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Wenn Corona Familien spaltet

10. Februar 2022

Die Einrichtung „Beratung und Treffpunkt“ hilft, Konflikte zu lösen. Sozialarbeiter Thomas Schulze sagt: „Ein Umgang mit geschätzten Menschen ist trotz ideologischer Unterschiede möglich.“
Ein harmonisches Weihnachtsfest im Kreise seiner Liebsten: Wie viele Menschen mögen die Festtage wohl kürzlich so verbracht haben? Fest steht, die familiäre Runde unter dem Tannenbaum bietet oft auch Anlass für hitzige Diskussionen. Dass das Konfliktpotenzial in vielen Familien durch die Corona-Pandemie noch deutlich gewachsen ist, davon ist Sozialarbeiter Thomas Schulze überzeugt. So ist in manch einem Haus – und das nicht nur an den Weihnachtstagen– vermutlich bereits der eine oder andere Streit aufgrund unterschiedlicher Meinungen zur Corona-Pandemie ausgebrochen, andere Familien haben deswegen den Weg zueinander vielleicht gar nicht erst gefunden.
Der Blomberger Einrichtungsteil „Beratung und Treffpunkt“ des SOS-Kinderdorfes Lippe widmet sich dieser brandaktuellen Thematik: dem Umgang mit geschätzten Menschen trotz ideologischer Unterschiede. „Das Thema Corona ist omnipräsent und sorgt für jede Menge Zündstoff – auch im privaten Umfeld“, sagt Schulze und führt ein Beispiel an: Der Vater ist der Meinung, dass das Virus mit seinen Auswirkungen und den daraus resultierenden Maßnahmen übertrieben bewertet wird und womöglich eine gar nicht so große Gefahr darstellt. Einen Corona-Test vor dem Familientreffen zu machen, sieht er deswegen nicht ein. Die Tochter vertritt die Sicht des aktuellen Standes der Wissenschaft und macht sich große Sorgen über das Virus und seine Auswirkungen. Sie meidet das Treffen. „Hierbei entsteht oftmals der Versuch, dass die eine Position versucht, die andere von ihrer Haltung zu überzeugen. Diese Versuche sind häufig zum Scheitern verurteilt“, erklärt der 36- Jährige.
Auch ältere Konflikte innerhalb der Familie könnten durch die Corona-Pandemie wieder zum Vorschein kommen. Dadurch würden sich die Fronten verhärten, was eine emotionale Belastung für beide Seiten mit sich bringe. „In der Beratungsarbeit sprechen wir in diesen Fällen davon, dass beim Gegenüber der sogenannte „Autonomiereflex“ anspringt“, berichtet Schulze. Dieser werde aktiviert, wenn jemand die eigene Selbstständigkeit und Entscheidungsfreiheit beschneiden will und sei eine völlig normale Reaktion auf einen „Überstülpungsversuch“. Wenn der andere Widerstand spüre, werde er oft noch hartnäckiger und radikaler in dem Wunsch, das Gegenüber von der eigenen Meinung zu überzeugen. So gerate man in gewisser Weise in einen Kampf. Sowohl die eine, als auch die andere Position erlebe einen inneren Spagat: Mein Angehöriger vertritt eine Haltung, die komplett der eigenen Meinung entgegensteht – und gleichzeitig liebe und schätze ich diesen Menschen.
Die gute Nachricht: „Es gibt oftmals mehr Verbindendes als das, was trennt“, macht der Sozialarbeiter deutlich. Genau dort setze die Beratung an. Der Fokus müsse auf das authentische Ernstnehmen des Gegenübers, auch bei unterschiedlicher Haltung, gelenkt werden. Zudem sei es wichtig, die Meinung des anderen zu akzeptieren. „Man muss einen Perspektivwechsel vornehmen, um zu verstehen, warum das Gegenüber so denkt – ohne sich der Meinung anschließen zu müssen“, erklärt Schulze, der betont, dass die Berater dabei eine neutrale Position einnehmen: „Wir sind nicht dafür da, jemanden umzuerziehen.“ Der Sozialarbeiter lädt Menschen, die sich schätzen und ein authentisches Interesse aneinander haben, ein, diesen Schritt zu wagen, um in Zukunft im Familien- oder Freundeskreis ohne spaltende Konfrontationen auszukommen. Schulze weist darauf hin, dass das Beratungsteam der Schweigepflicht unterliegt. Auch die 3G-Regel sollte kein Hindernis sein. Beratungen sind auch telefonisch oder per Videochat möglich. Interessierte können unter Tel.(05235)5097930 einen Termin vereinbaren. Die Beratungsgespräche sind kostenlos.
Mit freundlicher Genehmigung der Lippischen Landes-Zeitung.
Autorin: Michaela Weiße