SOS-Kinderdorfmutter Anke Hertzsch zeigt ihrer Jüngsten, wo der gemeinsame Adventskalender im neuen Zuhause steht.
© SOS-Kinderdorf e.V. / Foto: Mareike Spielhofen
Die Weihnachtszeit in einer SOS-Kinderdorffamilie
„Dieses Jahr haben wir einen ganz besonderen Adventskalender“, erklärt SOS-Kinderdorfmutter Anke Hertzsch ihrer Achtjährigen, die neugierig die Weihnachtsdeko betrachtet. Hinter den Türchen des Gemeinschaftskalenders wartet neben einer kleinen Süßigkeit für jedes der fünf Mädchen der SOS-Kinderdorffamilie ein täglicher Auftrag. Zum Beispiel, einer anderen aus der Familie sagen, was man an ihr mag oder jemandem bei etwas helfen. Dies soll die Gemeinschaft im Haus einmal mehr fördern. Idee dazu hatte die in der Familie tätige Praktikantin, die gerade ihre Facharbeit zum Thema „Einer für alle, alle für einen“ schreibt. Den gemeinsamen Adventskalender haben sich die SOS-Kinderdorfkinder von Anke Hertzsch auch in diesem Jahr wieder gewünscht. Insbesondere die 14-Jährige habe argumentiert, dass damit doch eine ganze Menge Müll gegenüber fünf einzelnen Plastikkalendern gespart werde.
Eigentlich sind es insgesamt sechs Mädchen, die von der Kinderdorfmutter betreut werden. Ramona, die Älteste, wohnt jedoch im Appartementhaus auf dem SOS-Dorfgelände. Das soll der jungen Frau, die eine Ausbildung als Altenpflegerin in Dießen macht, den Weg in die eigene Selbständigkeit erleichtern.
Das erste Weihnachten im neuen Haus
Die SOS-Kinderdorffamilie ist erst im September in eines der neu renovierten Häuser des Dorfes umgezogen. Die Mädchen, die vorher ihre Zimmer teilten, haben nun jeder ihr eigenes. Das können sie nach ihrem eigenen Geschmack gestalten. „Die Großen haben Poster mit Stars aus der Bravo aufgehängt, die zwei kleinen haben mit Bildern von Hunden und Pferden dekoriert“, schmunzelt die Kinderdorfmutter. Auch sie freut sich über das neue Heim. „Ich genieße es sehr mein eigenes Badezimmer zu haben!“
Nun verbringen sie zum ersten Mal die Adventszeit in ihrem neuen Reich. Die 55-Jährige hat weihnachtlich dekoriert. „Das neue Haus ist ganz anders aufgeteilt, die Deko passt nicht mehr an den gewohnten Stellen.“ Ein wenig verzweifelt versucht sie noch für den ein oder anderen Schmuck den passenden Platz zu finden. Mal fehlt eine Wand zum Hinstellen, mal eine Steckdose. Doch schließlich hat alles seinen Platz gefunden. Für Kinder sei die Vertrautheit ganz wichtig, gerade die Weihnachtssachen seien ganz präsent bei ihnen. „Als wir anfingen über die Adventszeit nachzudenken, fragten die Kinder schon, ob alle Weihnachtswichtel wieder aufgestellt würden, wo die Weihnachtskrippe ihren Platz findet und wo wir denn bloß die kleine Kirche hinstellen“, berichtet Hertzsch. Sogar noch bei den schon erwachsenen Kindern, die immer wieder zu Besuch kommen, haben diese Dinge Bedeutung. „Ich hatte früher einen Jungen, der schon vor einigen Jahren ausgezogen ist. Der besucht uns aber immer mal wieder und schwelgt dann in Erinnerungen, zum Beispiel wo der Weihnachtsstern hing…“
Zum zwölften Mal Weihnachten im Kinderdorf
In der Adventszeit, wenn es morgens und abends bei den gemeinsamen Malzeiten dunkel ist, werden der Adventskranz sowie lauter Teelichter auf dem Tisch angezündet und nur bei Kerzenschein gegessen. „Die Kinder lieben diese Zeit“, so Hertzsch.
Zum zwölften Mal feiert sie als Kinderdorfmutter Weihnachten mit SOS-Kinderdorfkindern. Neben der neuen Umgebung gibt es für sie in diesem Jahr allerdings noch eine Veränderung. Zehn Jahre lang waren immer die Großeltern eines der Mädchen an Weihnachten mit dabei. „Die sind Großeltern für die ganze Familie geworden. Das war richtig schön.“ Doch leider mussten sie für dieses Jahr krankheitsbedingt absagen „Da sind die Kinder schon sehr traurig und für mich ist es auch neu, das erste Mal mit den Mädels Weihnachten alleine zu feiern.“
Doch auch in diesem Jahr möchte sie an ihren Weihnachtsritualen festhalten. „Das, was ich selber als Kind erlebt und als schön empfunden habe, habe ich als Tradition mit eingebracht“, so Hertzsch. Am Abend vor Heiligabend wird mit den großen Kindern der Baum geschmückt. Wenn alle im Bett sind, legt die Kinderdorfmutter die Geschenke unter den Baum und schließt die Schiebetür zum Wohnzimmer. Weil diese nicht richtig abschließbar ist und früher doch immer wieder durch den Spalt gelinst wurde, gab es irgendwann einen roten Spanngurt, der um die Türen gelegt wurde. Davor hing dann ein Schild mit einer Stopphand und der Inschrift ‚Stopp – Weihnachtszimmer!‘ Jedes Jahr überlegen die Kinder wieder, wessen Hand das wohl sein könnte: das Christkind, der Weihnachtsmann? Schon der Tradition wegen wird vermutlich auch in diesem Jahr wieder um dieses kleine Weihnachtsgeheimnis gerätselt. Als die Kinder noch klein waren, sind sie oft am Heiligabend nachmittags mit Vogelfutter und Meisenknödeln in den Wald marschiert und haben den Tieren ein Weihnachten beschert. Auch die hauseigenen Kaninchen und Vögel erhalten jedes Mal etwas Besonderes zum Knabbern.
Der Spanngurt macht es spannend
Später gibt es Plätzchen und Kinderpunsch, die Weihnachtsgeschichte wird vorgelesen, es wird Flöte gespielt und gesungen. Um die Spannung weiter zu erhöhen werden die Kinder ins Treppenhaus geschickt. Dort werden Weihnachtsfotos gemacht. Danach wird es zunächst für die SOS-Kinderdorfmutter spannend, nämlich ob sie den Spanngurt um das Weihnachtszimmer gelöst bekommt. „Alle Jahre wieder ist es ein ‚Gefummel‘“, grinst sie. Geschenke erhalten die Kinder von der SOS-Kinderdorfmutter, von ihren leiblichen Verwandten und manchmal aus Spendenaktionen. „So werden die Kinder schon reich beschenkt“, meint Hertzsch. Froh ist sie nur, dass es in diesem Jahr, wo doch die Großeltern nicht kommen, nicht mehr so viele Spielsachen zum Zusammenbauen gibt. Manches ändert sich eben doch. Auch ist fraglich, ob es am ersten Weihnachtstag, aufgrund von vegetarischen Essern, einen Weihnachtsbraten gibt. Wie in ganz normalen Familien stößt auch bei der SOS-Kinderdorffamilie hier und da die Dynamik der Veränderung mit guten alten Traditionen zusammen. „Die Neuerungen werden wir auf uns zukommen lassen“, meint Anke Hertzsch mit der Professionalität und Gelassenheit einer SOS-Kinderdorfmutter.