Ein neuer Lebensweg für Lisa-Maria
Von Katrin Wißen
WEEZE/KEVELAER. 25. Januar 2021.
Mit von der kalten Luft frisch geröteten Wangen, einem strahlenden Lächeln und akkurat geflochtenen Zöpfen läuft Lisa-Maria Jacobs über den Biohof Büsch in Weeze. Mit Arbeitsschürze und festem Schuhwerk ausgerüstet, geht sie vorbei an Gemüsekisten und Traktoren hin zu ihrem Lieblingsort: den Stall mit den Rindern. „Ich war schon immer ein Mensch, der Tiere mag“, berichtet die gebürtige Weezerin. Auf dem Hof fühlt sich die 23-Jährige geborgen. Hier geht es ihr gut. Doch das war leider nicht immer so.
Agentur für Arbeit vermittelt zum SOS-Kinderdorf Niederrhein
Nach Hauptschule und schulischer Ausbildung im Service-Bereich machte ihr die Gesundheit zu schaffen. Bei verschiedenen Praktika fühlte sie sich nicht wohl. „Mir wurde häufig vorgehalten, dass ich zu langsam sei. Das hat mich sehr belastet“, erklärt Lisa-Maria und drückt dabei mit ihren Händen aufs Herz. Durch Vermittlung ihrer Reha-Beraterin bei der Agentur für Arbeit kam sie zum beruflichen Bildungsangebot „Unterstützte Beschäftigung“ des SOS-Kinderdorfs Niederrhein. Betreut wurde sie von Kevelaer aus.
Hier nehmen sich Qualifizierungstrainer Peter Dorrenbach und Pädagogin Silvia Engelsch ihrer an. „Schnell war klar, dass Lisa-Maria gerne beim Biohof arbeiten würde. Den kannte sie schon aus ihrer Kindheit“, erklärt Dorrenbach. Und Daniel Schewe, Chef des Gemüsebetriebs auf dem Hof, ergänzt: „Freitags war Lisa-Maria zum Gespräch bei uns, am Montag konnte sie starten.“
„Jeder bekommt bei mir eine Chance“
Dass es so schnell mit dem Einstieg in die „Unterstützte Beschäftigung“ klappte, hat auch mit Schewes Lebensweg zu tun. Der 39-Jährige blickt zurück: „Ich war als junger Bursche eher ein Spätstarter. Komme aus Hamburg, hatte nichts mit der Landwirtschaft zu tun. Aber ich habe Hilfe bekommen, hab’ den Agrarbetriebswirt geschafft. Und deshalb bekommt jeder bei mir eine Chance.“ Die erste Aufgabe – Petersilie ernten und binden – erledigte Lisa-Maria auf Anhieb selbständig und sorgfältig. „Bei komplexen Aufgaben braucht Lisa-Maria mehr Zeit, dafür arbeitet sie extrem zuverlässig und genau. Das ist bei uns sehr wichtig“, so Schewe.
Struktur und Sicherheit sind wichtig
Mit einem klar strukturierten Aufgabenplan, den er wöchentlich per App aufs Handy schickt, gibt er Lisa-Maria Sicherheit. Durch den Plan kann sich die junge Frau schon vorab einlesen und weiß, was in der Woche auf sie zukommt. Ist sie auf dem Feld und will sich noch mal über die zu erntenden Mengen vergewissern, wirft sie schnell einen Blick auf die Aufgaben. Und das sind eine ganze Menge.
Im Sommer, wenn Hochsaison ist, steht Lisa-Maria schon um 5 Uhr auf dem Feld, um Salate, Gurken, Bohnen, Tomaten oder Brokkoli zu ernten. Nach den Erntetagen werden die Felder gehackt; eine Methode, bei der das Unkraut ganz ohne Chemie entfernt wird.
„Wir setzen auf den Kreislauf der Natur“
Im Winter schneidet Lisa-Maria auf dem Hof die Hecken zurück und baut Vogelhäuschen für Blaumeisen, die gegen den Eichenprozessionsspinner eingesetzt werden. Oder sie stellt Stangen für Greifvögel auf, damit diese die Mäuse bei trockener Witterung vom Feld abhalten. „Wir sind ein Biohof, da setzen wir auf den Kreislauf der Natur“, erklärt Schewe die besonderen Arbeitsprozesse.
Bestätigung und Anerkennung
Mit ihrer Sensibilität für Tiere und Pflanzen ist Lisa-Maria hier genau am richtigen Platz. Ein Jahr hat sie die Arbeit auf dem Hof mithilfe der „Unterstützten Beschäftigung“ kennengelernt und ihre Fähigkeiten ausprobieren dürfen. Qualifizierungstrainer Peter Dorrenbach hat sie dabei begleitet, ihr Mut zugesprochen und auch mal Daniel Schewe im stressigen Alltag daran erinnert, dass Lisa-Maria Bestätigung und Anerkennung braucht, wenn ihr etwas besonders gut gelingt. Das hat sich der umsichtige Chef immer wieder zu Herzen genommen. Zum 1. Oktober hat er Lisa-Maria fest eingestellt. Mit der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung in der Tasche öffnet sich jetzt ein neuer Lebensweg für die junge Frau.
„Im Frühjahr, da schicke ich die Lisa auf den neuen Schlepper-Traktor. Den darf sie nämlich mit ihrem Pkw-Führerschein fahren“, freut sich der agile Landwirt schon. Lisa-Maria blickt noch etwas mulmig auf das große Gefährt, aber sie weiß, dass sie mit der Hilfe ihres Chefs auch diese Aufgabe meistern und demnächst hoch oben auf dem Traktor über die Wiesen und Feldern fahren wird. Ihre Haare werden akkurat geflochten sein, das Lächeln in ihrem Gesicht wird strahlen und ihre Wangen, die werden dann von ihrer erfüllenden Arbeit bei warmen Sommertemperaturen gerötet sein.
INFO
Die „Unterstützte Beschäftigung“ ist ein Qualifizierungsangebot, das sich an Jugendliche und Erwachsene richtet, die zurzeit keine Aus- oder Weiterbildung absolvieren können und die besondere Unterstützung zur Eingliederung in das Berufsleben benötigen. Das Reha-Angebot wird von der Agentur für Arbeit Wesel finanziert. Infos unter www.sos-kinderdorf.de/niederrhein.
Auf dem Biohof Büsch in Weeze sind drei Betriebe beheimatet. Barbara und Johannes Büsch betreiben die Rinderzucht und den Getreideanbau, Simone Schmitz kümmert sich um Hofladen und Lieferservice und ihr Lebensgefährte Daniel Schewe um den Gemüsebetrieb. 50 Hektar werden bewirtschaftet, acht davon für den Gemüsebetrieb. Geplant ist, dass Daniel Schewe 2022 die Rinderzucht und den Getreideanbau übernimmt.