Floristin Sandy (45) startet durch
Wenn morgens früh um 5.00 Uhr der Wecker klingelte und sich Sandy Bierhake-Preuß kurz darauf auf ihren schwarz-grünen Roller schwang, um von der Klever Niederung zum Bahnhof zu fahren, stand der Berufsschultag in Duisburg auf dem Programm. Zweieinhalb Jahre lang ist die heute 45-Jährige bei Wind und Wetter jede Woche ein bis zwei Mal mit Roller und Zug in die Großstadt gependelt, an den anderen Wochentagen hat sie in der Blumenwerkstatt des Klapheckenhofs vom SOS-Kinderdorf Niederrhein in Kleve-Kellen gelernt, wie man Blumensträuße bindet, florale Dekorationen plant und Kunden bedient. Jetzt hat Sandy ihr Ziel erreicht: Nachdem sie im Sommer erfolgreich ihre Abschlussprüfung vor der Industrie- und Handelskammer Niederrhein bestanden hat, ist sie Floristin.
Mit Anfang 40 hat sich die dreifache Mutter von Kindern im Schul- und Erwachsenenalter dazu entschlossen, beruflich neu durchzustarten. „Ich wollte einen Beruf finden, den ich auch noch mit 60 ausüben kann und der zu meiner Kreativität passt.“ Ursprünglich hatte Sandy nach ihrer mittleren Reife Erzieherin gelernt, jedoch schlug ihr Herz noch stärker fürs kreative Gestalten. So erstellte sie viele Jahre Bühnenplastiken und Dekorationen für ein Unternehmen in ihrer damaligen Heimat in Berlin.
Aus der Bundeshauptstadt an den Niederrhein
Als es sie aus privaten Gründen von Berlin an den Niederrhein verschlagen hatte, hat sie sich immer neue Jobs in ganz unterschiedlichen Branchen gesucht. Nachdem eine der Tätigkeiten zu Ende ging, hatte ihr das Jobcenter empfohlen, an dem beruflichen Bildungsangebot „Aktivcenter Erziehende“ teilzunehmen, das ebenfalls vom SOS-Kinderdorf Niederrhein im Auftrag des Kreises Kleve organisiert wird und Eltern ermöglicht, neue berufliche Perspektiven aufzubauen. „Über das Aktivcenter habe ich die Blumenwerkstatt am Klapheckenhof kennengelernt. Ein Schnupperpraktikum war schnell organisiert und danach reifte in mir der Entschluss, Floristin zu werden.“
Wie eine Distel - hartnäckig und durchsetzungsstark
Ihr Ausbilder beim SOS-Kinderdorf Niederrhein, Meik Schnitger, freut sich, dass Sandy ihren Weg gefunden hat: „Sandy ist ein bisschen wie eine Distel. Sie wächst auch bei schwierigsten Lebensbedingungen, ist hartnäckig und durchsetzungsstark und entfaltet am Ende eine wunderschöne, sternenförmige Blüte.“
Mit Unterstützung des Jobcenters konnte sie die Umschulung starten, doch trotzdem galt es bis zur vollen Blüte noch ein paar Hindernisse zu überwinden. Durch die Corona-Lockdowns wurde die Umschulung teilweise auf Distanz durchgeführt. Auch die Kinderbetreuung an den langen Berufsschultagen musste organisiert werden. Zudem ist die Ausbildung neben den kreativen Anteilen, „die mir sehr viel Spaß machen“ – wie Sandy sagt –, mit viel theoretischem Fachwissen verbunden. „Das Lernen fällt mir nicht immer leicht.“ Umso besser, dass ihr während der Umschulung ein Team aus pädagogischen Fachkräften des SOS-Kinderdorf Niederrhein zur Seite stand und sie beim Lernen und der Organisation des Alltags unterstützte.
Nachhaltige Floristik
Bis zu 500 botanische Bezeichnungen der gängigsten Schnittblumen und Gewächse sollten Floristinnen und Floristen parat haben. „Darüber hinaus lege ich sehr viel Wert darauf, dass unsere Umschülerinnen und Umschüler ihre Wahrnehmung schärfen. Denn man kann nur gestalten, wenn man auch sehen kann“, so Ausbilder Schnitger. Das Thema Nachhaltigkeit rücke ebenfalls immer mehr in den Vordergrund der Ausbildung. „Nicht nur unsere Kundinnen und Kunden wünschen die Verwendung umweltfreundlicher Materialen, sondern unsere Aufgabe als Floristinnen und Floristen sehe ich darin, die Wahrnehmung der Natur den Menschen wieder näher zu bringen.“
Im Sommer hat Sandy ihre Prüfungen mit theoretischem, mündlichen und praktischen Anteilen erfolgreich mit 88 von 100 Punkten abgeschlossen. Das Werkstück musste zum Oberthema „expressive und nachhaltige florale Komposition“ passen und einen Raumschmuck mit „fröhlichem und dynamischem Charakter“ darstellen. Herausgekommen ist ein zwei Meter hoher und ein Meter breiter strohgebundener und mit Moos umwickelter Kranz mit Maiswurzeln, Wiesenblumen und Gräsern. Die meisten Werkstoffe hat sich Sandy am Wegesrand auf ihren Fahrten mit dem Roller zusammengesucht. „Ich habe immer eine Gartenschere und ein Schnittmesser im Gepäck. Der nachhaltige Ansatz in der Floristik gefällt mir sehr.“
Zum 1. September wird Sandy nun bei einem Blumenfachgeschäft an der Klever Triftstraße ihre Festanstellung in Teilzeit antreten. „Darauf freue ich mich. Ich kenne die Eigentümer und das Geschäft von meinem 100-Tage-Praktikum. Wir sind während der gesamten Umschulungszeit immer im Kontakt geblieben.“ Wenn Sandy bald wieder früh morgens auf ihren schwarz-grünen Roller steigt, geht es diesmal von der Niederung gen Klever Oberstadt, um den Kundinnen und Kunden mit kreativen - gerne auch nachhaltigen - Blumenarrangements eine Freude zu bereiten.
Info
Die Blumenwerkstatt am Klapheckenhof, Riswicker Straße 117 in Kleve-Kellen, ist Mittwoch bis Freitag von 10 bis 13 und 14 bis 17 Uhr geöffnet.