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Nachlese zum Fachtag „Häusliche Gewalt“
Die Fachtagung unserer Erziehungs-und Familienberatungsstelle fand in diesem Jahr zum Thema: „Umgang nach häuslicher Gewalt- das Zusammenwirken der Professionen im Spannungsfeld zwischen Kinderschutz und Umgangsrecht“ statt. Mit dieser Fachtagung sollten Fachleute aus den Bereichen Jugendhilfe, Gerichtsbarkeit und Kinderpsychotherapie zu Wort und ins Gespräch kommen. Es sollte ein Austausch darüber stattfinden, welche Ansprüche es auf Umgang gibt, welche Hilfen möglich sind und was Kinder aus diesen Familien brauchen um psychisch gesund aufwachsen zu können. Zudem sollte die Möglichkeit geschaffen werden zu diskutieren wie die verschiedenen Professionen zum Wohl der Kinder besser zusammenarbeiten können.
Die Begrüßungsworte zur Tagungseröffnung sprachen Thomas Walter, der Einrichtungsleiter des SOS-Familienzentrums Berlin und Maja Loeffler, die Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte des Bezirksamts Marzahn-Hellersdorf, durch die der Fachtag unterstützt wurde. Die Moderation des Tages übernahmen Britt Horn und Matthias Müller-Guth.
Eine Hinführung zum Thema gestalteten die MitarbeiterInnen des SOS-Familienzentrums, die mit einer gelungenen Fallvorstellung das Spannungsfeld aufzeigten, in dem sie sowohl die von häuslicher Gewalt betroffenen Eltern und Kinder zu Wort kommen ließen als auch die verschieden Professionen (Jugendamt, Umgangsbegleiter als auch die Beraterinnen der Erziehungs-und Familienberatungsstelle). In der Fallvorstellung wurde deutlich, dass Eltern, die häusliche Gewalt ausgeübt haben, in besonderer Weise Verantwortung gegenüber ihren Kindern tragen, und es stellte sich die Frage, wie Umgang nach einer Trennung nach häuslicher Gewalt gestaltet werden kann, damit dieser nicht zu neuerlichen seelischen Belastungen für die Kinder wird. Dabei wurde deutlich, wie schwierig es oftmals ist, sowohl das Recht der Eltern auf Umgang als auch den Kinderschutz im Auge zu behalten.
Die Fachvorträge im Überblick
Im 1. Vortrag sprach Ute Krauß, Sozialarbeiterin und Kinderschutzkoordinatorin im Jugendamt Marzahn-Hellersdorf zum Thema: „Häusliche Gewalt und Kindeswohl- Rolle und Aufgaben des Jugendamts“. Frau Krauß referierte, dass das Miterleben von Gewalt zwischen Eltern erhebliche Auswirkungen auf die emotionale, körperliche und kognitive Entwicklung und auf das spätere Gewalthandeln und Gewalterleben von Kindern und Jugendlichen hat. Häusliche Gewalt sei eine Gefährdung des Kindeswohls. Aus diesem Grund werde hier der §8a SGB VIII „Schutzauftrag bei Kindeswohlgefährdung“ angewendet. Wenn Kinder von häuslicher Gewalt betroffen seien, erfolge meist nach dem Polizeieinsatz eine Meldung an das zuständige Jugendamt. In einem Hilfe- und Schutzkonzept würden dann weitere Schritte zur Gefahrenabwehr für Mütter und Kinder besprochen. Um den Eltern die Chance zu bieten, ihrer elterlichen Sorge wieder gerecht zu werden, komme das Angebot des begleiteten Umgangs als Unterstützungsleistung der Jugendhilfe in Betracht. Dabei sei zu prüfen, ob die Umgangskontakte dem Wohle des Kindes entsprechen oder nicht.
