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Altwerden in der Dorfgemeinschaft Hohenroth

In der SOS-Dorfgemeinschaft Hohenroth entsteht ein Neubau für Menschen mit erhöhtem Hilfebedarf. So soll das Dorf künftig auch den Bedürfnissen von älteren Bewohnern, die mehr Unterstützung im Alltag benötigen, gerecht werden. Einer von ihnen ist der 57-jährige Arthur.
Der tägliche Spaziergang durch die SOS-Dorfgemeinschaft Hohenroth ist ein wichtiges Ritual in Arthurs Tagesablauf. Immer nachmittags dreht er eine Runde, schaut bei einigen Werkstätten der Dorfgemeinschaft vorbei und bleibt immer wieder stehen, um mit anderen Bewohnern Neuigkeiten auszutauschen. Seit Kurzem steuert Arthur bei diesen Spaziergängen auch eine Baugrube mitten im Dorf an. Vom Bauzaun aus beobachtet er dann, ob sich seit dem letzten Besuch etwas getan hat. Denn hier, wo früher ein Kuhstall stand, entsteht derzeit ein Neubau, dessen Fertigstellung Arthur kaum abwarten kann. Arthur und die anderen Bewohner von Hohenroth nennen ihn nur: „Das Zentrum“.
162 Erwachsene mit geistiger Behinderung leben in Hohenroth, einem Stadtteil der unterfränkischen Stadt Gemünden am Main. Eigentlich haben die Bewohner hier fast alles, was sie zum Leben brauchen. Doch auch in Hohenroth werden die Menschen älter. Rund die Hälfte der Bewohner ist inzwischen über 45 Jahre alt, rund ein Drittel wird in den kommenden Jahren ins Seniorenalter kommen. So auch der 57-Jährige Arthur, der seit 38 Jahren in Hohenroth lebt. Das Thema Altwerden beschäftigt auch ihn inzwischen immer häufiger:
„Ich gehe auf die 60 zu. Das merke ich.“
Arthur, Bewohner der SOS-Dorfgemeinschaft Hohenroth
Dabei hätte sich Arthur, als er mit 19 nach Hohenroth kam, nicht vorstellen können, dass er hier einmal alt werden würde. „Am Anfang habe ich gedacht: Das schaffe ich nicht, das wird mir zu viel“, erzählt er über seine ersten Tage im Dorf. Die vielen neuen Menschen überforderten den jungen Mann, der bis dahin oft auf sich allein gestellt war. Denn aufgewachsen ist Arthur im Kinderheim. Seine Mutter hatte den geistig behinderten Jungen so schwer vernachlässigt, dass er ihr im Kleinkindalter weggenommen worden war, seinen Vater hatte er nie kennengelernt. Als Arthur volljährig wurde, setzte sich seine Erzieherin für seinen Umzug nach Hohenroth ein. Und trotz seines anfänglichen Misstrauens gab Arthur der Dorfgemeinschaft eine zweite Chance und blieb.
Dass seitdem ziemlich viel Zeit vergangen ist, spürt Arthur. Er sei schon ein bisschen vergesslich und auch körperlich bemerke er Veränderungen. Arthur hat Diabetes und Bluthochdruck, dazu kommt eine Eisenspeicherstörung, die ihn schnell müde werden lässt. Auch bei der Arbeit kann er deshalb nicht mehr so mit anpacken, wie damals mit 19. Als junger Mann hatte Arthur in der Bäckerei angefangen. Noch heute hilft er hier jeden Nachmittag und ist unter anderem für das Feingebäck und die Brotlieferung in Hohenroth zuständig. Doch inzwischen fallen ihm das Abwiegen vom Mehl, das Tragen von Backblechen und das lange Stehen in der Backstube zunehmend schwerer. Deswegen arbeitet er nun vormittags in der Holzwerkstatt. Hier kann er sich während der Arbeit hinsetzen, die Abläufe sind entspannter und die Umgebung ist ruhiger. „Und es ist mal was anderes“, findet Arthur.
In den Arbeitsbereichen der Dorfgemeinschaft sind solche kleinen Anpassungen leicht machbar, doch im Alltag ist die Dorfgemeinschaft oft nicht auf den erhöhten Hilfebedarf ihrer älteren Bewohner eingestellt. „Die Bewohner leben mit Hauseltern zusammen, die im Grunde rund um die Uhr im Dienst sind. Das erschwert natürlich pflegerische Unterstützung“, erklärt der Leiter von Hohenroth, Mario Kölbl.  Auch sind die Häuser der Gemeinschaft nicht barrierefrei.
Ältere Bewohner mussten die Dorfgemeinschaft deshalb in der Vergangenheit öfter verlassen und zu Angehörigen oder in ein Altenheim ziehen. Um das zu ändern, baut Hohenroth das neue Haus, auf das Arthur sich schon so sehr freut. 24 Bewohner des Dorfes mit höherem Hilfebedarf können in zwei Wohngruppen auch im Alter betreut und versorgt werden. Ihnen könnte so ein belastender Umzug erspart bleiben, wie Einrichtungsleiter Kölbl erklärt: 
„Wenn diese Bewohner Hohenroth verlassen müssten, wäre das wie das Entwurzeln eines Baumes. Sie würden ihre Freunde verlieren, ihre Heimat und vielleicht auch ihre Identität.“ 
Auch Arthur ist inzwischen genauso fest mit Hohenroth verwachsen, wie der Apfelbaum, den er zu seinem letzten runden Dorfjubiläum geschenkt bekommen hat. Er kennt jeden Schleichweg, weiß genau, wann welches Haus gebaut wurde und kann viele kleine Anekdoten aus der Geschichte von Hohenroth erzählen. „Ich habe ja miterlebt, wie das alles aufgebaut wurde“, erklärt er sein umfangreiches Wissen.
Auch die Gemeinschaft, die Arthur anfangs noch so einschüchterte, ist über die Jahre ein wichtiger Teil seines Lebens geworden. „Ich kenne viele Leute und habe viele Freunde“, erzählt er stolz. Nicht nur in der Dorfgemeinschaft kennt man den großgewachsenen Mann mit der ruhigen Stimme. Auch in der nahegelegenen Stadt Rieneck ist Arthur bestens integriert, er ist Mitglied im Elferrat des Fasenachtskomitees und Ministrant in der katholischen Kirchengemeinde.
Um dieses Leben noch so lange wie möglich genießen zu können, hatte sich Arthur deshalb schon vor dem ersten Spatenstich auf der Baustelle für den Umzug ins Zentrum entschieden. „Ich habe mich oft gefragt, was wird aus mir, was wird aus meinen Freunden“, erzählt er mit Blick auf die Baugrube. Das Zentrum ist für ihn die Antwort auf diese Frage. Er freue sich auf den neuen Lebensabschnitt, sagt er und erzählt von seinen Plänen fürs Alter: Mehr Zeit zum Basteln wünscht er sich und Ausflüge in die Region. Auch kann Arthur sich vorstellen, weiterhin ein bisschen zu arbeiten. Aber eines ist dem 57-Jährigen besonders wichtig, wenn er über seine Zukunft spricht: 
„Ich möchte für immer in Hohenroth bleiben, Hohenroth ist mein Zuhause.“

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Dieses Projekt wird gefördert durch den Bezirk Unterfranken, den Freistaat Bayern und die Aktion Mensch