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Aktuelles

„Jetzt red i!“

19. April 2022

„Schön fände ich einen eigenen Skaterplatz“, „Ich wäre froh, wenn das W-LAN richtig funktionieren würde“ oder „Ich würde gerne mit Nerf-Guns spielen. Warum bekomme ich keine?“. Das sind Themen, die die Kinder im SOS-Kinderdorf in Dießen bewegen. Gerne nutzen sie das Angebot des „offenen Mikrofons“ auf der alljährlichen Kindervollversammlung. Immer neue Wünsche und Anregungen werden kund getan – und das ist auch gut so. Denn auf diese Art können sie wirklich partizipieren am Dorfalltag.

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Die Beteiligung auf der Kindervollversammlung ist rege. V.a. wenn es beim „Offenen Mikrofon“ um Themen wie einen neuen Skaterplatz, schnelles W-LAN oder auch Nerf-Guns zum Spielen geht.

Ein Kinderbotschafter aus jeder Dorffamilie trifft sich einmal im Monat im Kinder- und Jugendrat. In ihren kleinen Notizbücher notieren sie Themen, die sie dann in ihrer Familie besprechen. Beispielsweise Hausaufgabeneinteilung, Helmpflicht oder auch Fernsehzeiten. Im Kinder- und Jugendrat sitzen ihre Betreuer und oft auch die Einrichtungsleitung. So gelangen Wünsche und Anregungen direkt zu den Verantwortlichen. „Der Kinder- und Jugendrat ist seit Jahren nie ausgefallen. Er ist ein fester Termin, der Routine braucht. Nur so haben die Kinder auch Vertrauen in uns und nehmen die Sache ernst“, berichtet Nicole Mathauser vom heilpädagogischen Fachdienst des SOS-Kinderdorfes Ammersee-Lech und als Mentorin verantwortlich für Beteiligungsfragen der Kinder. Und das trotz Corona! Oft mussten sie sich draußen treffen. Aber was macht man nicht alles für die Mitbestimmung.

Partizipation im Alltag

Entstanden aus dem Engagement sind mittlerweile zum Beispiel ein Plakat zum Beschwerde-Management – entworfen und mitgestaltet von den Kindern. Jede Familie im Dorf hat dieses in ihrem Haus hängen, um immer vor Augen zu haben, an wen die Kinder sich wie wenden können. Seit 2021 gibt es auch ein Plakat zur Partizipation. Das Hilfeplangespräch, die Dorfregeln, die Vertrauensperson sind nur ein paar Optionen, die den Kindern zu ihrer Beteiligung vor Ort eingefallen sind.
Beteiligung bedeutet aber nicht, dass Kinder alles bestimmen können, was sie wollen! Sie dürfen mitentscheiden, aber die Erwachsenen tragen natürlich trotzdem die Verantwortung“, kommentiert Nicole Mathauser. Man kann etwa nicht den ganzen Tag fernsehen. Aber jeder darf in seiner Freizeit auch einmal entscheiden, wie er sie verbringen will. Und Rechte gelten nicht nur für die Kinder: Privatsphäre beispielsweise muss eben umgekehrt auch einmal für den Erwachsenen gewährleistet sein. Im Miteinander der Familien und des Dorfes ist Partizipation so schon von Grund auf Mitbestandteil. Thema auf der diesjährigen Vollversammlung waren dann auch die Familienkonferenzen, die einmal im Monat in jeder Familie stattfinden. Über Jahre hinweg wurde diese Praxis nun fest in den Alltag integriert. Die Familienmitglieder reden untereinander darüber, was sie so stört oder welche Regeln sie anpassen wollen. Diese Idee entsprang ebenfalls dem Kinder- und Jugendrat!

