Eltern leisten gerade unglaublich viel

09. April 2020

Trostspender, Motivator und bester Freund in einem

 Es ist ruhig geworden im SOS-Kinderdorf in Dießen. Hier und da sieht man ein Familiengrüppchen über die Wiese hin zum Wald schlendern, ein anderes Familiengrüppchen findet sich auf dem Schiffsspielplatz ein, eine weitere Familie macht einen Ausflug zur dorfinternen Mediathek. Die Welt hat sich auch hier innerhalb kürzester Zeit völlig verändert: wie alle Kinder dürfen auch die SOS-Kinderdorfkinder nicht ihre Freunde treffen, auch wenn sie im Dorf fast nebeneinander wohnen. Sie dürfen auch nicht ihre leiblichen Familien besuchen. So sind insbesondere die SOS-Kinderdorfmütter und der -vater gefragt – genauso wie Eltern in allen anderen Familien auch. 

Psychologinnen und Mitarbeiter von SOS-Kinderdorf stehen Eltern mit gutem Rat zur Seite

Diese decken nun alle üblichen sozialen Kontakte ab: Lehrer, Motivator, Trostspender, Pausenclown, bester Freund – und häuslicher Krisenstab. Zur Seite stehen den Kinderdorfmüttern und dem -vater die Erzieherinnen, die sich in den Familien aufhalten dürfen. Aber auch der psychologische Fachdienst des SOS-Kinderdorfs steht ihnen zur Seite, wenn auch nicht wortwörtlich. Sandra Dehn, Psychologin und selber Mutter, ist einer der „heißen Drähte“, sozusagen der Telefonjoker für Herausforderungen aller Art in den Familien. Sie beobachtete, wie die Familien in den ersten Wochen zunächst damit beschäftigt waren, sich neu zu organisieren. Erst nach und nach, vielleicht mit den neu einkehrenden Routinen, gab es Redebedarf. „Von Woche zu Woche gab es immer stärkere Einschränkungen, so dass es auch für uns schwierig wurde, von außen Unterstützung anzubieten“, so Dehn. Doch sie und ihre Kollegin Bettina Elfert ließen sich immer neue Ideen einfallen, um Kindern und Erwachsenen zu signalisieren, dass sie mit der Situation nicht alleine dastehen. So gab es Bastel- und Beschäftigungsideen für die Kinder, ein Mutmach-Gedicht für die Erwachsenen sowie kleine Aufmerksamkeiten zu Geburtstagen.

Es ist in Ordnung, keine Antworten zu haben

Das Wichtigste in dieser Situation sei es, den Kindern Sicherheit zu vermitteln, so der Rat der Psychologinnen an Eltern und betreuende Erwachsene. Durch die vielen Änderungen und Beschränkungen der letzten Wochen seien viele verunsichert und durchlebten verschiedenste Emotionen. Dabei spiele vor allem eine gute Tagesstruktur eine Rolle. Neue Rituale könnten geschaffen werden. Zudem sei es wichtig auf die Fragen der Kinder altersgerecht einzugehen. „Sie sollten dabei aber unbedingt bei den Fakten bleiben und sich nicht in Spekulationen verlieren - es ist vollkommen in Ordnung, auf manche Fragen keine Antwort zu kennen“, rät Dehn.
Aber auch Positives dringt aus den SOS-Kinderdorffamilien: „Insgesamt hören wir, dass sie die intensive Familienzeit auch genießen“, berichtet Dehn aus Gesprächen mit den Betreuenden. Da die Bringdienste und die Therapeutenbesuche wegfielen, besinne sich jeder auf das Wesentliche und da wird auch die Nähe zueinander genossen. Einige berichteten auch, dass die Kinder ausgeglichener sind, da sie sonst nach der Schule zunächst immer erst ihre Emotionen abladen, bevor sie mit den Hausaufgaben beginnen.

SOS-Beratungsstelle für Kinder, Jugendliche und Eltern

Auch bei der SOS-Beratungsstelle für Kinder, Jugendliche und Eltern in Landsberg laufen die Telefondrähte heiß. Da Treffen nicht möglich sind, können die Familien aus dem Landkreis die Mitarbeitenden anrufen und sich ihren Kummer von der Seele reden. „Vielfach rufen uns Eltern an, die in einer laufenden Beratung stehen“, so Psychologin Claudia Reinold von der SOS-Beratungsstelle. „Bestehende Probleme, wie Verlustängste und häusliche Konflikte verstärken sich in Krisenzeiten häufig.“ Aber es rufen auch Eltern erstmalig an, die mit der aktuellen Situation überfordert sind. Oft vermische sich Berufliches, Schulisches und Privates auf engstem Raum und von früh bis spät. Außerdem verunsichert die Kinder, dass sie Großeltern und Freunde nicht mehr sehen dürften. „Viele gehen sehr vernünftig mit den Herausforderungen um, doch mit jeder Woche, die die Situation länger dauert, wird es schwieriger Langeweile, Frust und Ärger auszuhalten“, so Reinold. Sie rät, viel an die frische Luft zu gehen, Sport zu machen und mit Großeltern und Freunden zu telefonieren oder zu skypen. Außerdem ist ein achtsamer Umgang mit der Informationsflut geboten, um sich vor Angst und Panik zu schützen.

Für sich selber sorgen

„Eltern leisten gerade unglaublich viel“, bemerkt Reinold. Dass es da auch mal Stress gibt, nicht nur mit den Kindern, sondern auch unter den Erwachsenen, ist nicht verwunderlich. Reinold rät den Eltern daher, unangenehme Gefühle rechtzeitig anzusprechen. Wenn es doch zum Streit kommt, sollten die Erwachsenen dies nicht vor den Kindern austragen, um diese nicht noch mehr zu verunsichern. Falls der Konflikt sich nicht lösen lässt, rät sie, sich frühzeitig Hilfe zu holen.
„Grundsätzlich sollten wir nicht vergessen, dass jede Person andere Bedürfnisse in dieser Situation hat und dementsprechend ausprobieren muss, was für sie am besten ist“ meint Psychologin Sandra Dehn. Zeiten alleine für sich, Routinen schaffen und mit Angehörigen und Freunden in Kontakt zu bleiben, seien da hilfreich. „Schreiben Sie mal wieder einen Brief“, empfiehlt sie. Und Claudia Reinold rät, sich und anderen Mut zu machen und zuversichtlich zu sein, dass die Zeit kommen wird, wo Alltagsroutinen wieder aufgenommen werden und persönliche Begegnungen wieder stattfinden können. 

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