation öffentlicher Jugendhilfeträger häufig viel früher den schützenden Rahmen der Jugendhilfe verlassen müssen, als junge Menschen im Regelfall aus ihrem familiären Zuhause ausziehen.

Regionaltagung SOS-Kinderdorf Saar

Dr. Wolfgang Sierwald, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Sozialpädagogischen Instituts im SOS-Kinderdorf e. V., stellte zunächst Erkenntnisse aus der SOS-Längsschnittstudie zur Handlungsbefähigung junger Menschen auf dem Weg in die Eigenständigkeit vor. Als ermutigendes Zeichen für die Fachkräfte kann gesehen werden, dass die (früher) bei SOS betreuten Jugendlichen mehrheitlich angeben, dass sie ihren persönlichen Verselbstständigungsprozess im Rückblick positiv bewerten. Die Balance zwischen institutioneller Verantwortung und einer tragfähigen Beziehung scheint den Pädagog/innen tendenziell gut zu gelingen. Denn eines zeigen die Forschungsergebnisse recht deutlich: Seelische Unterstützung, die besonders in Krisen notwendig wird, suchen und finden junge Menschen nur dort, wo sie eine persönliche Bindung erleben.

Regionaltagung SOS-Kinderdorf Saar

Einen Einblick in seinen eigenen Weg nach der öffentlichen Erziehung gewährte Felix Bicu, der seine Jugend im Jugendhaus des SOS-Kinderdorfes Kaiserslautern verbrachte und sich mittlerweile neben einer akademischen Karriere ehrenamtlich für die Belange von Careleaver/innen einsetzt. Er stellte den Careleaver e.V. vor, ein Netzwerk aus Careleaver/innen, die andere junge Menschen auf dem Weg in die Eigenständigkeit unterstützen und die sich fachlich positionieren, um politische und gesellschaftliche Veränderungen zu initiieren. Er ermahnt die Fachkräfte eindringlich, den Bildungsaspekt nicht aus den Augen zu verlieren, da ein passender Bildungsabschluss die Grundlage eines gelingenden Lebenskonzepts darstellt. Auch wenn Abschlüsse im Schnitt später gelingen zeige die Forschung, dass es sich lohnt, nicht aufzugeben.

Die Teilnehmenden waren besonders beeindruckt von der Souveränität, mit der drei ehemalige Bewohnerinnen des KD Saar, die sich derzeit in der Phase der Verselbstständigung befinden, in einem moderierten Podiumsgespräch über ihre persönlichen Erfahrungen berichteten. Vanessa (19), Selina (18) und Priska (20), die in Summe auf 40 Jahre Jugendhilfeerfahrung in Kinderdorffamilie bzw. Wohngruppe zurückblicken, benannten sehr klar, was sie als unterstützend und was als eher hemmend auf ihrem Weg erleben. Als belastend empfinden die jungen Frauen das möglicherweise zu einem ungünstigen Zeitpunkt eintretende Ende der Jugendhilfe und die damit drohende finanzielle Unsicherheit. Vor diesem Hintergrund ist allen dreien die berufliche Zukunft sehr wichtig, weshalb sie sich sehr auf ihre Ausbildungen konzentrieren. Unterstützend erleben sie unter anderem die Begleitung durch ihre Betreuer/innen, die ihnen bei den Aufs und Abs des Übergangs zur Seite stehen. Daher ihr Appell: „Gebt nicht auf und zeigt, dass ihr euch wirklich für uns interessiert!“

Am zweiten Tag lag der Fokus auf der praktischen Arbeit in den Einrichtungen. Auf Plakaten stellte jede Einrichtung vor, welche Angebote zur Verselbstständigung es jeweils gibt und die Mitarbeitenden standen den Interessierten für Fragen zur Verfügung. Eine besondere Maßnahme zur Unterstützung junger Menschen, bei denen der Bildungsweg eher holprig verlief und deren Start in das Erwachsenenleben sich zunächst schwierig gestaltet, stellte Sabine Maurer aus dem SOS-Kinderdorf Saarbrücken vor. Das Projekt „Get on“ richtet sich an junge Menschen zwischen 15 bis unter 25 Jahren, die ihren Lebensmittelpunkt auf der Straße haben oder von Wohnungslosigkeit bedroht sind und für ihre berufliche Integration zusätzliche Stütz- und Förderangebote benötigen. Die Erfahrungen des ersten Jahres zeigt deutlich, dass mit einer angemessenen Personalausstattung und konsequenter Ausrichtung an ihrer Lebenswelt auch diejenigen erreicht werden können, die in der Sozialen Arbeit häufig als besonders schwer zugänglich beschrieben werden.

In vier Arbeitsgruppen wurde zusammengetragen, was aus Sicht der Praktiker/innen ausschlaggebend für eine gelingende Verselbstständigung ist und welche Beispiele es für „good practice“ in der Region gibt. Darüberhinaus tauschten sich die Teilnehmenden darüber aus, ob und wie die Arbeitshilfe Verselbstständigung, die vor etwa anderthalb Jahren im Rahmen einer regionalen Arbeitsgruppe erstellt wurde, Einzug in die Einrichtungspraxis gefunden hat und was vielleicht von institutioneller Seite aus noch fehlt.

Diese zwei Tage haben deutlich gezeigt, welch große Bedeutung der Gestaltung des Übergangs vom Leben in einer Jugendhilfeeinrichtung zu eigenverantwortlicher Lebensführung beizumessen ist. Auftrag der pädagogischen Fachkräfte ist es, diese Übergänge gemeinsam mit dem jungen Menschen so zu gestalten, dass dieser seine gesellschaftlichen Teilhabechancen entsprechend seiner Potenziale entfalten und einen aus der eigenen Perspektive sinnhaften und gelingenden Lebensentwurf entwickeln kann. Die Herausforderung ist hierbei, spezifische Entwicklungs- und Unterstützungsbedarfe zunächst zu identifizieren, um dann gemeinsam geeignete Angebote und Interventionen festzulegen, die den Weg in eine eigenverantwortliche Lebensführung ebnen und die Heranwachsenden bei ihrer Persönlichkeitsentwicklung unterstützen. Die Politik ist aufgerufen, jungen Menschen den Zugang zu Jugendhilfeleistungen nach der Volljährigkeit zu erleichtern und damit den finanziellen Druck zu reduzieren.  Der Apell der Jugendlichen an die Fachkräfte wird allen Beteiligten noch lange im Gedächtnis bleiben: „Habt Spaß beim dem, was ihr tut, haut notfalls auch mal auf den Tisch, aber: Meint es ernst mit eurem Interesse an uns, das macht für uns den Unterschied!“

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