„Manege frei im Bodenfeld“
Das Bodenfeld ist ein relativ junger Stadtteil am Rande der Kreisstadt Göppingen. Es leben dort viele junge Familien, häufig mit mehreren Kindern. Viele der Bewohner*innen haben Migrationshintergrund und / oder Fluchterfahrung. Der Großteil der Bevölkerung lässt sich eher dem bildungsfernen Milieu zuordnen, soziale Benachteiligung ist für viele Familien Lebensrealität.
Im Stadtteil verortet sind eine Grundschule und eine Realschule. An beiden Schulen sind Mitarbeiterinnen von SOS-Kinderdorf Göppingen, Kinder- und Jugendhilfen seit 2011 im Rahmen der Schulsozialarbeit täglich mit den z.T. schwierigen Lebenslagen der Kinder und Jugendlichen konfrontiert. Seit 2019 hat die SOS-Einrichtung durch den Auftrag der Offenen Kinder- und Jugendarbeit einen weiteren Zugang zu der jungen Bevölkerung im Stadtteil.
Projektzirkus „Bodoni“
Das Programm „Kultur macht stark. Bündnisse für Bildung“ und „Zirkus macht stark“ – gefördert vom BMBF- Bundesministerium für Bildung und Forschung - trägt den Lebenslagen genau dieser Kinder und Jugendlichen Rechnung und ermöglichte die Finanzierung eines im Bodenfeld bisher einzigartigen zirkuspädagogischen Projektes.
Die Kinder- und Jugendhilfeeinrichtung konnte die Grundschule, die Realschule und den Kinder- und Jugendzirkus Rondelli als Projektpartner*innen gewinnen und gemeinsam den Projektzirkus „Bodoni“ ins Leben rufen.
In zwei vierstündigen Schnupperworkshop lernten insgesamt 55 Kinder und Jugendliche aus der Grundschule und der Realschule im März verschiedene Zirkusdisziplinen kennen. Mit Begeisterung und viel Spaß probierten sie unter Anleitung von vier Zirkustrainer*innen und betreut durch die SOS-Mitarbeiter*innen aus der Schulsozialarbeit und der Offenen Kinder- und Jugendarbeit Zaubertricks, Einradfahren, Kunststücke am Trapez, Trampolinspringen, Seilspringen, Jonglage, Diabolo und Akrobatik aus.
Mehrmonatiger Zirkuskurs
Im Anschluss meldeten sich 22 Schüler*innen der Grundschule und 24 Schüler*innen der Realschule zum Zirkuskurs an, der von Ende März bis zu den Sommerferien in der Turnhalle der Herman-Hesse-Realschule stattfand. Getrennt nach Schulart fanden jeweils zweistündige Trainingseinheiten statt.
Die 15 Jungs und 31 Mädchen konnten viele neue motorische Fähigkeiten einüben, ihre eigenen Grenzen kennenlernen und ihre Mitschüler*innen ganz anders als im Schulalltag erleben. Verborgene Talente wurden entdeckt und soziale Unterstützung (z.B. sich gegenseitig helfen und sich ermutigen) wurde erlebt.
Um für die geplanten Zirkusaufführungen beim Stadtteilfest im Bodenfeld sowie beim Schulfest der beiden Schulen gezielter trainieren zu können, wurden im Mai von allen Schüler*innen gemeinsam in einem demokratischen Prozess vier Disziplinen ausgewählt. Die Kinder erlebten ihr Mitspracherecht und ihre Selbstbestimmung, denn alle Kinder durften frei entscheiden, welche Disziplin sie zukünftig trainieren wollten. Allen Kindern war klar, dass ihre Entscheidung zählt und sie mit ihrer gewählten Disziplin dann auch auftreten würden.
So wurde dann in den nächsten Wochen fleißig geübt beim Seilspringen mit Trainer Jochen, beim Zaubern und der Fakirkunst mir Karl-Heinz, am Würfeltrapez mit Luka und am Trampolin mit Marek.
Besonders erwähnenswert ist die regelmäßige Teilnahme aller Schüler*innen über den gesamten Zeitraum von März bis zu den Sommerferien. Nur vereinzelt ließen sich Kinder wegen Krankheit entschuldigen.
Erfolgserlebnisse stärkten das Selbstvertrauen
Die Schüler*innen genossen ihre Erfolgserlebnisse. Kinder und Jugendliche, die motorisch bisher wenig geübt waren, bekamen viel Zuspruch und im Laufe des Projekts auch mehr Selbstvertrauen in den eigenen Körper. Jedes Kind und jeder Jugendliche wurde mit seinen Fähigkeiten akzeptiert. Schüler*innen, die es im Klassenverband bisher schwer hatten, haben sich immer wieder in die Zirkusgruppe eingefunden. Das lag sicher auch daran, dass es ein freiwilliges Angebot war und diese Freiwilligkeit jederzeit respektiert wurde. Niemand wurde gedrängt oder gezwungen, etwas zu üben oder auszuprobieren, was er/sie sich nicht zutraute. Die Sozialpädagog*innen von SOS Kinderdorf Göppingen, Kinder- und Jugendhilfen räumten durch einzelne Gespräche mit den Schüler*innen Sorgen oder auch Ärger und Ängste aus.
Bei allen Aufführungen präsentierten die Kinder und Jugendlichen in einer Zirkusmanege unter freiem Himmel und strahlendem Sonnenschein stolz ihre Kunststücke und bekamen viel Applaus und Lob von Eltern, Lehre*innen und Zuschauer*innen.
Zur Erinnerung und Anerkennung erhielten alle Schüler*innen ein bedrucktes T-Shirt von ihrem Zirkus.
Zusätzlicher Auftritt bei der Eröffnung des Weltkindertages
Ein zusätzlicher Auftritt bei der Eröffnung des Weltkindertages auf dem Marktplatz von Göppingen rundete dieses besondere Projekt ab. Auch hier erhielten die jungen Artist*innen viel Beifall und Zuspruch.
Besonders erfreulich ist die Tatsache, dass das Projekt auch in Zukunft fortgesetzt werden kann. Unter der Leitung der Schulsozialarbeit und in Kooperation mit den Zirkustrainer*innen findet eine Zirkus-AG an der Realschule statt.
Fazit: es war ein sehr gelungenes und gewinnbringendes Projekt für alle Beteiligten.
Text: Isabel Leibfarth, SOS Kinderdorf Göppingen, Kinder- und Jugendhilfen