Cornelia Leonhard mit den Kindern bei der Gartenarbeit
© SOS-Kinderdorf e.V. / Foto: Cornelia Leonhard
„Ich vermisse die Schule“ – Einblicke in den Alltag einer Wohngruppe zu Corona Zeiten
Für die 43 kleinen Bewohner im SOS- Kinderdorf Saar und deren pädagogische Fachkräfte stellt die Corona-Krise und damit einhergehende Einschränkungen einiges auf den Kopf. Wie sich der Alltag im Kinderdorf verändert hat, berichtet die Erzieherin Cornelia Leonhard, Mitarbeiterin in Haus Eichhörnchen, einer der familienanalogen Wohngruppen im Dorf.
Frau Leonhard, was hat sich in den letzten Wochen für Sie als pädagogische Fachkräfte verändert?
Erst einmal haben sich unsere Dienstzeiten verlängert. Statt 09:00 Uhr gehen wir nun erst um 12:30 Uhr aus dem Dienst, um die schulische Bildung der Kinder möglichst gut abzudecken. Hierbei bekommen wir glücklicherweise Unterstützung durch Mitarbeiter aus anderen Bereichen des Kinderdorfes, wie bspw. der Kinderkrippe, die aktuell geschlossen ist. Dies ist sehr wertvoll, denn unsere sechs Kinder besuchen ganz unterschiedliche Schulformen, von Förderschulen bis weiterführenden Schulen. Hier den Spagat zu schaffen, welches Kind wie viel Förderbedarf benötigt, ist nicht immer ganz leicht. Darüber hinaus sind wir in regem Austausch mit den Lehrern.
Wie gehen die Kinder und Jugendlichen mit den Veränderungen um, die Corona mit sich bringt?
Unsere Kinder haben recht schnell verstanden, was da draußen gerade passiert und warum es so wichtig ist, sich an die festgelegten Maßnahmen zu halten. Auch, dass Elternbesuche vorerst durch Videoanrufe ersetzt werden müssen, wurde gut angenommen. Es ist sogar sehr schön zu beobachten, wie sich Eltern und Kinder auf die Kontakte freuen und diese nun viel mehr wertschätzen.
Welche weiteren Maßnahmen wurden ergriffen?
Die Kinder im SOS-Kinderdorf Saar halten sich an die Corona-Regeln – deshalb ist der Spielplatz oft leer.
© SOS-Kinderdorf e.V. / Foto: Maximilian Geuter
Zum allgemeinen Schutz unserer Kinder und Jugendlichen wurde das gesamte Dorf für Besucher von außerhalb geschlossen und der Campus in fünf Spielzonen aufgeteilt. Dies funktioniert überraschend gut. Man koordiniert gemeinsam mit den anderen Häusern, welche Gruppe in welchem Bereiche spielen darf, sodass sich die Haushalte nicht überschneiden. Der große Vorteil des Lebens in einem Kinderdorf ist ja, dass man hier mehrere Spielkameraden zur Auswahl hat, sowie einen Spielplatz und direkten Anschluss zum Wald für Spaziergänge. Außerdem stehen uns als Mitarbeiter viele hilfreiche pädagogische Materialien zur Verfügung.
Wie sieht aktuell der Alltag in einer Wohngruppe aus und welche neuen Herausforderungen bringt er mit sich?
Durch den Wegfall gewohnter Alltagsstrukturen von Schulen, Kitas, oder Sportvereinen ist es nun unsere Aufgabe, diese Strukturen neu zu gestalten. Was für unsere Kinder vorher schon sehr wichtig war, ist jetzt sozusagen “lebensnotwendig”. So klingelt der Wecker trotz Unterrichtsausfall immer noch zu den gewohnten Schulzeiten und lange Filmabende sind nach wie vor nur am Wochenende erlaubt. Wir haben anfangs versucht, dies ein wenig zu lockern, dann aber schnell festgestellt, dass dies einige Kinder zu sehr durcheinander bringt. Nun strukturieren wir den Tag noch kontinuierlicher, indem wir für vorgeschriebene Zeiten verschiedene Angebote gestalten und diese ganz transparent kommunizieren. Bei der Gestaltung der Angebote arbeiten wir eng mit den Betreuten zusammen, sodass diese auch kreative Ideen einbringen können. Von der Bastelstunde über Spiel- und Musikangebote oder Koch-Aktionen gibt es die Möglichkeit sich entweder einzubringen oder, wer möchte, zurückzuziehen. Neben den Schultätigkeiten ist die Teilnahme an zwei Angeboten verpflichtend. Hierzu gehört jeden Tag eine halbe Stunde Sport, denn die Bewegung die sonst über Sportvereine oder das Austoben mit Freunden passiert, fehlt einfach.
Gibt es Ihrer Meinung nach auch positive Dinge, die diese Krise mit sich bringt?
Es ist total schön zu beobachten wie, viel Wertschätzung für die sonst als so selbstverständlich angenommenen Dinge, entstehen. Auf ein mal vermissen die Kinder die Schule und ihre Lehrer. Die Möglichkeit sich frei zu bewegen und Freunde zu treffen, wird plötzlich etwas sehr Wertvolles wahrgenommen.
Aber auch das Zusammenleben und Miteinander innerhalb der Wohngruppe hat sich verändert. Zum Beispiel im Bezug auf die gemeinsamen Mahlzeiten: Da wir aktuell von einem Einkaufsdienst unterstützt werden ist einfach nicht immer jedes gewünschte Lebensmittel verfügbar. Anfangs war das ein riesen Kampf unter den Kindern, mit der Zeit haben sie aber gelernt die Lebensmittel gerecht einzuteilen und sich flexibel auf neue Situationen einzustellen. Ist das Brot aufgebraucht, bevor der Einkaufsdienst da war, so muss man nun kreativ werden und bspw. zusammen ein Brot backen. Plötzlich wird das Bewusstsein geschärft für die kleinen Dinge im Leben, die sonst doch als so selbstverständlich angesehen werden. Ich denke, das ist pädagogisch sehr wertvoll.