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Im Porträt: Stephanie Jarmer-Sindermann
Von Beruf SOS-Kinderdorfmutter

Von Beruf Kinderdorfmutter

Stephanie Jarmer-Sindermann ist 61 Jahre alt, und nicht nur Mutter zweier Töchter, sondern auch "Mama" von fünf Kindern im SOS-Kinderdorf Lippe.

Wenn Stephanie Jarmer-Sindermann von „ihren Kindern" spricht, dann meint sie damit nicht nur ihre beiden leiblichen Töchter, die inzwischen erwachsen sind und selbst Kinder haben. „Meine Kinder", wie Jarmer-Sindermann sagt, das sind die drei Jungs und zwei Mädchen, mit denen sie zusammen in einem Haus in Schieder-Schwalenberg wohnt – im SOS-Kinderdorf Lippe. Die 61-Jährige ist „Kinderdorfmutter", wie es hier heißt. Sie wohnt mit den fünf Kindern und Jugendlichen zwischen neun und 16 Jahren unter einem Dach, ist rund um die Uhr für sie da, egal wo es „brennt".
Dass sie nicht die leibliche Mutter der fünf ist, damit wird im Kinderdorf offen umgegangen. „Ich bin eben ihre Kinderdorf-Mama", sagt die gelernte Erzieherin. Dafür, dass die Kinder in dem Dorf leben, gibt es unterschiedliche Gründe. Oftmals haben sie in ihrer leiblichen Familie Gewalt erlebt. Zu den Aufgaben einer Kinderdorfmutter zählt auch, offen mit den Kindern darüber zu sprechen, wo sie herkommen und warum sie nicht mehr bei ihren leiblichen Eltern leben. Die Haltung einer jeden Kinderdorfmutter gegenüber den leiblichen Eltern der Kinder müsse dabei positiv sein, sagt Annette Meyer-Neumann, Leiterin des Bereichs Kinderdorffamilien. Das gehört zu den Prinzipien im Kinderdorf. Ein wichtiger Teil der Aufgabe liege zudem darin, den Kontakt mit den leiblichen Eltern aufrechtzuerhalten. Die Kinder haben auf unterschiedliche Weise Kontakt zu ihren Eltern, in den meisten Fällen finden auch regelmäßige Besuchstermine statt.

Unterstützung, um auf eigenen Beinen zu stehen

Seit acht Jahren arbeitet Jarmer-Sindermann inzwischen als Kinderdorfmutter. Sie will den Kindern dabei helfen, „auf eigenen Beinen zu stehen", sagt sie. Bis sie sich ihnen wirklich annähern und helfen konnte, sei jedoch viel Zeit vergangen. „Das hat meist schon ein Jahr gedauert, bis die Kinder sich wirklich geöffnet haben", erzählt sie. Für Kinder, die schwierige Erfahrungen in der eigenen Familie gemacht haben, sei es anfangs meist schwierig, Vertrauen zu einer neuen Person aufzubauen, weiß auch Meyer-Neumann. Oftmals würden Grenzen ausgetestet, bis sich die Kinder sicher sein können: Derjenige hält wirklich zu mir, egal was ich mache. Und genau darum geht es im SOS-Kinderdorf: Kinder sollen ein neues und möglichst stabiles Zuhause bekommen, in dem sie so lange leben können, bis sie erwachsen sind und ihr eigenes Leben beginnen. Das Zusammenleben im Haus soll letztlich genauso ablaufen, wie in jeder anderen Familie auch.
Eine der besonderen Herausforderungen: „Keines der Kinder zu übersehen", sagt Jarmer-Sindermann. Denn jedes Kind sei anders, habe seine ganz eigenen Bedürfnisse. Und während einige die Nähe suchen, ziehen sich andere eher zurück, wenn es einmal schwierig wird. Besonders freue sie sich dann, wenn die Kinder offen über alles reden, was sie beschäftigt und auch dann zu ihr kommen, wenn sie einmal etwas Schlechtes gemacht haben. Hilfe in schwierigen Situationen gebe es vom Team aus dem Kinderdorf, sagt sie. Teambesprechungen und Fortbildungen im pädagogischen Bereich seien fester Bestandteil des Berufsalltags.
Die Mutter zweier Töchter hat den Schritt, Kinderdorfmutter zu werden, gemacht, nachdem ihre eigenen Kinder aus dem Haus waren. Zunächst hat sie für einige Zeit als Erzieherin in einer der Wohngruppen gearbeitet, dann folgte die Entscheidung, selbst ein Haus zu übernehmen und ins Dorf zu ziehen. An sechs von sieben Tagen lebt sie seitdem mit „ihren" Kindern zusammen. Für den Fall, dass sie sich einmal zurückziehen möchte, hat sie darüber hinaus noch eine eigene Wohnung. Zu ihrer Unterstützung stehen ihr zwei pädagogische Mitarbeiterinnen zur Seite, die einspringen, wenn sie einmal nicht im Haus ist.
Ihren Urlaub und ihre Freizeit verbringe sie aber selten allein, sagt die 61-Jährige. Urlaube verbringt die Familie gerne zusammen und auch Weihnachten wird zusammen gefeiert – gemeinsam mit den beiden Töchtern der 61-Jährigen und deren Familien. Kinderdorfmutter zu sein, „das ist eine Lebensaufgabe", sagt Jarmer-Sindermann. Bereut habe sie den Schritt bis heute keineswegs. Sie hofft, noch lange als Kinderdorfmutter arbeiten zu können. Unterstützt wird sie dabei auch von ihren erwachsenen Töchtern. Die stehen nämlich absolut dahinter, dass ihre Mutter jetzt eine „Kinderdorf-Mama" ist, versichert sie.