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Aktuelles

Ge­fühl von Schutz und Ge­bor­gen­heit

29. Januar 2019

Wie das SOS-Kinderdorf Niederrhein entstand

Ha­rald Deil­mann ent­warf rie­si­ge Bü­ro­bau­ten und Thea­ter. Das Kin­der­dorf in Ma­ter­born zeigt, wie in­ten­siv er über die Funk­ti­on der Ar­chitek­tur nach­ge­dacht hat.

Weitläufig und idyllisch im Grünen: Das SOS-Kinderdorf Niederrhein

Weitläufig und idyllisch im Grünen: Das SOS-Kinderdorf Niederrhein

Wie baut man ein Kin­der­dorf? Wer heu­te am Wald­rand von Ma­ter­born ent­lang­läuft, für den ist klar: Was für ei­ne Fra­ge – so na­tür­lich, wie man es da sieht. Ei­ne An­samm­lung von Häu­sern, ver­schach­telt und ver­win­kelt, da­bei gleich­zei­tig ver­spielt und ei­ner ge­nau­en Ord­nung folgend. Ein Dorf eben. Ei­nes, in dem Kin­der sich wohl­füh­len kön­nen. Grup­piert um ei­nen gro­ßen Spiel­platz, auf dem jahr­zehn­te­lang ei­ne ech­te Lo­ko­mo­ti­ve stand. Ab­ge­schie­den und doch mit An­schluss ans al­te, ge­wach­se­ne Ma­ter­born.

Es wa­ren Kle­ver Bür­ger um Dr. Al­bert Heesch, die das Pro­jekt des Kle­ver SOS-Kin­der­dorfs ins Le­ben rie­fen. 20.000 Qua­drat­me­ter um­fasst das Grund­stück. Ar­chi­tekt des ins­ge­samt zehn­ten Kin­der­dorfs wur­de Ha­rald Deil­mann, Ar­chi­tekt in Müns­ter und nach­ein­an­der Pro­fes­sor in Stutt­gart, Han­no­ver und Dort­mund, ge­bo­ren 1920, ge­stor­ben 2008. Er ent­warf Kir­chen, Rat­häu­ser, Thea­ter, Schu­len, Kli­ni­ken – ein nam­haf­ter, viel­fach ge­ehr­ter Meis­ter sei­nes Fachs. 1965 be­gann er mit der Pla­nung, 1966 star­te­ten die Bau­ar­bei­ten. Über das fer­ti­ge SOS-Kin­der­dorf in Ma­ter­born be­rich­te­ten An­fang der 70er Jah­re gleich meh­re­re Fach­ma­ga­zi­ne.

Wah­rung des In­di­vi­du­el­len

Was war die Auf­ga­be, vor der Deil­mann stand? Ein Heim für „künst­li­che“ Fa­mi­li­en zu schaf­fen, je­weils acht bis neun Kin­dern mit ei­ner „Kin­der­dorf­mut­ter“. Je­de die­ser Fa­mi­li­en be­wohnt ein Haus, die Häu­ser sind zu Grup­pen zu­sam­men­ge­fasst. 16 Häu­ser gibt es ins­ge­samt. „Je­des Haus trägt schon von au­ßen be­trach­tet dem Stem­pel des ‚In-sich-ge­schlos­se­nen-Seins‘, zeigt deut­lich den Re­spekt vor der Wah­rung des In­di­vi­du­el­len, kap­selt je­doch nicht ab, son­dern öff­net mit den groß­zü­gi­gen Glas­fron­ten zur Um­welt und zur Na­tur“, stell­te die Deut­sche Bau­zeit­schrift 1972 fest.

Typisch niederrheinische Bauweise

Die Häu­ser ha­ben au­ßen Wän­de aus Zie­geln, neh­men al­so die nie­der­rhei­ni­sche Bau­wei­se auf. „Die ge­neig­ten Dach­flä­chen sind den to­po­gra­phi­schen Ge­ge­ben­hei­ten an­ge­passt oder ent­ge­gen­ge­stellt, die be­weg­te Sil­hou­et­te hat et­was Hei­te­res, und im In­ne­ren der Häu­ser ver­mit­teln die sicht­bar ein­ge­zo­ge­nen Dach­schrä­gen das Ge­fühl von Schutz und Ge­bor­gen­heit“, heißt es in dem Ar­ti­kel wei­ter.

Über­haupt: Die Flä­che ei­nes Hau­ses liegt viel­leicht bei 180 bis 200 Qua­drat­me­tern, doch wir­ken die Häu­ser von in­nen viel schnu­cke­li­ger, als man bei die­ser Flä­che ver­mu­ten könn­te. Mög­lich wird das durch die vie­len Ebe­nen, die sich um das of­fe­ne Trep­pen­haus her­um­zu­le­gen schei­nen. „Ich fand das sehr mo­dern, als ich 1992 hier­her­kam“, sagt Kin­der­dorf­mut­ter An­ne Hen­richs. Of­fen sind auch die Kü­chen – was heu­te mo­dern ist, hat Deil­mann schon da­mals ein­ge­plant. In­nen hat man viel mit Be­ton und Holz ge­ar­bei­tet. Auch die Ein­bau­mö­bel be­ste­hen aus ro­bus­tem Na­tur­holz.

Mehrere Umbauphasen waren nötig

Das SOS-Kin­der­dorf hat in­zwi­schen meh­re­re Um­bau­pha­sen hin­ter sich. Die ers­te be­traf die Hei­zun­gen – die ur­sprüng­li­che Fuß­bo­den­hei­zung wur­de durch Heiz­kör­per an den Wän­den er­setzt. Die zwei­te füg­te den Häu­sern gro­ße Win­ter­gär­ten zu, um auf die­se Wei­se mehr Platz für das ge­mein­sa­me Mit­ein­an­der zu schaf­fen. Zu­gleich er­gänz­te man die Zim­mer der Kin­der­dorf­müt­ter um ei­ge­ne Nass­zel­len. Bei alle­dem blieb man dem ar­chi­tek­to­ni­schen Kon­zept treu, mit­samt den Kup­fer­be­schlä­gen an den Dä­chern.

Und wäh­rend so man­ches Ge­bäu­de aus je­nen Zei­ten heu­te nicht mehr recht zu be­geis­tern ver­mag, wirkt das SOS-Kin­der­dorf in Ma­ter­born im­mer noch rich­tig frisch. Auch wenn es un­ter den et­wa 1600 Bau­ten, die Deil­manns Bü­ro ent­wi­ckel­te, nicht das größ­te Pro­jekt war: Mit Si­cher­heit war es ei­nes sei­ner ge­lun­gens­ten.

Autor: Andreas Daams
Neue Rhein Zeitung vom 28. Januar 2019