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Aktuelles

Brücken bauen zwischen Kulturen

15. März 2023

Beruf „Familienhebamme“

„Viele meiner Familien kommen aus Syrien, Nigeria, Eritrea oder Afghanistan,“ erzählt Angelika Killi. „Sie haben auf ihrer Flucht oft Schlimmes erlebt.“ Angelika Killi, Familienhebamme des SOS-Kinderdorfes Ammersee-Lech, ist schon seit über 45 Jahren als Hebamme – seit zehneinhalb Jahren als Familienhebamme tätig. In den letzten fünf Jahren betreute sie hauptsächlich geflüchtete Familien.

„Meine zu betreuenden Familien kennen ein staatliches Sozial- und Gesundheitssystem wie das deutsche nicht,“ erläutert Killi. „Sie kommen aus Ländern, in denen gar kein Sozialstaat existiert oder in denen der Staat seine Bürgerinnen und Bürger sogar unterdrückt und ausbeutet.“ Den meisten fällt es schwer, Vertrauen zu fassen. Es braucht einfach Zeit, um zu verstehen, dass man „in Sicherheit“ ist und dass Angelika Killi wirklich helfen will. Sie sorgt für das Wohl von Mutter und Kind. Ob es sich um Schwangerschaftsbeschwerden, Ängsten vor oder nach der Geburt oder die richtige Versorgung eines Neugeborenen handelt. „Ich habe Mütter erlebt, die ihre anderen Kindern nie gestillt hatten. Mit meiner Stillberatung und der richtigen Praxis hat es dann funktioniert,“ berichtet sie. „Das macht mich schon ein wenig stolz.“   

Intensive Betreuung

Familienhebammen kümmern sich im Allgemeinen um die medizinische, aber auch psycho-soziale Betreuung von Mutter und Kind in der Zeit der Schwangerschaft und im Wochenbett. Ihre Arbeit geht jedoch über die normale Hebammentätigkeit hinaus: Die Neugeborenen können bis zum Alter von drei Jahren begleitet werden. Und: Familienhebammen haben das gesamte Familienkonstrukt im Blick! Schwangere und eben auch ihre Familien, die sich in belastenden Lebenssituationen befinden und eine intensivere Betreuung benötigen, stehen im Fokus der Betreuung. Das können auch sehr junge oder depressive Mütter sein.

Killi hat es in ihren Familien oft mit Problemen zu tun, die ein Verständnis des deutschen Gesundheitssystems erfordern: So hilft Killi bei der Organisation der Vorsorgeuntersuchungen bei der Gynäkologin sowie der U-Untersuchungen und Impfungen der Kinder nach der Geburt. Sie sorgt auch dafür, dass die Krankenkassenkarte mitgebracht wird, wenn ein Arzttermin ansteht. Anhand des Mutterpasses und des U-Untersuchungsheftes der Kinder erklärt sie genau, welche  Untersuchungen wann und warum erfolgen. Sie will nicht nur begleiten, sondern ein Bewusstsein dafür schaffen, was für ein gesundes Leben notwendig ist. Sie gibt „Hilfe zur Selbsthilfe“. Das ist essentiell – nicht nur in gesundheitlichen Fragen.

Kinder lernen schnell

„Um in die Kita gehen zu dürfen, brauchen Kinder die notwendigen Vorsorgeuntersuchungen und Impfungen,“ sagt Killi. „Und eine institutionelle Betreuung hilft enorm.“ Eine wichtige Erkenntnis, die sie über die Jahre gewann: Integration kann zumeist nur erfolgreich sein, wenn Flüchtlingskinder möglichst früh in die Krippe oder den Kindergarten gehen.

In der Kita lernen sie Deutsch und finden sich dann auch besser in der Schule zurecht. „Kinder lernen unglaublich schnell, “erzählt Killi. „Ich habe Kinder betreuter Familien nach ein paar Monaten in der Kita wieder getroffen und sie konnten auf einmal Deutsch mit mir sprechen. So etwas freut mich wirklich sehr!“ Teilweise dolmetschen Kinder sogar für ihre Eltern, die sich schwer mit der Sprache tun.

