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10 Jahre Kitasozialarbeit in Kooperation mit einem städtischen Kinderhaus (2012 – 2022)

04. Juli 2022

Nicole, wie würdest Du Kitasozialarbeit in wenigen Sätzen beschreiben?
Die Kitasozialarbeit ist angesiedelt in einem großen städtischen Kinderhaus mit 130 Kindern im Alter von 1 bis zur Einschulung. Wir bieten ganz niedrigschwellige Beratung und Begegnungsangebote für die Familien an, sowie Fallberatung und Begleitung für die Erzieher*innen. Durch den niedrigschwelligen und aufsuchenden Charakter des Angebots erreichen wir ein große Bandbreite an Familie, auch diejenigen, die sonst durch die Maschen fallen würden.
Erzähl mal: wie war das denn genau vor meiner Zeit hier? Wie seid ihr auf die Idee gekommen, dass Kitasozialarbeit eine tolle Sache wäre? Ich kam erst 2016 dazu, aber du hast ja den Start und Beginn mitbegleitet und erlebt.
Durch die Nachbarschaft mit dem Kinderhaus war uns schon seit Jahren bewusst, dass die Familien zum Teil einen hohen Hilfebedarf hatten, aber nicht in den bestehenden Unterstützungsangeboten angekommen sind. Auch die Annahme von Beratung bei uns, gleich nebenan, hat nur in Ausnahmefällen funktioniert und nur, wenn die Erzieher*innen ganz eng begleitet haben. Es war klar, dass sie ein Unterstützungsangebot brauchten, da wo sie sowieso täglich waren und das am besten auch ohne sich an Terminabsprachen halten zu müssen. Aber erst durch die Etablierung der Frühen Hilfen als weiteres Standbein von SOS konnten wir 2012 mit der Kitasozialarbeit, damals noch Kindergartensozialarbeit, starten.
Hilfreich war aber auch, dass die Kitaleitung damals schon so aufgeschlossen uns gegenüber war, oder? Wir wurden gleich von Anfang an in das Team einbezogen, wo es für uns wichtig war.  Den Erzieher*innen wurde immer vorgelebt, dass wir in gewisser Weise Teil des Hauses sind und wir voneinander profitieren können.  Ein offenes  Haus für alle.
Stimmt, als wir damals im Kinderhaus gestartet haben, hatten wir die Sorge, dass wir von den Erzieher*innen als Konkurrenz wahrgenommen werden, weil wir in ihren Bereich „eindringen“. Mittlerweile ist das unvorstellbar, denn die Zusammenarbeit läuft wirklich Hand in Hand. Wichtig war sicher auch, dass wir versucht haben möglichst transparent zu sein und die Erzieher*innen mit ihrer Fachlichkeit und ihren Kenntnissen über die Familien einzubinden. Und dass wir ausgestrahlt haben, dass wir eine Partnerschaft auf Augenhöhe mit unterschiedlichen Blickwinkeln und Kompetenzen wollen. Heute gehören wir selbstverständlich zum Kinderhaus dazu und viele Erzieher*innen kennen es gar nicht ohne uns.
Hättest du damals gedacht, dass wir heute ein so breites Angebot haben werden?
Naja, am Anfang wussten wir gar nicht, wie der genaue Bedarf ist. Und so haben wir mit einem Basisangebot (Offene Sprechzeiten, „Familienzeiten“, Fallbesprechungen) angefangen und unser Angebot den Bedarfen nach weiterentwickelt. Zum Beispiel ist das „Treffen für die Kleinsten“ dadurch entstanden, dass Mütter sich gescheut haben zur „Familienzeit“ zu kommen, weil sie Sorge hatten, ihre Kleinkinder würden stören. Oder das Nachmittagscafé dadurch, dass Eltern gerne zum Frühstück gekommen wären, aber leider nur nachmittags Zeit hatten. So ist ein auf die Familien zugeschnittenes Angebot entstanden, dass sich wechselnden Bedürfnissen anpasst.
Kennst du andere SOS Einrichtungen, die ähnliches anbieten?
Unsere SOS-Kita in Stuttgart hat Teile der Kitasozialarbeit übernommen, ich glaube 2016. Die SOS-Einrichtung in Kaiserslautern hat auch damit begonnen (2021). In einigen anderen Einrichtungen gibt es ähnliche Bausteine, zum Bespiel in Familienzentren, aber meines Wissens nach nicht als Extraangebot.
In meinem Bewerbungsgespräch habe ich die Frage gestellt, ob Ihr noch andere Sprachen könnt. Das war eine große Befürchtung von mir, weil ich nicht sehr talentiert bin andere Sprachen zu lernen. Aber ich bin erstaunt, wie gut dann doch die Verständigung klappt. Und so viele Sprachen, wie es im Kinderhaus gibt, könnte man auch gar nicht lernen. Man muss vielmehr kreativ sein und oft mit Händen und Füßen arbeiten. Und wenn beide Seiten Geduld haben, fällt es leichter.
Ja, das stimmt. Aber Sprachbarrieren bleiben natürlich herausfordernd, vor allem wenn es um Fachbegriffe geht. Schwierig ist es auch auszuhalten, wenn Familien schwierige Lebenssituationen ansprechen und dann Tage oder Wochen nicht mehr erreichbar sind. Mitzugehen, dass alles in ihrem Rahmen und ihrem Tempo geht.
