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Und was macht uns stark?
Die Sozialpädagoginnen Heike Kreß und Higi Liebert arbeiten seit 10 Jahren erfolgreich mit dem STEEP-orientierten Angebot im SOS-Familienzentrum Riem, das jugendlichen Schwangeren und jungen Müttern den Weg zu einer effektiven und freudvollen Elternschaft erleichtern soll. Anlässlich des Jubiläums geben die erfahrenen Pädagoginnen einen kleinen Einblick in ihre Arbeit mit den jungen Müttern, die das Angebot in den vergangenen Jahren wahrgenommen haben.
10 Jahre STEEP – was für ein schönes Jubiläum! Wie ist das Angebot denn gestartet?
Heike Kreß: Wie bei jedem neuen Angebot mussten wir erstmal ganz viel vorbereiten. Zum Beispiel den Entwurf unserer Flyer. Auch mussten wir klären, wo und an wen sollen wir sie verteilen, damit wir die jungen Mütter auch erreichen. Außerdem haben wir in der Hamburger Beratungsstelle „Null bis drei“ hospitiert, was uns sehr komprimiert sehr viel Fachwissen verschafft hat. Als Auftakt für das neue Angebot durften wir eine zweitägige Fachveranstaltung rund um STEEP in unserem SOS-Beratungs- und Familienzentrum in Berg am Laim organisieren und konnten so auch Vertreter*innen anderer Einrichtungen sowie unsere Kolleg*innen über das Projekt informieren.
Was heißt STEEP eigentlich und was steckt hinter diesem Angebot?
Higi Liebert: STEEP ist ein evaluiertes Verfahren zur Stärkung der Eltern-Kind-Bindung und zur Förderung der elterlichen Erziehungskompetenz und steht für „Steps Towards, Efective, Enjoyable Parenting“. Das bedeutet übersetzt „Schritte zu einer effektiven und freudvollen Elternschaft“. Für unseren Standort im Münchner Osten wurde das Angebot, das auf Bausteinen aus dem Programm von Martha Erickson und Byron Egeland basiert, mit uns als STEEP-Beraterinnen konzipiert. Wir können dafür 20 Wochenstunden zur Verfügung stellen. Zeitweise wurden wir auch durch ehrenamtliche Helferinnen unterstützt. Teilnehmen können sechs bis acht Mütter und ihre Kinder. Das Schöne an dem Programm ist, das die Mütter auch schon in der Schwangerschaft zu uns kommen können und das auch mehrfach genutzt haben.
„Eine zentrale Rolle spielen Foto- und Videoaufnahmen.“
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Was sind die wichtigsten Bausteine der STEEP-Methode?
Heike Kreß: Das Hauptziel ist ja, die Mutter-Kind-Bindung zu stärken. Im zweiwöchigen Wechsel von Hausbesuchen und Gruppenangeboten werden die Mütter darin unterstützt, sowohl ihre eigenen Bedürfnisse als auch die ihres Kindes oder ihrer Kinder wahrzunehmen und aufeinander abzustimmen. Eine zentrale Rolle spielen dabei Foto- und Videoaufnahmen, die wir sowohl bei den Hausbesuchen als auch bei den Gruppenangeboten in einem geschützten Rahmen aufnehmen- und aufzeichnen und anschließend den Müttern zeigen. Das sind meist Alltagssituationen - zum Beispiel Szenen beim Füttern oder Spielen - in denen Mütter und Kinder positiv interagieren. Hier können ohne viele Worte Selbstreflektion stattfinden und Verhaltensänderungen angeregt werden. Bei den Hausbesuchen stehen natürlich auch noch die individuellen Herausforderungen und Lebenssituationen der Mütter und das einzelne Kind im Fokus unserer Beratung.
Was passiert bei den Gruppentreffen?
Higi Liebert: Der große Vorteil von diesem Angebot ist, dass die meist ja noch sehr jungen Mütter in einem geschützten Raum lernen, wie es ist, Eltern zu sein – was im öffentlichen Raum eher problematisch sein kann. Die Gruppe hatte anfangs dreistündig begonnen. Nach dem Ankommen gab es einen Kaffee. Dann folgte eine gemeinsame Zeit mit den Kindern zum Singen und Spielen im Kreis. Anschließend kam der „inhaltliche Austausch“, in dem wir mit den Mamas über Bindung, Beziehung und die Entwicklung der Kinder gesprochen haben sowie darüber, wie das gemeinsame Leben mit Kindern gelingen kann. Zum Abschluss gab es ein gemeinsames Mittagessen. Der Gedanke dabei: Nur wer erfährt, wie schön und wichtig es ist, ver- und umsorgt zu werden, kann gute Fürsorge auch weitergeben.
