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Aktuelles

Das Bauchgefühl besprechbar machen

31. März 2023

18 SOS-KollegInnen zur Fachkraft für den Kinderschutz ausgebildet

Ausbildung Fachkraft für den Kinderschutz

Die Dortmunder AbsolventInnen der Insofa-Fortbildung von links nach rechts: Cäcilia Hennig, Fabian Remscheidt, Cathrin Becker (vorn), Uta Gosebrink (verdeckt), Linda Hajceraj, Lara Wieczorek, Naomi Maria Gause, Detlef Palme

Manchmal ist es nur ein Bauchgefühl. Eine vage Ahnung, eine kleine Veränderung der Atmosphäre. Vielleicht eine Anspannung, die man unterschwellig wahrnimmt, zwischen Jacke ausziehen und Morgenkreis, beim Ankommen zum Eltern-Kind-Café oder im Miteinander von Eltern und Kindern während eines Besuchstermins. Und genau so schnell wie sich die Eltern verabschiedet haben, das Kind in seiner Kita-Gruppe oder der Spiele-Ecke im ZEBRA verschwunden ist, verschwindet auch das Bauchgefühl wieder. Man ignoriert es, man vergisst es. Und manchmal fragt man sich am Ende eines Tages, das mit so einem Bauchgefühl angefangen hat: Hab‘ ich irgendwas übersehen?

„Genau dieses Bauchgefühl besprechbar zu machen – darum ging es bei unserer Fortbildung“, sagt Detlef Palme. Er ist der pädagogische Bereichsleiter am SOS-Kinderdorf Dortmund und war auch selbst als Teilnehmer dabei. „Dahinter steckte eine vier Module umfassende Ausbildung, die unsere Teilnehmenden bei Ihren Kolleginnen und Kollegen jetzt zum ersten Ansprechpartner machen, wenn der Verdacht auf eine Kindeswohlgefährdung auftaucht. Und dieser Verdacht beginnt eben ganz oft mit einem schwer zu fassenden Bauchgefühl.“

„Insofa“ – Insoweit erfahrene Fachkraft

Ausbildung Fachkraft für den Kinderschutz

Diplom Sozialpädagoge Marius Wagner leitete die Fortbildung zur „Insofern erfahrenen Fachkraft“ am SOS-Kinderdorf Dortmund.

Viel Verantwortung also, die mit dem frisch erworbenen Titel (oft auch ‚Insofa‘ abgekürzt, für ‚Insoweit erfahrene Fachkraft‘) einhergeht. Deshalb haben Detlef Palme und die Kinderschutzbeauftragte Lara Wieczoreck bei der Organisation und Gestaltung der Fortbildung eng mit der Paritätischen Akademie NRW zusammengearbeitet und viel Wert auf einen erfahrenen Dozenten gelegt. Marius Wagner ist Diplom Sozialpädagoge, systemischer Supervisor und Familientherapeut mit eigener Praxis und leitete die Fortbildung.

Im ersten Teil ging es darum zu erkennen, in welchen Kontexten und Formen eine Kindeswohlgefährdung auftreten kann, im zweiten Modul standen juristische Zusammenhänge und Fragen im Fokus. Lara Wieczorek fand besonders das dritte und vierte Modul spannend, bei denen es um die Beteiligung der Kinder und Jugendlichen bei der Klärung des Sachverhalts sowie Hilfen und Leitlinien zur Gesprächsführung mit den Beteiligten ging. Neben ihrer Aufgabe als Kinderschutzbeauftragte ist Lara im pädagogischen Fachdienst die Schnittstelle in der Kommunikation zwischen den Eltern der Kinder, die bei uns leben und versorgt werden, und den PädagogInnen und Mitarbeitenden, die mit den Kindern arbeiten. „Oft ist es ein Balance-Akt zwischen den Beobachtungen der KollegInnen und in den Elterngesprächen. Es gilt die Familien für eine Zusammenarbeit zu gewinnen und gleichzeitig kindeswohlgefährdende Themen als Realität in die Gespräche zu integrieren.“