Kritik und Anregungen betreffen aber nicht nur das Dorf intern: In einem Brief beschwerte sich ein Kinderdorf-Mädchen bei der Gemeinde darüber, dass die Straße neben dem Schacky-Park bis hinter zum Dorf zu schlecht beleuchtet sei. Mehr Licht ist die Forderung! Denn auch im Dunkeln laufen die Kinder einmal selbstständig nach Hause, aber das letzte Stück ist vor allem im Winter richtig unheimlich. Bis jetzt gab es leider keine Antwort. Vielleicht bis zur nächsten Jahresvollversammlung?

Vertrauenspersonen und Sozialpreis

Die diesjährige moderieren die Kinder jedenfalls souverän weiter. Zwei Mädchen sprechen mit anderen kleinen Rednern und Rednerinnen von den Festen und Jubiläen, die sie im Dorf feiern werden, oder von Neuankömmlingen, die man begrüßen möchte. Sehr wichtig ist für alle auch die Wahl der Vertrauenspersonen. Im Zwei-Jahres-Rhythmus werden eine Frau und ein Mann von den Kindern zu Vertrauenspersonen gewählt. Selbst die ganz Kleinen werfen ihre „Muckl-Steine“ schon in die Wahlurne. Michelle Poppinger und Oliver Oeke, pädagogische Fachkräfte in den Kinderdorffamilien, die diese Jahr für eine Periode von zwei Jahren gewählt wurden, unterstützen und beraten die Kinder ab sofort in ihren Beschwerdeanliegen. Einmal im Jahr kommen sie zu jeder Familie in die Familienkonferenz; über einen versteckten Briefkasten erreichen sie aber auch anonyme Nachrichten – ganz im Geheimen.

Ein großes Highlight des frühen Abends ist schließlich die Verleihung des Sozialpreises 2022. Saskia erhält die Auszeichnung für ihr soziales Engagement. Sie engagierte sich über ein Jahr bei der Freiwilligen Feuerwehr und absolvierte zudem ein Freiwilliges Soziales Jahr im Krankenhaus. Ein tosender Applaus begleitet ihre Ehrung. Denn der Preis, der jedes Jahr für ein jüngeres und ein älteres Kind ausgelobt wird, muss nicht vergeben werden. Wenn kein selbstloser Einsatz für andere bekannt ist, gibt es auch keinen Preis. Umso schöner, wenn es zur Verleihung kommt!
Nach guter Verkostung mit Speis und Trank – die im Übrigen die Kinder selbst im letzten Jahr angeregt haben – neigt sich ein schöner Abend dem Ende. Gemeinschaft, die seit Pandemiebeginn nur noch schwer zu finden ist, leben hier Kinder, Kinderdorf-Mütter und -Vater wie SOS-Mitarbeitende. Der Austausch über vergangene und kommende Projekte, aber auch die Kritik am anderen hilft, gegenseitiges Verstehen zu ermöglichen und Wichtiges zusammen angehen zu können. Denn das macht Zusammenleben eben aus.

Der SOS-Kinderdorf e.V. hat Partizipation von Kindern und Jugendlichen in seinem Leitbild festgeschrieben. Um die Kinder und Jugendlichen in allen Lebensphasen zu fördern, müssen wichtige Entscheidungen, die das Lebensumfeld der Kinder und Jugendlichen betreffen, immer mit Beteiligung dieser getroffen werden. Ziele sind u.a., Selbständigkeit und Eigenverantwortung zu erlernen und zu festigen, feste Strukturen und Grenzen zu achten sowie das Selbstbewusstsein zu stärken.

Strukturen im SOS-Kinderdorf Ammersee-Lech bilden dazu beispielsweise eine Mentorin für Beteiligung, die Kindervollversammlung, der Kinder- und Jugendrat, Interessens-AGs, pädagogische Unterstützungsprozesse, Beschwerdeverfahren sowie eine Evaluation, um die Strukturen fortlaufend anzupassen.
Mehr Informationen unter
www.sos-kinderdorf.de/kinderdorf-ammersee-lech

Eindrücke aus der Kindervollversammlung