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Frei von der Straße – und jetzt?

04. April 2023

„Hey, ich kann ja selbst was gestalten!“

Freizeit: das ist für Straßenjugendliche (auch) Zeit, um sich weiterzuentwickeln, eigene Stärken zu entdecken und Neues zu lernen.
Seit 2007 arbeitet Sabine Risch als Sozialpädagogin in der Freiburger StraßenSchule. Und in ihrer Freizeit? Geht sie bouldern, schwimmen, wandern, in Lesungen oder auf Konzerte. „Bei uns in der Freiburger StraßenSchule verbringen die jungen Leute auch Freizeit, zum Beispiel in den Wohnprojekten und in der Anlaufstelle“, sagt sie, „aber wir merken, dass einige damit noch wenig anzufangen wissen. Sei es, weil sie es nie anders kennengelernt haben, die finanziellen Mittel und sozialen Netzwerke fehlen oder der Mut zum ersten Schritt.“ Langeweile? Kann mal okay sein. Doch wenn die Sozialpädagog*innen merken, dass das Leben mancher Straßenjugendlichen vor sich hindümpelt, regen sie zur Aktion an.
Nachdem pandemiebedingt in den letzten drei Jahren Aktionen wie Ausstellungsbesuche, Fahrten ins Hallenbad und Essen im Restaurant nicht immer möglich waren, will Sabine Risch zusammen mit ihren Kolleg*innen die Freizeitgestaltung jetzt wieder stärker auf die Agenda bringen. Denn dabei geht es nicht einfach »nur« um einen Zeitvertreib, sondern um das, was die Freiburger StraßenSchule im Kern ausmacht: jungen Menschen etwas an die Hand zu geben, damit sie ihr Leben aus eigenem Antrieb bewältigen und entdecken, was alles für sie drin sein kann.
Eine wohnungslose junge Besucherin der Anlaufstelle war beispielsweise „Care Leaverin“, das heißt, sie war im Jugendhilfesystem groß geworden. Dort nahm sie an einem Sportprojekt teil – das vermisst sie. „Beim Auspowern mit anderen vergesse ich alles und gewinne Energie für mein Leben“, erzählt sie. Jetzt freut sie sich auf die nächste Fahrt ins Hallenbad mit der Freiburger StraßenSchule.
Was bei den jungen Menschen immer gut ankommt, ist der »Tag der Herzen« im Europapark, an dem soziale Organisationen kostenlosen Eintritt haben. Oder zusammen ins Kino gehen. Und auch das ist für die Straßenjugendlichen kein passives Mitlaufen und Sich-berieseln-Lassen, sondern mit wichtigen Gruppenprozessen verbunden: Wer plant die Fahrt? Was gibt’s zu essen? Welchen Film schauen wir an, wenn alle unterschiedliche Interessen haben?
„Alles in allem geht es darum, Gemeinschaft zu erfahren und sich in der Gesellschaft bewegen zu können. Auf unseren Ausflügen sammeln die wohnungslosen jungen Menschen schöne und interessante Erinnerungen und lernen nebenbei einiges, das ihnen im Leben weiterhilft“, sagt Sabine Risch. Das Erlebte könne sogar eine Motivation sein, aus hemmenden Verhaltensmustern auszubrechen. Sie erinnert sich an einen Straßenjugendlichen, der beim gemeinsamen Klettern nachmittags stolz sagte: „Ich habe heute extra nur ein Radler getrunken, damit ich fürs Klettern fit bin!“
Für die Sozialpädagogin war das ein wichtiger Impuls. Egal, ob Filmschauen, Klettern, zusammen kochen oder kreativ sein: Freizeitaktionen sind eben nicht dafür da, dass die Zeit schneller herumgeht – sondern sie machen aus dem Alltäglichen etwas Besonderes, aus dem jede*r für sich etwas mitnehmen kann und zu dem jede*r beiträgt. So entsteht auch das gute und für Straßenjugendliche wichtige Gefühl, die Dinge selbst gestalten zu können und das eigene Leben in der Hand zu haben.

- Ermöglicht durch die Wilhelm Oberle Stiftung -