Ein weiteres wichtiges Thema in ihrer Arbeit ist „die Verhütung“. Killi klärt auf, berät und verschafft über staatliche Hilfen Verhütungsmittel, die sich Frauen sonst gar nicht leisten könnten. Das bietet vielen Frauen die Möglichkeit, auch an ihre Zukunft nach der „Elternzeit“ – etwa an die Teilnahme an Deutschkursen oder eine Ausbildungs- oder Arbeitsstelle – zu denken.

Das A und O: gute Vernetzung

Angelika Killi stärkt das ganze Familiensystem und schafft damit auch Raum für eine gute Entwicklung des Neugeborenen. Sie schaut, ob Mamas sich zurechtfinden, erklärt, wie wichtig Zähneputzen ist, wenn die ersten Zähne kommen, oder vermittelt Familien in unterschiedlichen Belangen an Ehrenamtliche oder Fachleute etwa in Asylberatungsstellen oder Krankenhäusern weiter. Kontakte zu Kinderärzten wie Kindergärten, zu Gynäkologen wie Therapeuten, aber auch zur Nachbarschaftshilfe sind grundlegend für ihre Arbeit. Das A und O ist Vernetzung! Gerade die Anbindung an die SOS-Frühförderstelle in Landsberg ist für sie wichtig. Killi kann unkompliziert und auf direktem Wege Kinder, die Bedarf an Logopädie, Ergotherapie o.ä. haben, an die Frühförderstelle übermitteln.

Zu einer guten Integration tragen – neben staatlichen Hilfen – für Killi Ehrenamtliche wesentlich bei. 2015 blühte das Ehrenamt in der Flüchtlingshilfe auf. „Leider wird es gerade immer weniger,“ weiß Killi. „Auch kulturelle oder religiöse Differenzen und beidseitiges Unverständnis spielen dabei manchmal eine Rolle.“ Aber wenn eine Familie etwa eine ehrenamtlich tätige „Ersatz-Oma“ hat, die regelmäßig und dauerhaft in die Familie kommt, Hausaufgaben mitbetreut, Kinder von der Couch vorm Fernseher auf den Fußballplatz bringt – dann ist das eine wirklich große Bereicherung. Die Erfolgschancen in der Bildung und der Integration im Allgemeinen werden damit deutlich höher.      

„Ich würde es immer wieder so machen“

Seit Januar 2023 wird die SOS-Familienhebamme unterstützt durch die Deutsche Postcode Lotterie. Diese Förderung ermöglicht u.a. den Erhalt der Stelle der fachlich qualifizierten Familienhebamme. Denn sie ist nicht – wie die meisten Familienhebammen – ans Jugendamt angegliedert. Zwar steht sie in engem Kontakt zum Amt. Sie hat bei ihrer Arbeit natürlich immer ein Auge auf das Kindeswohl. Sie ist aber Mitarbeiterin der interdisziplinären SOS-Frühförderstelle in Landsberg. Dort fühlt sie sich gut aufgehoben.

„Ich würde es immer wieder so machen,“ spricht sie sich über ihren beruflichen Werdegang aus. Die Dinge brauchen ihre Zeit – da müsse auch sie sich in Geduld üben. „Gute Integration verfestigt sich oft erst in der dritten hier lebenden Generation von Geflüchteten,“ erzählt sie aus ihrer Erfahrung heraus. Aber es gibt viele kleine Erfolgsgeschichten, die sie bestärken.

Angelika Killi unterstützt ihre Schützlinge immer, soweit sie kann. Wo die berufliche Unterstützung aufhört, setzt sie sich oftmals ehrenamtlich für ihre Familien ein:

Sie engagiert sich dafür, dass Kinder einen Kita-Platz erhalten oder die Eltern einen Job in der Umgebung finden. Sie geht mit den Kindern raus auf den Spielplatz oder vermittelt die Kinder an Sportvereine und in Schwimmkurse. „Viele geflüchtete Eltern haben kein Verständnis dafür, dass ihre Kinder Schwimmunterricht brauchen. Sie kennen das einfach nicht,“ berichtet sie. Dann versucht sie, ihnen zu verdeutlichen, wie wichtig es – gerade am Ammersee – ist, schwimmen zu können. Dass es lebensrettend sein kann. Als Vertrauensperson dringt sie zu den Menschen durch und baut Brücken – sei es über bürokratische, menschliche oder kulturelle „Hindernisse“.