Im 2. Vortrag „Umgang um jeden Preis?“ von Alexander Korittko, Dipl. Sozialarbeiter, Systemischer Lehrtherapeut, Zentrum für Psychotraumatologie und Traumatherapie Niedersachsen, ging es um die traumatisierende Auswirkung sowohl von beobachteter Gewalt als auch von selbsterlebter Gewalt von Kindern. Korittko betonte, dass es besonders schädlich für Kinder unter 6 Jahren sei, häusliche Gewalt mitzuerleben, da Kleinkinder physisch und psychisch noch völlig abhängig von Erwachsenen sind. Die Wahrscheinlichkeit, bei mitangesehener Gewalt eine posttraumatische Belastungsstörung zu entwickeln, sei für Kinder in diesem Alter sehr hoch, wenn die Gewalt noch dazu von ihren engsten Bezugs- und Bindungspersonen ausgeübt werde. Um die kindliche Psyche zu entlasten, sei es wichtig, dass beide Eltern nach der häuslichen Gewalt gegenüber dem Kind Verantwortung übernehmen – das gelte sowohl für die gewalttätige Person als auch für die nicht schützende Person (falls auch das Kind Opfer von Gewalt wurde). So merke das Kind, dass seine Gefühle berechtigt sind und es keine Schuld am Verhalten der Erwachsenen tragen muss.
Therapeutische Begleitung, die dem Kind den Weg weist, dass das „Schreckliche“ in der Vergangenheit liegt, dass es im Hier und Jetzt sicher ist, und dass das Kind lernen kann, dass die Erinnerungsfragmente, die es manchmal ungewollt überfallen, nicht zu viel Raum in der Gegenwart bekommen sollen, sei in den meisten Fällen angezeigt. Manchmal sei es sogar sinnvoll, den Kontakt zum gewalttätigen Elternteil für einen Zeitraum ganz einzustellen. Im besten Fall um die möglicherweise traumatischen Erfahrungen der erlebten und beobachtenden Gewalt mit therapeutischer Begleitung bearbeiten zu können.
Begleiteter Umgang wird bei Kindern, die durch elterliche Gewalt traumatisiert sind, oft als Schutzmaßnahme für das Kind eingesetzt. Oft wirken Kinder nach einer Trennung beim Treffen mit dem gewalttätigen Elternteil durchaus zugewandt. Traumatisierte Kinder zeigten meist während des Umgangs mit dem Täter kaum Auffälligkeiten, sondern neigen aus Angst zur extremer Anpassung und Beschwichtigungsverhalten. Korittko nutzt hier den Begriff der „instinktiven Täuschung“, was bedeutet, dass Kinder sich zum Selbstschutz dem Täter „unterwerfen“ und ihn als eine überlebensrelevante instinktive Stressreaktion in freundlicher Manier zu beschwichtigen versuchen. Dies könne man manchmal daran erkennen, dass Kinder sich vorher meist gar nicht auf Treffen mit dem Elternteil freuten und hinterher für mehrere Tage „nicht zu gebrauchen“ seien. Das heißt, diese Kinder benehmen sich während des Treffens mit dem vorher gewalttätigen Elternteil zugewandt und freundlich, aber das, was diese Kinder an Wut und Traurigkeit parallel dazu unterdrücken müssten, komme dann später intensiv heraus. Die Auffälligkeiten (selbst- und fremdaggressives Verhalten, Weinen, anklammerndes Verhalten, Einnässen, Nägelkauen etc.) zeigten sich anschließend erst im gewohnten Umfeld.