Es ist und bleibt eben nur ein Beratungsangebot, das angenommen werden kann, aber nicht muss. Und deshalb ist unsere Beziehungsarbeit auch so wichtig. Ohne diese würde nichts angenommen werden können. Sie ist die Basis dafür, sehr persönliche Themen anzusprechen und Hilfe anzunehmen. Und sie ist die Basis dafür, dass sich auch Eltern und Geschwister im Kinderhaus beheimatet fühlen. Hierzu ist es auch hilfreich, dass wir zu zweit sind und die Eltern sich aussuchen können, mit wem sie was besprechen möchten.
Dass die Beziehungsarbeit das Wichtigste ist, hat man besonders im ersten Corona-Lockdown gemerkt. Von einem Tag auf den nächsten waren die Familien nicht mehr im Kinderhaus und wir hatten kaum Kontaktmöglichkeiten. Wir konnten keine Beziehungsangebote mehr machen. Und es bestand die Ungewissheit, wie es den Familien zu Hause geht. Wir haben dann fleißig Elternbriefe verschickt um unsere Kontaktdaten zu streuen, Beschäftigungsideen für zu Hause zu geben und Abholangebote zu installieren. Aber niedrigschwellig Kontakt zu halten und vor allem Beziehung anzubieten war schwierig. Ein digitales Frühstück haben wir auch versucht, aber das wurde kaum angenommen. Das einzige wie Beratungen noch funktioniert haben, waren Beratungen am Telefon mit zugeschickten Fotos von Briefen und Anträgen.
Ja stimmt, das Arbeiten während des Lockdowns war ganz anderes. Wenn ich mir vorstelle, ich hätte im Lockdown als neue Kollegin gestartet, dann wäre ich ziemlich frustriert gewesen. Aber wir wussten wie es davor war und hatten die Idee, dass wir da wieder hinkommen.
Und aktuell sind wir ja glücklicherweise wieder dabei zur Normalität zurück zu kommen. Mein Lieblingsangebot, das gemeinsame Familienfrühstück, findet beispielsweise wieder wie gewohnt statt. Es ist  immer schön zu sehen, wie sich in diesem Rahmen Familien kennenlernen und so Freundschaften und Netzwerke entstehen, die auch über die Kitazeit hinweg bestehen bleiben. Außerdem ist nichts so geeignet wie gemeinsames Essen, um ins Gespräch zu kommen über Bräuche und Kulturen.
Ich habe auch immer wieder beobachtet, dass manche Mütter ganz bewusst mit ihrem Kind oder ganz bewusst ohne ihr Kind zum Frühstück kommen. Sie nutzen die Zeit für sich und um Kontakte zu knüpfen oder um gemeinsam mit ihren Kindern im Haus in den Tag zu starten. Mein Lieblingsangebot ist das „Treffen für die Kleinsten“ (Krabbelgruppe). Weil die Eltern den Rahmen nutzen, um gegenseitig Themen zu öffnen und sich untereinander zu beraten und ich bin eher steuernd und moderierend dabei. Und es ist schön, dass die kleinen Geschwisterkinder schon ihren Platz im Kinderhaus finden, bevor sie selbst Kita-Kinder werden.
Am meisten mag ich an unserer Arbeit, dass sie so vielfältig ist: offene Angebote, Beratungen, Fallbesprechungen, die Unterschiedlichkeit der Themen. Es wird nie langweilig. Und dass wir die Freiheit haben, unser Angebot zu gestalten und weiter zu entwickeln.
Mir gefällt auch, dass durch die Kooperation mit der Stadt unser Auftrag klarer ist, da wir eben nicht beim gleichen Arbeitgeber beschäftigt sind wie die Erzieher*innen, nicht so tief in Teamdynamiken drinstecken und nicht einspringen müssen wenn Personalengpass besteht. Fachlich profitieren wir davon, dass unsere SOS-Einrichtung viele verschiedene Fachbereiche hat und wir uns gegenseitig mit unserem Wissen und unseren Kompetenzen bereichern. Und von den Erzieher*innen profitieren wir natürlich auch.
Glaubst du andere Einrichtungen könnten unser Angebot übernehmen? Ich meine da stecken ja schon 10 Jahre Erfahrung drin, die man vielleicht nutzen kann.
Ich finde, dass eigentlich alles Kitas etwas Sozialarbeit brauchen könnten, denn die Themen der Familien überschreiten das Zeitkontingent und die Kompetenzen der Erzieher*innen. Und jede Familie hat Themen, die sie beschäftigen und Sorgen, und nicht nur bestimmte Risikogruppen. Je früher und breiter angesetzt wird, desto besser wirkt der präventive Charakter.
Wenn ich erklären muss, was Kitasozialarbeit ist, sage ich oft: „So ähnlich wie Schulsozialarbeit“, weil das ist jedem ein Begriff. Eigentlich ist es verwunderlich, dass das Eine so etwas Bekanntes und Etabliertes ist und das Andere so viele Fragen aufwirft. Im Unterschied zur Schulsozialarbeit versuchen wir noch mehr, die ganze Familie im Blick zu haben und bei manchen Familien liegt unser Fokus sogar nur auf einem Elternteil und gar nicht auf dem Kind.
Ich würde mir wünschen, dass es viel öfter Kitasozialarbeit gibt, aber leider ist die Finanzierung ein großes Problem. Die meisten Projektfinanzierungen fördern keine bestehenden Projekte und die meisten hätten gerne Fotos und Familiengeschichten, die sie öffentlichkeitswirksam nutzen könnten. Was mit unserem niedrigschwelligen Ansatz nicht zusammen passt, weil wir den vertraulichen Rahmen verlieren würden.
Vielleicht tut sich ja noch was bis zu unserem nächsten Jubiläum.
Text: Tine Lorber und Nicole Rebholz