Sensibilisierung für Kinderschutz und Kindeswohlgefährdung

Für Detlef Palme stand neben der fachlichen Qualifikation im Rahmen der Fortbildung noch etwas anderes im Fokus: Die Sensibilisierung seiner Mitarbeitenden für das Thema Kinderschutz und Kindeswohlgefährdung. „Das eigentliche Ergebnis der Ausbildung kommt im Wesentlichen zum Tragen, wenn es bereits einen Vorfall oder sogar eine Kindeswohlgefährdung gegeben hat“, sagt Palme. „Die Sensibilisierung der KollegInnen, auch untereinander, wirkt dagegen präventiv. Erkenne ich zum Beispiel schon früh einen gestressten Tonfall, der vielleicht auf eine Überforderung hindeutet, kann ich hingehen und fragen: Geht es Dir oder Ihnen heute nicht gut? Das funktioniert bei Eltern genauso wie bei KollegInnen. Das gleiche gilt für Spannungen, die zwischen Eltern und ihrem Kind stattfinden. Da braucht man scharfe Antennen für. ‚Insoweit erfahrene Fachkraft‘ ist also viel mehr als die Beschreibung oder Erweiterung eines Berufsbildes. Sie ist verbindliches Element der Qualitätssicherung und -entwicklung in der Kinderschutzarbeit bei uns im SOS-Kinderdorf!“

„SOS-Kinderdorf soll ein Ort sein, wo man über Überforderung reden darf“
(Detlef Palme, Pädagogischer Leiter am SOS-Kinderdorf Dortmund)

Das Thema Kinderschutz genießt am SOS-Kinderdorf Dortmund aktuell und zukünftig eine besondere Priorität. Das Kinderdorfzentrum im Kaiserstraßenviertel, am Rande der Dortmunder Innenstadt, ist ein noch relativ neuer Standort. Gestartet sind die vier Bereiche, Kinderdorffamilie und Klärungsgruppe, eine Kita mit rund 60 Kindern in drei Gruppen und das Zentrum für Begegnung, Rat und Austausch, kurz ZEBRA, ab 2019 – und damit mitten in die ausbrechende Corona-Pandemie hinein. Das bedeutet zum einen, dass das individuell für jeden Standort zu entwickelnde Kinderschutzkonzept noch in der Erarbeitungsphase ist. Zum anderen haben die Pandemie und die phasenweise bestehenden Lockdowns es oft erschwert, frühzeitig Kinderschutz-Themen zu erkennen. Kinder kamen phasenweise gar nicht mehr in die Kita oder durften nur bis zur Tür gebracht werden, Beratungs-Angebote im ZEBRA konnten ebenfalls nur eingeschränkt stattfinden. Pädagogen und Expertinnen erlebten die Kinder, die Eltern und vor allem beide im Zusammenspiel viel seltener als sonst und hatten es so viel schwerer, mögliche Belastungssituationen zu erkennen. Gleichzeitig stieg in vielen Familien zu Hause, zwischen Kinderbetreuung und Home-Office, der Druck.

Tabu der Überforderung auflösen

„All diesen Problemen begegnen wir jetzt mit den neu qualifizierten Kolleginnen und Kollegen umso stärker“, sagt Detlef Palme. Allein für den Standort Dortmund haben acht Mitarbeitende an der Fortbildung zur Fachkraft für Kinderschutz teilgenommen. „Vorgegebenes Ziel ist eigentlich, dass in jeder Einrichtung eine Insoweit erfahrene Fachkraft beschäftigt wird. Darüber geht unsere Quote weit hinaus – und davon profitieren auch die anderen Mitarbeitenden. Denn unsere ‚Insofas‘ wirken als Multiplikatoren von Wissen ins Team hinein. Das SOS-Kinderdorf in Dortmund wird dadurch ein Ort, an dem jeder, egal ob Eltern, Gäste oder Mitarbeitende, ganz selbstverständlich über die eigene Überforderung reden kann“, sagt Palme. „Dadurch entsteht auch eine viel offenere Fehlerkultur. Die eigene Überforderung ist für viele Menschen mit Scham behaftet und noch ein Tabuthema. Unsere neuen Fachkräfte sollen mit ihrer Sensibilität dazu beitragen, dieses Tabu aufzulösen.“

Das sieht auch Lara Wieczorek aus dem Fachdienst so. „Das eigene Bauchgefühl spielt dabei eine ganz wichtige Rolle“, sagt sie, „sowohl was die eigene Überforderung als auch die Überforderung anderer angeht. Die Sicherheit zu gewinnen, auf dieses Bauchgefühl zu hören, es zu achten, ihm nachzugehen und ihm auch Ausdruck zu verleihen – das war mir bei der ‚Insofa‘-Ausbildung besonders wichtig.“

Für alle, die möchten, geht es nach der Ausbildung zur Fachkraft für Kinderschutz auch noch weiter. SOS-Kinderdorf will aufbauend im Herbst eine Fachberater-Ausbildung anbieten, mit der die Absolventinnen dann nicht nur im Kinder- und Jugendschutz, sondern auch in anderen Einrichtungen und Bereichen als Fachberater für den Kinderschutz tätig werden dürfen. Die ersten Interessenten gibt es bereits.