Keine gute Lösung sei es, dass Umgangsbegleiter eingesetzt werden, die das Kind überhaupt nicht kennen, denn dann sei der früher gewalttätige Elternteil der einzige, an den sich das Kind bei diesen Treffen wenden könne und stehe mit all seinen schwierigen Gefühlen alleine da. Wichtig seien Umgangsbegleiter, die langfristig vor den angesetzten Treffen mit dem früher gewalttätigen Elternteil einen guten emotionalen Kontakt zum Kind herstellen, und die auch nach den Treffen mit dem nicht gewalttätigen Elternteil zu einer Nachbesprechung bereit sind und sich dafür Zeit nehmen können. Idealerweise sprechen die Umgangsbegleiter auch mit ErzieherInnen und LehrerInnen, wenn sie herausfinden wollen, wie es dem Kind vor und nach den Treffen geht, und ob das Kind durch die Kontakte zum früher gewalttätigen Elternteil so heftig an die schreckliche Vergangenheit erinnert wird, dass dadurch es immer wieder in erheblichen Stress gerät. Umgangskontakte sollten so gestaltet werden, dass sie für alle Beteiligten gedeihlich verlaufen.
Der 3. Vortrag von Alexander von Drenkmann, Jurist, Familienrichter am Amtsgericht Tempelhof-Kreuzberg trug den Titel: „Der rechtliche Rahmen des Umgangsrechts sowie umgangsbezogener gerichtlicher Interventionen im Kontext häuslicher Gewalt“. Der Familienrichter wies darauf hin, dass das Umgangsrecht von Eltern als Teil des verfassungsrechtlichen geschützten Elternrechts einen hohen rechtlichen Rang habe. Gerichtliche Interventionen zur Regelung, Einschränkung oder Ausschließung des Umgangsrechts bedürfen daher stets einer konkreten, gesetzlich verankerten Grundlage und müssen die Spannungsfelder widerstreitenden Rechtspositionen in einen angemessenen Ausgleich bringen. In häuslichen Gewaltfällen stünden die Richter dabei vor besonderen Herausforderungen. Der Richter wies dabei auch auf das Wohlverhaltensgebot §1684 ABS.2 BGB, hin, der besagt, dass die Eltern alles zu unterlassen haben, was das Verhältnis des Kindes zum jeweils anderen Elternteil beeinträchtigt oder die Erziehung erschwert. Bei konsequenter Handhabung bestünden hier recht weitreichende Interventionsmöglichkeiten gegen loyalitätswidriges Verhalten. Auch Streit- und Gewalteskalationen stellten einen kindbezogenen Wohlverhaltensverstoß dar: Elternstreit und lautstarke Auseinandersetzungen vor dem Kind schaffe Loyalitätsdruck und sei wohlverhaltenswidrig. Somit erscheine auch eine allgemeine Anordnung möglich, in Anwesenheit des Kindes keinerlei Streitgespräche oder lautstarken Auseinander-setzungen zu führen, z.B. im Sinne eines strikt deeskalierenden Übergangsszenarios.
In schwierigen Fällen sei ggf. kurzfristiger Umgangsausschluss möglich. Begleitende Elterngespräche (individuell/ggf. gemeinsam) seien in solchen Fällen immer von großer Bedeutung. Auch sei die Anordnung eines Anti-Gewalttrainings als Kinderschutz- oder Wohlverhaltensauflage möglich.
In der abschließenden Diskussion wurde betont, dass eine gute Zusammenarbeit der Professionen, wenn es zum begleiteten Umgang kommt, sehr wichtig ist. In diesen manchmal sehr dramatischen Fällen sollte es verstärkt die Möglichkeit geben, sich mehr Zeit zu nehmen, um genauer hin zu sehen ab wann und ob begleiteter Umgang tatsächlich sinnvoll ist. Zudem wurde der Wunsch geäußert, Umgangsbegleiter besser zu qualifizieren, damit sie auch eventuelle Traumatisierungen der Kinder besser im Blick behalten können. Wichtig sei hierfür z.B. auch ein zeitlicher Vorlauf zum Kennenlernen der betroffenen Kinder. Auch sei es wünschenswert, die bisherige Praxis des begleiteten Umgangs neu zu durchdenken, eine bessere Zusammenarbeit zwischen den Jugendämtern und Gerichten zu erreichen und gleichzeitig die Bedürfnisse der betroffenen Kinder im Blick zu behalten.
von Ingrid Lassonczyk-Haas
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