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„Nur wer erfährt, wie schön und wichtig es ist, ver- und umsorgt zu werden, kann gute Fürsorge auch weitergeben.“
Heike Kreß: Leider stellte die Corona-Pandemie eine Zäsur dar. Zwischendurch durfte gar keine Gruppe und zeitweise nur ohne Mittagessen angeboten werden. Glücklicherweise konnten wir die teilnehmenden Mamas über Videobotschaften, Post und Hausbesuche in Form von „walk and talk“ erreichen und dabei behalten. Inzwischen haben wir das Gruppenangebot auf zwei Stunden umgestellt. Jetzt startet die Gruppe mit einem gemeinschaftlichen und umfangreichen Frühstück. Die anschließende Spiel- und Sing-Zeit mit den Kindern und ein einstündiges thematisches Arbeiten mit den Müttern sind geblieben. Manch eine Mutter kommt allerdings weit vor der Gruppenzeit an und einige Mütter müssen wir am Ende nach längeren Tür- und Angel–Gesprächen ‚liebevoll hinausbegleiten‘. Was uns ganz besonders freut, ist, dass über die Gruppe einige langjährige Freundschaften entstanden sind. Die Mütter unterstützen sich dabei auch gegenseitig im Alltag oder feiern sogar gemeinsam Geburtstage.
Wo liegen die thematischen Schwerpunkte?
Heike Kreß: Da geht es zum Beispiel darum, Gefühle und Signale der Kinder zu erkennen und zu spiegeln, um Sprachentwicklung und Sprachförderung, darum, was eine gute Mama ausmacht. Aber auch um Kraftquellen im Alltag oder um gute und schlechte Botschaften aus der eigenen Kindheit. Wichtig sind Partnerschaft und Beziehung sowie eigene Stärken und Fähigkeiten. Manchmal geht es darum, an der eigenen Lebenslinie zu arbeiten – von der Kindheit bis zur Zukunft. Oder auch um Rituale im Familienleben, um Grenzen setzen, um den Umgang mit Stress und Ärger.
Higi Liebert: Zu den Schwerpunkten zählen auch, wie Feste gemeinsam gefeiert werden können, welche Spiele meinem Kind Freude machen, wie die Mütter mit Trotz und Wut ihrer Kinder umgehen können oder auch wie wir ‚starke Kinder‘ erziehen und dabei dennoch Respekt und Wertschätzung vermitteln. Wichtig ist aber auch Körpergefühle spüren zu können, das heißt, wie fühlt es sich eigentlich an, Mama zu sein? Was macht die Schwangerschaft und Geburt mit mir, wie wirkt sie sich auf die Partnerschaft aus? Wir zeigen auch Yoga- und Entspannungstechniken. Auch aktuelle Konflikte, Umzugspläne, religiöse Ansichten oder Liebesbeziehungen können von den Müttern eingebracht werden. STEEP ist ein bindungsorientiertes Angebot und arbeitet mit vielen Gefühlen. Auch an uns Fachkräften sind die zehn Jahre nicht ‚gefühllos‘ vorübergegangen.
„Wir sind glücklich über jede gelungene Gruppenstunde.“
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Welches sind besonders starke Gefühle, an die Sie sich erinnern?
Higi Liebert: Anfangs waren wir sehr ängstlich, ob das STEEP-Angebot überhaupt gelingen kann. Und uns hat betrübt, wie schwierig viele Mamas in ihr eigenes Leben gestartet sind. Gleichzeitig waren wir erstaunt über all die individuellen Fähigkeiten der Mütter. Und wir sind glücklich über jede gelungene Gruppenstunde.
Heike Kreß: Wir waren und sind neugierig auf jede neue Mama und ihr Baby. Der Ausbildungsabschluss einer Mutter hat uns besonders stolz gemacht. Verlegen macht uns, wenn wir die emotionale und manchmal auch zusätzlich finanzielle Armut mancher Familien miterleben.
Und besondere Erlebnisse in den vergangenen Jahren?
Heike Kreß: Ein besonderes Erlebnis waren sicherlich die zwei Wochenendfahrten, die wir mit den Müttern und ihren Kindern gemeinsam verbracht haben. Es war spannend und herausfordernd, mit den jungen Mamas nicht nur ein paar Stunden, sondern zwei Tage zu erleben. Das hat uns eine sehr breite Gefühlspalette beschert.
Higi Liebert: Besondere Momente sind auch, wenn sich manch eine Mutter nach einem Jahr noch einmal meldet, weil sie eine Frage hat oder weil sie einfach nur reden möchte. Da spüren wir, dass eine Beziehung entstanden ist und uns etwas zurückgegeben wird.
Wo und wie erfahren junge Mütter von dem Angebot?
Heike Kreß: Zum Beispiel über die Kinderkrankenschwestern vom Referat für Gesundheit und Umwelt, die für unseren Stadtteil zuständig ist. Oder über Programme wie Schwangerschaftsberatung und Frühe Hilfen. Auch Hebammen geben die Information weiter, dass es uns mit diesem Angebot gibt. Und natürlich in unseren anderen Beratungs- und Familienzentren von SOS-Kinderdorf München im Münchner Osten.
10 Jahre STEEP ist eine besondere Zahl – gibt es zum Abschluss weitere Zahlen zum Jubiläum?
Higi Liebert: Wir haben in diesen zehn Jahren 27 Mamas und 36 Kinder betreut. Im Schnitt haben die Mütter etwa eindreiviertel Jahre teilgenommen. Zwischen März 2013 und Juli 2022 fanden 160 Gruppentreffen statt. Und gefühlt haben wir 80 Geburtstagskuchen gebacken!